Pitaval des Kaiserreichs, 1. Band. Hugo Friedländer
die Leute zu einer fixen Idee geführt habe, an die sie selbst glaubten. Der Verteidiger schloß: Ich teile nicht die Hoffnung des Herrn Ersten Staatsanwalts, daß nach Schluß dieser Verhandlung die Hetze beendet sein wird, wir werden aber nach Abgabe Ihres Wahrspruches sagen können: die Wahrheit hat gesiegt.
Verteidiger Rechtsanwalt Fleischhauer (Kleve): Es dürfte Ihnen bekannt sein, meine Herren Geschworenen, daß ich aus Anlaß der Übernahme der Verteidigung in der unerhörtesten Weise angegriffen worden bin. Selbst im Abgeordnetenhause hat sich ein Mann, dessen Stellung voraussetzen sollte, daß er wenigstens bei der Wahrheit bleibt, mich in der unqualifizierbarsten Weise verdächtigt. Ich kann Ihnen die Versicherung geben, meine Herren Geschworenen, daß ich trotz all dieser Verunglimpfungen es für meine höchste Ehre gehalten habe, gerade den Angeklagten Buschhoff, dessen Unschuld von Anfang so klar zutage lag, zu verteidigen. Meine 10jährige Tätigkeit als hiesiger Anwalt enthebt mich der Mühe, mich Ihnen gegenüber noch weiter zu rechtfertigen, um so mehr, da die Ehre der Angreifer nicht höher steht als ihre Angriffe. Ich kann Ihnen aber auch die Versicherung geben, daß ich nie und nimmer einen Mann verteidigen würde, von dem ich auch nur vermuten könnte, daß Blut an seinen Fingern klebt. Wäre ich von der Unschuld des Buschhoff nicht überzeugt, hätte ich in dieser Beziehung auch nur noch einen Zweifel, ich stände sicherlich nicht an dieser Stelle. Sie werden sich zu erinnern wissen, meine Herren, daß, als im Dezember v. J. die Haftentlassung des Angeklagten erfolgte, sich ein Sturm der Entrüstung in der antisemitischen Presse erhob, obwohl mit dieser Haftentlassung das Verfahren noch nicht eingestellt war. Zu dieser Hetze gesellte sich der Messerbefund des Kreisphysikus Dr. Bauer. Dies war die Veranlassung, daß die Wiederverhaftung Buschhoffs und schließlich auch die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen wurde. Letzteres geschah nicht, weil man an seine Schuld glaubte, sondern weil man der Welt den Beweis liefern wollte, daß an all den Verdächtigungen kein wahres Wort ist. Und die Verhandlung, deren Leitung an Unparteilichkeit jedenfalls nichts zu wünschen übrigließ, hat die Unschuld des Buschhoff in glänzendster Weise nachgewiesen. Der Herr Erste Staatsanwalt hat recht, wenn er sagte, mit größerer Genauigkeit hat noch niemals ein Angeklagter sein Alibi nachgewiesen. Und wie benahm sich der Angeklagte? Er, der so sehr Verfolgte und Geschmähte, der unter der furchtbaren Anklage, einen Mord begangen zu haben, sich seit so langer Zeit in Untersuchungshaft befindet, er hat nicht ein hartes Wort gegen die ihn belastenden Zeugen, die aus jedem Vorkommnis Kapital zu schlagen suchten, erwidert. Bald fiel den Zeugen die große Teilnahme, bald die Teilnahmlosigkeit auf. Jedenfalls hat die Verhandlung ergeben, daß kein Zeuge den Hegmannschen Eheleuten soviel Teilnahme bekundet hat, als gerade der Angeklagte. Dieser hat sich aber auch als ein in jeder Beziehung wahrheitsliebender Mann erwiesen. Nicht eine Unwahrheit konnte ihm nachgewiesen werden. Als ihm gesagt wurde, er solle bei unerheblichen Dingen doch lieber zugestehen und sich nicht aufs Leugnen legen, da antwortete er: »Ich kann doch nichts zugeben, was nicht wahr ist.« Der Verteidiger ging hierauf des näheren auf die Zeugenaussagen ein und fuhr alsdann fort: Ich kann die Hoffnung des Herrn Ersten Staatsanwalts auch nicht teilen, daß die antisemitische Hetze mit diesem Prozeß ein Ende haben wird. Ich fürchte: es wird weitergelogen werden. Es ist eine allbekannte Tatsache, daß, um eine Wahrheit zu verwischen, mindestens 7 Lügen notwendig sind. Ich bin aber der Meinung, es sind 7 mal 70 Lügen notwendig, um das Lügengebäude der Antisemiten aufrechtzuerhalten. Allein die große Sorgfalt und Aufmerksamkeit, mit der Sie, meine Herren Geschworenen, den Verhandlungen gefolgt sind, gibt mir die Gewähr, daß, wenn auch die Lügen nicht verstummen werden, so doch in diesem Saale Recht und Gerechtigkeit geübt werden wird. Ich gebe mich ferner der Hoffnung hin, daß mit diesem Prozeß das alte Blutmärchen aus der Welt verschwinden wird. Wenn Sie aus diesem Saale fortgehen, dann ersuche ich Sie, das Bild eines Mannes in Ihr Herz aufzunehmen, der, obwohl seit so langer Zeit der Freiheit beraubt, seiner Familie entrissen und durch eine wüste Hetze genötigt sein wird, das bittere Brot des Almosens zu essen, sein Geschick mit Ergebung getragen hat, weil er weiß, daß er unschuldig ist, weil er weiß, daß die Wahrheit an den Tag kommen muß, und daß in Preußen noch Recht und Gerechtigkeit geübt wird.
