Die Krystallwesen. Liesbeth Listig
großer Steinkörper auf den Planeten zuraste und sich in dessen Kruste bohrte. Seine „Klienten“ wurden fast alle getötet und er wurde um den halben Planeten geschleudert und in heißes Magma eingebettet. Eine Befreiung war ihm unmöglich.
So musste der Spiegler auf die Jahrtausende andauernde Erosion warten und hoffen, dass Wasser und Wind sein Gefängnis auflösen würden. Er schaltete seinen Geist auf Dauerschlaf, hatte jedoch eine Weckautomatik, die ihm anzeigte, wann er aus dem Gestein entkommen konnte oder sich ihm ein denkendes Wesen näherte. Nach einigen Millionen Jahren, in denen er viele Sprünge der Evolution verpasste und bereits ein großer Teil von ihm frei in eine neu entstandene Höhle ragte, spürte er ein Lebewesen herankommen und erwachte.
Ein Urmensch, ein mit vielen Knochen und heiligem Humbug behängter Schamane seines Volkes, schaute in die Höhle und erschrak. Unter lautem Geschrei und wild fuchtelnd entschwand er über die Fünfzig-Meter-Linie, noch bevor der Spiegler ganz erwachte, und war außer Reichweite. Aus Angst vor dem bösen Geist verließ der gesamte Volksstamm die fruchtbare Savannenlandschaft, die einmal zur libyschen Wüste werden sollte und kehrte nicht zurück. Erst viele Generationen später sollte ein weiterer Mensch in der Höhle Schutz suchen und mit diesem und dessen Freund erlebte der Spiegler viele Möglichkeiten sein Wissen zu ergänzen.
Es war Bernhard Gross, dem der Spiegler aus einer lebensbedrohlichen Situation heraushalf und einen Kommunikationsring anvertraute, damit er überall auf dieser Welt mit ihm in Kontakt bleiben konnte, als wäre er bereits befreit. So lernte er auch dessen Freunde und Liebschaften kennen, die ihn sehr interessierten. Bernhards engster Freund, Rigo Walder, wurde mit ins Vertrauen gezogen und wurde, als sein irdisches Leben endete, mit seinem Einverständnis, vom Spiegler aufgenommen. Dann wurde der Spiegler von neugierigen Wissenschaftlern befreit und entschwand mit Rigo ins All. Es vergingen viele Jahre, in denen Bernhard ein erfülltes Leben lebte und versuchte, sich mit Therapien von dem augenscheinlichen Wahn, einen Spiegler zu kennen, zu befreien. An seinem Todestag jedoch musste er erkennen, dass alles Erlebte der Wahrheit entsprach. Der Spiegler kam zurück und gab auch Bernhard die Möglichkeit einer weiteren, höchst interessanten Existenz.
Der Name des Spieglers, denn auch dieser hatte zumindest eine Kennung für seinesgleichen, war für die Kommunikation mit irdischen Seelen nicht geeignet. Da die Freunde keinen Menschen mit dem von ihm ausgewählten Namen kannten, wie er aus ihren Bibliotheken wusste, schlug der Seelenspiegler vor ihn Manfred zu nennen. Die beiden lebten fortan also in Manfred weiter. An diesem Ort konnten sie sich sogar wieder jugendlich erscheinen lassen, manche ihrer Eigenschaften vervollkommnen oder einfach dummes Zeug aushecken. Zwischen den Aufträgen und Abenteuern, die Manfred zu erledigen hatte, fanden sie ausgiebig Zeit dazu.
Aber nicht nur die beiden wollte Manfred mit sich nehmen. Er hatte zu einer weiteren Person Kontakt aufgenommen, nachdem diese durch einen seiner eigenen Streiche psychisch in Mitleidenschaft gezogen worden war. Zwar hatte diese Person Manfreds Kontakt längst als Hirngespinst abgetan, aber der Spiegler fühlte sich an sein Wort gebunden. Er würde über Zeit und Raum hinweg merken, wenn der Tod nahte und dieser Person dieselbe Frage stellen, wie einst seinen Freunden und Mitreisenden, bevor diese im Begriff waren, ihr irdisches Dasein aufzugeben. Wieder ein Streich, dachte Manfred, wenn die Beiden demnächst noch jemanden dazubekommen.
Derzeit konnte er sich jedoch nicht um seine mitreisenden Seelchen kümmern. Er glättete die Raumkrümmung und die Welle verschwand. Macht nicht so viel Blödsinn und kompromittiert mich nicht vor den anderen, bat er die beiden und diese versprachen brav zu sein. Sie begannen ein unkompromittierendes Schachspiel.
Ein großer Gasriese war nur ein paar Lichtjahre voraus zu sehen. Um ihn kreisten unzählige Spiegler. Ein Wirrwarr von Gedankenkommunikation war zu hören. Der Gasriese war ein Superspeicher, der jede Erfahrung eines jeden Spieglers in sich aufnahm. Reguliert wurden die Gedankenströme von einer Gruppe uralter Spiegler, die das Alter in denen sie Abenteuer und andere Eskapaden liebten, weit überschritten hatten. Sie empfingen sonst nur noch sporadisch vorbeikommende Spiegler, um ihr Wissen weiter zu leiten. Aber alle zehntausend Jahre, zur großen Zusammenkunft, waren sie richtig gefordert.
So dauerte es einige Zeit bevor Manfreds Kennung registriert wurde. Ein großer, alter Spiegler mit rissiger Oberfläche und stumpfer Farbe taumelte langsam und bedächtig auf ihn zu. So so, dachte er, so so, du bist also der, der nicht aufgepasst hat? Die heißen Steine hätten dich vernichten können. Gut, dass ein anderer Spiegler in der Nähe war, der schon mit den Steinen sprechen konnte. War nicht einfach, diese sehr jungen Steine dazu zu bewegen, dich nur zu umschließen. Als sie dann kalt waren, war es einfacher. Er hat dich aber dort belassen, um dir eine Lektion zu erteilen.
Nun, wie ich sehe, hast du die Scharte wieder ausgewetzt. Sehr interessant. Eine Spezies, die über sich und ihre Stellung im All nachdenkt, sich jedoch so irrational verhält, dass sie im Begriff ist, sich wegen irrwitziger Glaubensrichtungen auszulöschen? Sehr interessant. Übergebe deine Erfahrungen der Gruppe dort drüben und dann komm zu mir zurück. Wollen sehen, was wir mit dir anfangen können.
Manfred tat, wie ihm geheißen wurde und schloss sich der Schlange an, die sich bei der Wissensabgabe gebildet hatte. Als er an der Reihe war, übergab er eine Kopie seiner Erlebnisse und begab sich, mit gemischten Gefühlen, zu dem Alten, der ihn weiterhin sprechen wollte. Da bist du ja wieder, dachte dieser. Hab mich mit den anderen Komitee-Mitgliedern beraten. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass du soweit bist mit Steinen umzugehen. Begebe dich rüber zum Wissensempfang. Die sind schon instruiert und werden dir das Notwendige einpflanzen. Danach komm wieder zu mir. Ich habe einen entsprechenden Auftrag für dich.
Manfred war hocherfreut eine Stufe seines Daseins aufzusteigen. Es war aber mit einer unangenehmen, fast schmerzhaften Prozedur verbunden, die notwendigen Erfahrungen zu implantieren. Er musste kurz in die äußeren Schichten des Gasriesen eintauchen. Dort würde seine Außenhülle um einige Zentimeter wachsen und Platz für neue Nervenverbindungen schaffen. In Bruchteilen von Sekunden würden diese dann implantiert. Das war der unangenehmste Moment.
Ohne seine internen Freunde vorzuwarnen, unterzog er sich der Prozedur und kurzfristig wurden Bernhard und Rigo aus ihren Schachaktivitäten gerissen und trieben hilflos im All. Sorry, dachte Manfred, als er aus der Planetenatmosphäre wieder auftauchte und die Freunde wieder einsog. Habe soeben eine Bewusstseinserweiterung durchgemacht und nicht mehr an euch gedacht. Bewusstseinserweiterung? knurrte Bernhard in Gedanken. Hast wohl Drogen genommen. So in etwa, lachte Manfred, war wohl eine Nase voll Gas zu viel. Und er ließ ein lachendes Mondgesicht in Bernhards und Rigos Geist erscheinen. Wer gewinnt, fragte er und wendete sich dem Schachspiel zu?
Erneut wurde der nun frisch inthronisierte Steinspiegler gerufen. Der alte Spiegler erklärte Manfred seinen Auftrag. Er solle gleich das erste Mal mit dem Spiegeln von Steinen zu tun haben. Allerdings mit sehr intelligenten Krystallen, die außerdem noch Telepathie beherrschen würden. Vorsicht sei geboten, meinte der Alte. Aber der erste Steinauftrag hätte zumindest nicht mit Granit zu tun. Der wäre nicht sehr gesprächig, erklärte er weiter. Außerdem seien die Krystalle auch noch mobil, da sie in Symbiose mit zweibeinigen Wesen lebten. Der Planet sei eine Methanwelt mit doppelt so hoher Schwerkraft wie die Welt seines letzten Aufenthalts.
Vielmehr sei durch die sporadischen Visiten anderer Spiegler auch nicht bekannt, es solle jedoch dort Unruhen geben. Aber spiele nicht „Weltpolizei“, wie es Staaten auf dem letzten Planeten gern tun, dachte der Alte noch. Da kann nichts Gutes draus werden, wie ich in deinen Aufzeichnungen gesehen habe. Hoffentlich passt du besser auf, als das letzte Mal. Er wünschte Manfred noch viel Glück und mahnte ihn, die Reise baldmöglichst anzutreten.
Schade, meinte Manfred zu seinen Freunden gewandt. Ich hätte gern noch mit einigen mir bekannten Spieglern kommuniziert. Na, dann in zehntausend Jahren vielleicht. Er erklärte den Freunden seinen Auftrag und dass er sie eventuell mit in diesen einbinden würde, wenn sie versprächen, nicht eigenständig und unbesonnen zu handeln. Sowohl Bernhard als auch Rigo versprachen, keinen Unsinn zu machen, und freuten sich auf das Abenteuer, das etwas Abwechslung in ihr Dauerurlaubsleben zu bringen versprach.
Der gekrümmte Raum, den Manfred nun wieder erzeugte, ließ die drei ohne Zeitverlust von der Zusammenkunft verschwinden. Es dauerte auch nur eine geringe, gefühlte Eigenzeit und sie schwebten über der Methanwelt, welche