Fontanka. Markus Szaszka
weshalb die Haut über ihren Knöchelchen weiße Flecken bekam.
Für ein Geschäft dieser Art war es die allerbeste Jahreszeit. Dank des liebevoll geschmückten Schaufensters bimmelte das Glöckchen an der Tür von früh bis spät.
Für die kleine Anuschka, wie ihre Mutter sie liebevoll nannte, war es ein wahrhaft bezaubernder Augenblick, denn sie hatte noch nie zuvor etwas derart Schönes gesehen.
Das Schaufenster vor ihr war der Höhepunkt eines aufregenden und mit lauter Neuheiten gespickten Tages. Erst an diesem Morgen hatten Mama Feodora und sie ihr Dorf verlassen, um in der nahegelegenen Stadt einen Neuanfang zu wagen. Sie hatten nicht nur das ärmliche, aber sichere Nest bei Oma und Opa hinter sich gelassen, sondern auch alles Bekannte, ihre Heimat.
Feodora hatte dank einer glücklichen Fügung eine Arbeitsstelle als Bürokraft ergattert. Ihre ehemalige beste Freundin, die ein knappes Jahr zuvor aus dem Dorf nach Petersburg in wohlhabendere Verhältnisse geheiratet hatte, hatte in der Anwaltskanzlei ihres Mannes ein gutes Wort für die alleinerziehende Mutter einer Tochter eingelegt. Es würde die erste regelmäßig bezahlte Arbeit ihres Lebens werden.
Für diese in ihren Augen gottgeschenkte Möglichkeit etwas dazuzuverdienen, ihren Eltern unter die Arme zu greifen und ihrem Mädchen eine gute Zukunft zu ermöglichen, war Dora zutiefst dankbar. Das äußerte sich nicht zuletzt durch ihr silbernes Kreuz, das sie an einer Kette um den Hals trug und dessen Vergoldung auf Oberkörper und Kopf des gemarterten Jesu vom vielen Küssen abgerieben worden war.
Für Mutter Feodora war es zum einen ein aufregender und zum anderen ein besorgniserregender, aber zuallererst ein glücklicher Tag. Anna hingegen wusste kaum, was vor sich ging. Die vielen neuen Eindrücke prasselten auf sie ein und sie ließ sich berieseln. Nie zuvor war das Mädchen mit dem engelsgleichen Gesicht und dem dezenten Muttermal über einem Mundwinkel in einer Stadt gewesen, nicht einmal in einer kleinen, weshalb ihr das heilige Petersburg wie ein Traum vorkommen musste.
Alles, was Anna bisher gekannt hatte, waren ihr Dorf Derevnya und das Land drumherum, sprich Felder und Wiesen, Trampelpfade und Dorfstraßen sowie lichte Wälder und ein See, in dem manche der Dorfbewohner an heißen Tagen plantschten. Anna hatte das nie gedurft, weil Gerüchte die Runde machten, dass auch Schweine ab und an im See badeten, dort ihre Notdurft verrichteten und das Baden deshalb krank machte.
Nun war Derevnya, ihre Heimat, eine zweistündige Zugfahrt entfernt, und doch veränderten diese 120 Minuten alles. Anstatt steriler, winterlicher Stille, gab es unentwirrbares Stadtgetose. Anstatt von Dorfstraßen und eigenhändig zusammengehämmerten Einfamilienhäusern, gab es Prunkbauten, Denkmäler, Kanäle, breite und vollgepackte Straßen, unzählbar viele Menschen und den kunterbunten Spielwarenladen myagkaya igrushka.
Anna stand wie angewurzelt da und träumte von Abenteuern, in denen sie die Hauptrolle spielte. Mama Dora, die in jeder Hand einen Rollkoffer hinter sich herzog, war weitergegangen. Als sie nach wenigen Metern bemerkte, dass ihr Kind nicht mehr bei ihr war, machte sie Kehrt, rüttelte ihr Mädchen an der Schulter und forderte es auf, nicht herumzutrödeln, woraufhin Anuschka stumme Tränen über die geröteten Wangen flossen. Es waren die Müdigkeit und die vielen neuen Eindrücke, die an ihr zehrten.
Feodora sah in die wässrigen Augen ihres Mädchens und ihr wurde warm ums Herz. Sie wollte keine schlechte Mutter sein. Sie liebte ihr Kind, aber manchmal vergaß sie, dass Anna erst fünf Jahre alt war und Kinder in diesem Alter intensiver Zuwendung bedurften, damit sie nicht eingingen. Und in diesem Moment, vor dem Spielzeugladen in der Gorokhovaya Straße, war Anna kurz davor einzugehen wie ein zu lange nicht mehr gegossenes Blümchen.
Weil Mama Dora eine strenge Erziehung erhalten hatte und mit sich selbst im Großen und Ganzen zufrieden war, befand sie es auch für ihre Anuschka als das Beste, die Härten des Lebens frühestmöglich kennenzulernen. Aber sobald sie ihre Tochter weinen sah, vergaß sie all solche erziehungstheoretischen Überlegungen, denn dann war auch sie den Tränen nahe und konnte nicht anders, als weich zu werden.