Ich kann meine Verteidigung um so mehr abkürzen, da die Vertreter der Anklagebehörde in diesem Prozeß das schönste Recht der Staatsanwaltschaft ausgeübt haben, das nicht bloß darin besteht, den Schuldigen zu verfolgen, sondern auch dem unschuldig Verfolgten ihren Schutz zu gewähren.
Verteidiger Rechtsanwalt Gammersbach (Köln): M. H. Geschworenen! Als die Verhandlung begann, da haben wir, die wir die Akten kannten, die Freisprechung erwartet, nachdem wir aber die Beweisaufnahme gehört, ist diese Erwartung bei uns zur Gewißheit geworden. Es ist Ihnen bekannt, daß die Bevölkerung in Xanten, höchstwahrscheinlich veranlaßt durch das Gutachten der Herren DDr. Steiner und van Housen, sofort die Behauptung aufstellte es ist ein Ritualmord begangen worden. Es unterliegt keinem Zweifel, daß dieses Gerücht das Haupthemmnis für eine erfolgreiche Tätigkeit bildete, die Sache zu klären. Als wir hörten, daß die Anklage erhoben worden sei, da war ich mit meinen Kollegen der Überzeugung, daß die Staatsanwaltschaft nicht den Volksaberglauben des Blutmärchens teile, sondern daß sie andere Gründe für die Erhebung der Anklage habe. Für die Staatsanwaltschaft war, davon waren wir von vornherein überzeugt, ein wissenschaftliches Gutachten über den Ritualmord nicht erforderlich. Allein Sie haben gesehen, m.H., daß im Hintergrunde der Zeugenaussagen der Ritualmord stand. Man konnte es dem Zeugen Mallmann nachfühlen, daß er im Herzen die Überzeugung von dem Ritualmorde hatte, und aus diesem Grunde den Buschhoff für den Täter hielt. Das angebliche Fehlen des Blutes bei der Leiche und der angebliche Schächtschnitt war die Veranlassung, daß dieser alte Volksaberglaube auftauchen konnte. Das Märchen ist so töricht, daß ich kurz darüber hinweggehen könnte, wenn ich nicht wüßte, daß es in den Köpfen der unwissenden Bevölkerung spukt und zu politischen Parteizwecken genährt wird. Wenn man uns Christen vorwerfen würde: wir brauchen das Blut Andersgläubiger und müssen daher Morde begehen, dann würde ich antworten: In unseren Grundgesetzen, in den zehn Geboten, steht: »Du sollst nicht töten.« Damit ist eigentlich die ganze Beschuldigung widerlegt.
Wir dürfen aber nicht vergessen, daß wir Christen die zehn Gebote erst seit 1900 Jahren unser eigen nennen, während die Juden die zehn Gebote seit über 3000 Jahren haben. Es kommt aber noch hinzu, daß den Juden der Blutgenuß überhaupt verboten ist. In dem auch jedem Christen zugänglichen Alten Testament ist zu lesen: »Ihr sollt kein Blut essen, wer Blut ißt, der soll ausgerottet werden aus meinem Volke, ich werde mein Antlitz von ihm abwenden«. Es ist charakteristisch, daß in China und Madagaskar von der dortigen Bevölkerung dieselbe Anschuldigung gegen die Christen erhoben wird und als Ursache der Christenverfolgung dient. Und ehe das Christentum seinen Siegeslauf antrat, noch ehe es die herrschende Religion war, da haben die Römer den Christen dasselbe Märchen angedichtet, und zahllose Christen wurden deshalb verfolgt. Der Aberglaube, daß die Juden Blut brauchen, ist bei uns im 13. Jahrhundert aufgetaucht. Damals genoß aber der unglückliche Angeklagte noch nicht den Schutz, den er heute hat. Da trat die größte Macht der damaligen Zeit, der Papst, auf, um dieses Märchen zu widerlegen und die Juden vor Verfolgungen zu schützen.
Ich könnte Ihnen zahlreiche päpstliche Bullen vorlegen, in denen dieser Volksaberglaube mit der größten Entschiedenheit bekämpft wird. In den Jahren 1247 und 1253 hat Innozenz IV. sich mit sehr heftigen Worten gegen diesen Volksaberglauben gewendet. Ich will Sie mit dem Verlesen der Bullen nicht behelligen, es würde dies schließlich stundenlang aufhalten. Allein seit dem 13. Jahrhundert ist das Märchen nicht mehr aus der Welt verschwunden. Es ist immer wieder aufgetaucht und hat zu Judenverfolgungen Veranlassung gegeben. Wiederholt haben sich Gelehrte damit beschäftigt und Gutachten abgegeben. Sie haben von dem Sachverständigen Professor Dr. Nöldecke gehört, daß im Jahre 1714 die theologische Fakultät der Universität zu Leipzig auf Veranlassung des Landesherrn ein Gutachten dahin abgegeben hat, daß der Ritualmord in den religiösen Satzungen der Juden nicht vorgeschrieben sei, und daß keine Anhaltspunkte für diesen Volksaberglauben in der jüdischen Literatur vorhanden seien. In dem im Jahre 1883 vor dem Wiener Landgericht geführten Prozesse des bekannten Professors Rohling wider den österreichischen Abgeordneten Bloch traten Professor Dr. Nöldecke und Lizentiat Wünsche als Sachverständige auf. Beide Sachverständige gaben dasselbe Gutachten ab. Sie haben gehört, daß Herr Professor Dr. Nöldecke sagte: »Ebenso bestimmt, wie ich behaupten kann, im Talmud steht nichts von dem Eisenbahnwesen, mit derselben Bestimmtheit kann ich sagen: