Die vergessene Welt. Arthur Conan Doyle
Tatsache, die in einem Laboratorium erarbeitet ist, ein Stein, der zum Tempel der Wissenschaft herzugetragen wird, ist weit wertvoller als eine populäre Arbeit aus zweiter Hand, die einem eine müßige Stunde vertreibt, aber keine nützlichen Resultate hervorbringen kann. Ich spreche diese einleuchtenden Gedanken nicht aus, um Professor Waldron persönlich herabzusetzen, sondern damit Sie nicht den Sinn für die wahren Verhältnisse verlieren und nicht einen Messgehilfen mit dem Hohenpriester verwechseln.« (In diesem Augenblick sah man Waldron mit dem Vorsitzenden flüstern, der sich halb erhob und irgend etwas Ernstes zu seiner Wasserkaraffe sagte.) »Aber genug davon.« (Lauter und andauernder Beifall.) »Lassen Sie mich jetzt übergehen zu einem Gegenstand von allgemeinerem Interesse. Worin besteht der besondere Grund, aus dem ich, ein echter Forscher, Einwendungen gegen die wissenschaftliche Sorgfalt des Vortragenden erhoben habe? Sie beziehen sich auf die Beständigkeit gewisser Typen des animalischen Lebens auf der Erde. Ich spreche von diesen Dingen nicht als Dilettant oder, wie ich hinzufügen darf, als volkstümlicher Redner, sondern ich spreche als einer, dessen wissenschaftliches Gewissen ihn zwingt, sich stets eng an die Tatsachen zu halten, und daher sage ich, dass Professor Waldron sehr im Unrecht ist mit der Annahme, dass die sogenannten prähistorischen Tiere nicht mehr existieren, weil er selbst sie niemals gesehen hat. Sie sind in der Tat, wie er gesagt hat, unsere Vorfahren. Aber sie sind, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf, unsere gegenwärtigen Vorfahren, die noch mit all ihren scheußlichen und furchtbaren Eigenschaften gefunden werden können, wenn jemand den Mut, die Energie und die Kühnheit hat, sie in ihren Aufenthaltsorten aufzusuchen. Geschöpfe, von denen wir annehmen, dass sie der Juraperiode angehörten, Ungetüme, die unsere größten und wildesten Säugetiere verschlingen können, existieren noch heute. (Unsinn! Beweisen! Woher wissen Sie das? Das ist die Frage!) Woher ich das weiß, fragen Sie mich? Ich weiß es, weil ich ihre geheimen Schlupfwinkel besucht habe. Ich weiß es, weil ich einige von ihnen gesehen habe. (Beifall! Lärm und eine Stimme: »Lügner!«) Ich bin ein Lügner? (Starke und lärmende Zustimmung.) Habe ich jemand sagen hören, dass ich ein Lügner wäre? Will der Mensch, der mich einen Lügner nannte, freundlichst aufstehen, damit ich ihn kennenlernen kann. (Eine Stimme: »Hier ist er, Herr!« und ein harmloser, kleiner Mensch mit einer Brille, heftig um sich schlagend, wurde inmitten einer Gruppe von Studenten hochgehoben.) Sie haben es gewagt, mich einen Lügner zu nennen? (»Nein! Nein!« schrie der Angeklagte und verschwand wieder wie der Teufel in der Schachtel.) Sollte irgendeine Person in diesem Saal es wagen, meine Glaubwürdigkeit anzuzweifeln, so würde ich mich freuen, nach dem Vortrag einige Worte mit ihr wechseln zu können. (»Lügner!«) Wer hat das gesagt? (Wieder wurde ein harmloser, sich heftig sträubender Mensch in die Höhe gehoben.) Wenn ich zu Ihnen herunterkomme – – – (Allgemeiner Chorgesang: »Komm, Herzchen, komm,« unterbrach die Verhandlungen für einige Augenblicke, während der Vorsitzende, der aufgestanden war und die Hände rang, die Musik zu dirigieren schien. Der Professor mit seinem flammenden Gesicht, den geblähten Nüstern und dem gesträubten Bart geriet jetzt in eine wahre Berserkerwut.) Jeder große Entdecker hat der gleichen Ungläubigkeit gegenübergestanden – das ist das wahre Zeichen einer Generation von Narren. Wenn ihnen große Tatsachen vorgelegt werden, so haben sie nicht die Intuition, die Vorstellungskraft, die ihnen erlaubt, sie zu verstehen. Sie können nur die Männer, die ihr Leben in die Schanze geschlagen haben, um der Wissenschaft neue Gebiete zu erobern, mit Schmutz bewerfen. Die Propheten verfolgen sie! Galilei, Darwin und ich –« (anhaltender Beifall und vollständige Unterbrechung).
Alle diese eiligst hingeschriebenen Notizen geben kaum einen Begriff von dem furchtbaren Chaos, zu dem die Versammlung sich bis zu diesem Zeitpunkt entwickelt hatte. Die Aufregung war so entsetzlich, dass verschiedene Damen sich bereits eiligst zurückzogen. Ernste und würdige alte Herren schienen von der allgemein herrschenden Stimmung ebenso erfasst zu sein, wie die Studenten, und ich sah, wie weißbärtige Männer aufstanden und ihre Fäuste drohend gegen den halsstarrigen Professor schüttelten. Die riesige Zuhörerschaft siedete und schäumte wie ein Kochtopf. Der Professor trat einen Schritt vor und erhob die Hände. Es war etwas so Stolzes, Fesselndes und Männliches in seiner Erscheinung, dass das Klatschen und Schreien unter dem Eindruck seiner imponierenden Gestalt und seiner herrischen Augen langsam aufhörte. Er schien eine letzte Mitteilung machen zu wollen. Alles schwieg, um sie zu hören.
