Jeder stirbt für sich allein. Ханс Фаллада

Jeder stirbt für sich allein - Ханс Фаллада


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      Sofort überstürzt Frau Gesch, eine abgemergelte, halb zu Tode gearbeitete Frau, deren Töchter auf Kosten der Mutter einen guten Tag leben, sie mit einer Flut von Klagen über die endlose Wascherei, immer anderer Leute dreckige Wäsche waschen und nie satt zu essen, und die Emmi und die Ulli tun rein gar nichts. Nach dem Abendessen gehen sie einfach weg und lassen der Mutter den ganzen Abwasch. »Ja, und Frau Kluge, was ich Sie bitten wollte, ich habe da im Rücken was, ich glaube, ’nen Furunkel. Wir haben bloß einen Spiegel, und meine Augen sind so schlecht. Wenn Sie sich das mal ansehen wollten – ich kann doch wegen so was nicht zum Doktor, wann habe ich denn Zeit für ’nen Doktor? Aber vielleicht können Sie es sogar ausdrücken, wenn’s Ihnen nicht eklig ist, manche sind in so was eklig …«

      Während Frau Gesch klagend immer so weiterredet, hat Eva Kluge ganz mechanisch die Kette losgemacht, und die Frau ist in die Wohnküche hineingekommen. Eva Kluge hat die Tür wieder zuziehen wollen, da hat sich ein Fuß dazwischengedrängt, und schon ist auch Enno Kluge in ihrer Wohnung. Sein Gesicht ist ausdruckslos wie immer; daß er doch etwas erregt ist, merkt sie nur daran, daß seine fast haarlosen Lider stark zittern.

      Eva Kluge steht mit hängenden Armen da, ihre Knie beben so sehr, daß sie sich am liebsten zu Boden sinken ließe. Der Redestrom von Frau Gesch ist ganz plötzlich versiegt, schweigend sieht sie in die beiden Gesichter. Es ist ganz still in der Küche, nur der Brühtopf brodelt leise.

      Schließlich sagt Frau Gesch: »Na, nun habe ich Ihnen den Gefallen getan, Herr Kluge. Aber ich sage Ihnen: Einmal und nicht wieder. Und wenn Sie Ihr Versprechen nicht halten und fangen das wieder an mit der Nichtstuerei und dem Kneipenlaufen und dem Pferdewetten …« Sie unterbricht sich, sie hat in das Gesicht von Frau Kluge gesehen, sie sagt: »Und wenn ich Mist gemacht habe, ich helfe Ihnen auf der Stelle, das Männeken rauszuschmeißen, Frau Kluge. Wir beide schaffen das doch wie nischt!«

      Eva Kluge macht eine abwehrende Bewegung. »Ach, lassen Sie schon, Frau Gesch, es ist ja doch alles egal!«

      Sie geht langsam und vorsichtig zum Korbstuhl und läßt sich in ihn sinken. Sie nimmt auch wieder den Stopfstrumpf zur Hand, aber sie starrt ihn an, als wüßte sie nicht, was das ist.

      Frau Gesch sagt ein wenig gekränkt: »Na, denn guten Abend oder Heil Hitler – ganz wie den Herrschaften das lieber ist!«

      Hastig sagt Enno Kluge: »Heil Hitler!«

      Und langsam, als erwache sie aus einem Schlaf, antwortet Eva Kluge: »Gute Nacht, Frau Gesch.« Sie besinnt sich. »Und wenn wirklich was mit Ihrem Rücken ist«, setzt sie hinzu.

      »Nee, nee«, antwortet Frau Gesch, schon vor der Tür, hastig. »Mit dem Rücken ist nichts, das habe ich nur so gesagt. Aber ich misch mich gewiß nicht wieder in die Sachen von andern Leuten. Ich seh’s ja doch: ich habe davon nie Dank.«

      Damit hat sie sich aus der Tür geredet; sie ist froh, von diesen beiden schweigenden Gestalten fortzukommen, ihr Gewissen zwickt sie ein wenig.

      Kaum ist die Tür hinter ihr zu, kommt Bewegung in den kleinen Mann. Ganz selbstverständlich öffnet er den Schrank, macht dadurch einen Bügel frei, daß er zwei Kleider seiner Frau übereinanderhängt, und hängt dafür seinen Mantel auf den Bügel. Die Sportmütze legt er oben auf den Schrank. Er geht stets sehr sorgfältig mit seinen Sachen um, er haßt es, schlecht gekleidet zu sein, und er weiß, er kann sich nichts Neues kaufen.