Sie kniete sich auf das frisch beschneite Kopfsteinpflaster, drückte ihre Kleine fest an sich und flüsterte ihr ins Ohr, dass alles gut sei und sie sich um nichts auf der Welt sorgen machen müsse. Vorbeigehenden Passanten, die das Versperren des Gehsteigs durch Mutter und Tochter unbedacht kommentierten, warf sie lediglich böse Blicke zu, ohne zurückzufauchen, um das Nervenkostüm ihrer Tochter nicht weiter zu strapazieren.
»Anna, mein Liebes, wein doch nicht. Mama kümmert sich um alles, damit es uns beiden gutgeht. Soll dir Mama ein Spielzeug kaufen? Ja? Das hast du dir auch verdient, so tapfer, wie du heute warst. Weißt du, heute ist ein aufregender Tag für uns beide, deshalb sollten wir uns etwas gönnen.«
Feodora wusste über ihre Finanzen genau Bescheid. Sie hatte jeden einzelnen ihrer über die Jahre mühsam ersparten Kopeken für die anstehende Miete und das Essen für die kommenden Wochen verplant. Und ihr erstes Gehalt würde noch einen Monat auf sich warten lassen. Aber in diesem Moment ließ sie jede Vernunft außen vor. Irgendwie würden sie schon über die Runden kommen, dachte Dora, und weiter, dass sie ihr Kind nicht ohne ein Geschenk ins neue Jahr entlassen konnte.
klingelingeling
Im Geschäft fragte Mama Dora ihre Tochter, die aufgrund der Spielwarenvielfalt erneut dem Staunen verfallen war, welches Spielzeug sie gerne hätte und hoffte insgeheim, dass es kein teures sein würde. Anna sah sich um, sah zunächst zu dem Regal mit dem Holzspielzeug, dann zu einem mit Bällen und Puppen drauf, aber nichts davon umgarnte ihr Seelchen in dem Maße, wie es das richtige Spielzeug mit einem Kindergemüt tun sollte. Dann fiel ihr Blick auf ein Eisbärenmädchen, ein Plüschtier, das nicht größer als die Handfläche eines erwachsenen Mannes war. Es hatte zwei schwarze Knopfaugen, eine weiche Schnauze, eine braun-beige gestreifte Latzhose mit zwei Holzknöpfen vornedran und es blickte gleichermaßen frech und süß drein.
»Die will ich haben, Mama!«
Ohne auf eine Antwort zu warten, lief Anna auf ihr erstes Stofftier zu und umarmte es, wie ihre Mutter es zuvor mit ihr getan hatte. Währenddessen fiel ihre Mütze zu Boden, aber das machte nichts, weil Feodora wachsam war, den Verlust der Kopfbedeckung bemerkte, sie aufhob und, wie versprochen, dafür sorgte, dass alles gut war.
»Das ist jetzt meine beste Freundin, Mama.«
»Sie ist sehr hübsch. Wie heißt sie denn?«
»Das ist Misha Masha.«
»Das ist ein schöner Name. Jetzt musst du mir Masha aber kurz geben, damit ich sie bezahlen kann.«
»Nein! Sie will nicht, sie will bei mir bleiben!«, protestierte Anna, ließ nicht los, sah ihrem Stofftier in die Augen und verlieh ihm eine eigene Stimme, indem sie ihre verstellte: »Ja, genau, ich bleibe hier.«
»Ach je«, seufzte Feodora auf und wandte sich zu dem älteren Herrn hinter der Bezahltheke, der einen weißen Schnauzer unter seiner Nase und eine Halbglatze in Form eines weißen Haarrings auf seinem Kopf trug. »Darf ich auch so zahlen, bitte?«
»Ist der heilig?«, fragte Anna und spielte auf den Haarring an, der einem Heiligenschein ähnlich sah.
»Pscht, Anuschka, so was sagt man nicht.«
Der Herr hinter der Theke, dem dieses Geschäft scheinbar gehörte, lachte herzhaft auf.
»Das ist schon in Ordnung, verehrte Frau. Das Kind hat Fantasie. Und das ist etwas Gutes, nicht?«
»Ja, ich schätze schon«, gab Feodora ihm recht. »Was kostet das Bärchen, gnädiger Herr?«
»Nun, eigentlich ist es nur als Dekoration gedacht, wissen Sie, meine Frau hat es selbst genäht. Es ist nicht zum Verkauf gedacht.« Er sah zu Anna, kratzte sich am Kopf und musste nicht lange überlegen. »Aber wenn ich mir ihr Mädchen so ansehe, denke ich, dass das Bärchen gut bei ihr aufgehoben sein wird. Na gut, geben Sie mir 500 Rubel und es gehört Ihnen!«
»Vielen Dank, verehrter Herr, das ist sehr christlich von Ihnen.«
Es war ein guter Preis, den der freundliche Verkäufer, der vermutlich schon zufrieden mit seinem Weihnachtsgeschäft