»Ich will Sie nicht aufhalten,« sagte er, »es ist nicht der Mühe wert. Wahrheit ist Wahrheit, und der Lärm einer Anzahl alberner junger Leute – und ich fürchte hinzufügen zu müssen, auch der gleichfalls albernen alten Leute – kann daran nichts ändern. Ich erhebe den Anspruch, der Wissenschaft neue Wege gewiesen zu haben. Sie bestreiten das! (Beifall.) Dann werde ich Sie auf die Probe stellen. Wollen Sie einen oder mehrere von Ihnen als Vertreter bestimmen, die in Ihrem Namen meine Darlegungen prüfen?«
Summerlee, der alte Professor der vergleichenden Anatomie, ein großer, dürrer und unfreundlicher Mensch mit dem vertrockneten Aussehen eines Theologen, erhob sich inmitten der Zuhörerschaft. Er wünsche, sagte er, dem Professor Challenger die Frage vorzulegen, ob die Resultate, auf die er in seinen Ausführungen angespielt habe, die Früchte seiner vor zwei Jahren ausgeführten Reise zu den Quellgebieten des Amazonenstroms seien.
Professor Challenger bejahte das.
Summerlee wünschte zu wissen, wie es möglich sei, dass Professor Challenger behaupten könne, Entdeckungen in diesen Gebieten gemacht zu haben, die von Wallace, Bates und anderen früheren Forschern von anerkanntem wissenschaftlichen Ruf übersehen worden wären.
Professor Challenger antwortete, dass Summerlee anscheinend den Amazonenstrom mit der Themse verwechsle, der erstere wäre tatsächlich ein etwas größerer Strom. Es würde Herrn Summerlee wohl interessieren zu hören, dass mit dem Stromgebiet des Orinoco, der ja mit dem Amazonenstrom zusammenhänge, einige 50 000 Quadratmeilen Land neu erforscht seien, und dass in einem so weiten Raum es durchaus nicht unmöglich für einen Menschen sei, etwas zu finden, was ein anderer nicht gesehen habe.
Summerlee erklärte mit einem sauren Lächeln, dass er den Unterschied zwischen der Themse und dem Amazonenstrom, der auf der Tatsache beruhe, dass irgendeine Behauptung bezüglich der ersteren nachgeprüft werden könne, während das bei dem letzteren nicht der Fall sei, wohl zu würdigen wisse. Er würde sich dem Professor Challenger verpflichtet fühlen, wenn er die geographische Länge und Breite der Gegend, in der sich prähistorische Tiere vorfinden sollten, angeben würde.
Professor Challenger erwiderte, dass er mit derartigen Informationen aus guten Gründen zurückhalte. Er wäre aber bereit, sie mit gehöriger Vorsicht einem von der Zuhörerschaft gewählten Ausschuss zu geben. Ob Herr Summerlee geneigt wäre, einem solchen Ausschuss beizutreten und seine Behauptungen selbst nachzuprüfen?
Professor Summerlee: »Ja, das will ich.«
Professor Challenger: »Dann gebe ich Ihnen die Versicherung, dass ich Ihnen ein Material übergeben will, das Sie in den Stand setzt, die richtige Stelle zu finden. Es ist allerdings, da Herr Summerlee meine Behauptungen kontrollieren will, nur gerecht, wenn ich wünsche, dass noch einer oder mehrere mit ihm gehen, die ihn kontrollieren. Ich will Ihnen nicht verhehlen, dass es Schwierigkeiten und Gefahren zu bestehen gibt. Herr Summerlee wird einen jüngeren Kollegen brauchen können. Darf ich bitten um freiwillige Meldungen?«
So tritt die große Krisis in eines Mannes Leben an ihn heran. Hätte ich mir vorstellen können, als ich diesen Saal betrat, dass ich im Begriff war, mich selbst für ein wilderes Abenteuer, als ich mir je hätte träumen lassen, zu verpflichten? Aber Gladys – war dies nicht die richtige Gelegenheit, von der sie sprach? Gladys hätte gewünscht, dass ich mich meldete. Ich sprang auf und begann zu sprechen, und doch wusste ich noch gar nicht, was ich sagen wollte. Tarp Henry, mein Begleiter, zupfte an meinen Rockschößen, und ich hörte ihn flüstern: »Setzen Sie sich doch, Malone. Machen Sie sich doch nicht selbst zum öffentlichen Esel.« Im selben Augenblick bemerkte ich, dass ein großer, schlanker Mann mit dunkelbraunem Haar, einige Sitzplätze vor mir, auch aufgesprungen war. Er starrte mit ärgerlichen Augen zu mir herüber, aber ich lehnte es ab, zurückzutreten.
»Ich werde mitgehen, Herr Vorsitzender«, rief ich immer von neuem zur Rednerbühne hinüber.
»Namen! Namen!« rief die Zuhörerschaft.
»Mein Name ist Edward Dunn Malone. Ich bin Berichterstatter von der Daily