      Nun reibt er die Hände mit einem behaglichen »Soso!« aneinander, geht zum Gasherd und schnuppert in den Töpfen. »Fein!« sagt er. »Brühkartoffeln mit Rindfleisch – feinfein!«

      Er macht eine Pause, die Frau sitzt bewegungslos, dreht ihm den Rücken. Er legt leise den Deckel wieder auf den Topf, stellt sich neben sie, so daß er auf sie hinunter redet: »Nun sitz bloß nicht so da, Eva, als wenn du so ’ne Marmorfigur wärst! Was ist denn schon los? Du hast für ein paar Tage wieder ’nen Mann in der Wohnung, ich werd dir schon keine Scherereien machen. Und was ich dir versprochen habe, das halte ich. Ich will auch nichts von den Brühkartoffeln – höchstens, wenn ein kleiner Rest bleibt. Und auch den nur, wenn du ihn mir freiwillig gibst – ich bitte dich nicht darum.«

      Die Frau antwortet ihm mit keinem Wort. Sie stellt den Stopfkorb in den Schrank zurück, setzt sich einen tiefen Teller auf den Tisch, füllt sich aus den Töpfen auf und fängt langsam zu essen an. Der Mann hat sich an das andere Ende des Tisches gesetzt, ein paar Sportzeitungen aus der Tasche gezogen und macht sich Notizen in ein dickes, schmieriges Notizbuch. Dabei wirft er von Zeit zu Zeit einen raschen Blick auf die essende Frau. Sie ißt sehr langsam, aber sie hat sich schon zweimal nachgefüllt, viel wird bestimmt nicht überbleiben für ihn, und er hat Hunger wie ein Wolf. Den ganzen Tag, nein, seit dem Abend vorher hat er nichts gegessen. Der Mann von der Lotte, der auf Urlaub aus dem Felde kam, hat ihn ohne jede Rücksicht auf sein Frühstück mit Schlägen aus dem Bett gejagt.

      Aber er wagt es nicht, Eva von seinem Hunger zu sprechen, er hat Angst vor der schweigenden Frau. Ehe er sich hier erst richtig wieder zu Hause fühlen kann, muß noch allerlei geschehen. Daß dieser Moment kommen wird, daran zweifelt er nicht einen Augenblick: man kriegt jede Frau rum, nur beharrlich muß man sein und sich viel gefallen lassen. Schließlich, ganz plötzlich meist, geben sie nach, einfach weil ihnen das Wehren über ist.

      Eva Kluge kratzt die Reste aus den Töpfen. Sie hat es geschafft, sie hat das Essen für zwei Tage an einem Abend geschafft, aber nun kann er sie doch nicht um die Reste anbetteln! Dann erledigt sie rasch das bißchen Abwasch und fängt eine große Umräumerei an. Direkt vor seinen Augen bringt sie alles, was ihr ein bißchen wert ist, in die Kammer. Die Kammer hat ein festes Schloß, in die Kammer ist er noch nie reingekommen. Sie schleppt die Eßvorräte, ihre guten Kleider und Mäntel, das Schuhwerk, die Kissen vom Kanapee, ja sogar das Bild mit den beiden Jungen in die Kammer – alles vor seinen Augen. Es ist ihr ganz egal, was er denkt oder sagt. In die Wohnung ist er mit List gekommen, aber viel soll er davon nicht haben.

      Dann schließt sie die Kammertür ab und holt sich das Schreibzeug an den Tisch. Sie ist todmüde, sie läge am liebsten im Bett, aber sie hat sich nun einmal vorgenommen, heute abend an den Karlemann zu schreiben, so tut sie’s. Sie kann nicht nur hart gegen ihren Mann, sie kann auch hart gegen sich sein.

      Sie hat erst ein paar Sätze geschrieben, da beugt sich der Mann über den Tisch und fragt: »An wen schreibste denn, Evchen?«

      Unwillkürlich antwortet sie ihm, trotzdem sie sich fest vorgenommen hat, nicht mehr mit ihm zu sprechen. »An Karlemann …«

      »So«, sagt er und legt die Zeitungen aus der Hand. »So, also an den schreibste und schickst ihm womöglich auch noch Päckchen, aber für seinen Vater haste nicht mal ’ne Kartoffel und ’n Happen Fleisch übrig, hungrig wie der ist!«

      Seine Stimme hat etwas von ihrem gleichgültigen Klang verloren, sie klingt, als sei der Mann jetzt ernstlich beleidigt und in seinem Recht gekränkt, weil sie dem Sohne etwas gibt, das sie dem Vater vorenthält.

      »Laß man, Enno«, sagt sie ruhig. »Das ist meine Sache, der Karlemann ist ein ganz guter Junge …«

      »So!« sagt er. »So! Und das hast du natürlich ganz vergessen, wie er zu seinen Eltern war, als sie ihn erst zum Scharführer gemacht hatten? Wie du ihm nichts mehr recht machen konntest und er uns als alte, dumme Bürger ausgelacht hat – alles vergessen, was, Evchen? Ein guter Junge, wahrhaftig, der Karlemann!«

      »Mich hat er nie ausgelacht!« verteidigt sie ihn mit schwacher Stimme.

      »Nee, natürlich nicht!« spottet er. »Und das hast du natürlich auch vergessen, daß er seine eigene Mutter nicht gekannt hat, wenn sie mit der schweren Posttasche die Prenzlauer Allee langkam? Wie er da mit seinem Mädchen weggeguckt hat, der feine Knochen, der!«

      »So was kann man ’nem jungen Menschen nicht übelnehmen«, sagt sie. »Die wollen alle möglichst fein vor ihren Damen dastehen, so sind sie alle. Das gibt sich später wieder, der kommt zurück zu seiner Mutter, die ihn an der Brust gehabt hat.«

      Einen Augenblick sieht er sie zögernd an, ob er auch das noch sagen soll. Er ist sonst wirklich nicht nachtragend, aber diesmal hat sie ihn zu sehr gekränkt,


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