Verlorenend - Fantasy-Epos (Gesamtausgabe). S. G. Felix

Verlorenend - Fantasy-Epos (Gesamtausgabe) - S. G. Felix


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nicht. Auf jeden Fall ging es auf zwei Beinen.

      »Wer ist da? Kommen Sie raus!«

      Nichts geschah. Absolute Stille. Antilius’ Puls raste. Seine Muskeln spannten sich. »Ich kann Sie sehen, also kommen Sie heraus!« Mit diesem Bluff wollte er den Unbekannten austricksen, denn sehen konnte er praktisch gar nichts.

      Nichts rührte sich.

      »Vorsicht hinter dir!« Die Stimme, die Antilius warnte, kam von der Seite. Er fuhr ruckartig in Richtung dieser Stimme herum, wobei der Lichtkegel seiner Körperbewegung folgte. Doch bevor er sich vollständig umdrehen konnte, spürte er einen harten Schlag im Genick. Antilius ließ seine Lampe fallen, sackte zusammen und verlor sofort das Bewusstsein. Seinen Angreifer sah er nicht mehr.

      Auch sah er nicht wie das schwarze Wesen, das ihn niedergeschlagen hatte, damit begann, sein Zelt zu durchwühlen. Zwei weitere Gestalten traten in den Lichtkegel der auf dem Boden liegenden Lampe. Und noch eine weitere Gestalt tauchte auf. Aber sie kam nicht wie die anderen aus dem Wald, sondern aus der Luft. Die auf dem Rücken des Geschöpfs gewachsenen Flügel waren voll aufgespannt, als es auf dem Boden mit seinen krallenartigen Füßen landete. Mit abwechselnd zischenden und knackenden Lauten gab es Befehle an die anderen drei. Diese wiederum antworteten in der gleichen Sprache, wobei sie den Befehlsgeber direkt anschauten, um seine Position als Anführer zu respektieren.

      Die Wesen intensivierten daraufhin ihre Zeltdurchsuchung, und eines hastete zur Gondel, in der Antilius sein Gepäck hatte liegen lassen. Es stieß den Laderaum der Gondel auf und zerrte wild alle darin befindlichen Sachen heraus. Der Anführer hingegen rührte sich nicht und beobachtete mit seinen großen, gelben Augen, die hervorragend in der Dunkelheit sehen konnten, das Treiben seiner Untergebenen.

      »Verschwindet oder ich werde euch grillen!« Diese Drohung stieß die gleiche Stimme aus, die Antilius zuvor vor dem Angriff aus dem Hinterhalt vergeblich gewarnt hatte. Die geflügelten Wesen schreckten auf, schauten sich verängstigt um, konnten aber trotz ihres sehr guten Sehvermögens nichts erkennen.

      »Feuer! Feuer! Lauft um euer Leben!«, schrie die Stimme aus der Dunkelheit.

      Daraufhin brach Panik bei den Dieben aus. Der eine, der gerade dabei war, die Gondel leer zu räumen, rannte zurück in den Wald, wobei er alles nur irgend möglich Tragbare, das er gefunden hatte, mitnahm. Der Anführer breitete wieder seine großen, mit einer dunklen Haut bespannten Flügel aus und hob mit kräftigen Schlägen ab. Die beiden, die das Zelt durchwühlt hatten, taten es ihm gleich.

      Ein Feuer gab es aber nicht.

      »Ha! Feiglinge, elende Feiglinge!«, triumphierte die Stimme.

      Danach wurde es eine Weile still. Die Diebe waren verschwunden, und Antilius hatte immer noch nicht das Bewusstsein wiedererlangt.

      »He du! Aufwachen! Wach auf, na los!«

      Doch Antilius hörte die Stimme nicht. Der Schlag ins Genick hatte ihn in eine lang anhaltende Ohnmacht gestürzt.

      Etwa eine Mondstunde später kam Antilius endlich wieder zu sich.

      Ihm war furchtbar übel. Sein Nacken schmerzte und sein Kopf fühlte sich an, als ob er jeden Moment platzen würde. Er wollte aufstehen und zu der Gondel laufen, um nachzusehen, ob dort etwas gestohlen worden war. Als er jedoch auf beiden Beinen stand, befiel ihn ein heftiger Schwindelanfall. Er taumelte und schaffte es gerade noch, sich an einer der überwucherten Bänke festzuhalten und sich zu setzen.

      Er beschloss, sich in sein Zelt zu verkriechen und sich hinzulegen. Als er sich dann stöhnend vor Schmerzen auf den Rücken legte, horchte er noch einmal, ob sich draußen etwas bewegte.

      Irgendwann schlief er ein. Es war aber nur ein leichter und unruhiger Schlaf.

      In der frühen Morgendämmerung erwachte er. Er setzte sich in seinem Zelt auf und stellte erleichtert fest, dass er sich schon viel besser fühlte. Er lief hinüber zum Gondelstellplatz. Schon aus einiger Entfernung konnte er sehen, dass die Ladeluke seiner Gondel offen stand. Als er sein Gefährt erreichte, bestätigten sich seine schlimmsten Befürchtungen. Alles war verschwunden. Seine komplette Ausrüstung. Seine Kleidung, sein Proviant, alles.

      Er seufzte. Er fühlte sich aber noch zu schwach, um sich aufzuregen oder zu fluchen. Was sollte er jetzt machen? Ohne Ausrüstung wäre seine Reise unter Umständen völlig sinnlos.

      »He du! Wo bist du? Komm her zu mir!«

      Antilius erschrak und wandte sich in Richtung des Denkmalplatzes, um zu sehen, woher die Stimme kam.

      »Na los! Komm her zu mir!«

      Antilius hielt es für besser, nicht zu antworten. Vielleicht rief da derjenige, der ihn niedergeschlagen hatte. Geduckt schlich er am Wegesrand zurück zum Platz.

      »Hallo! Ich kann dich doch sehen. Na los, komm her!«

      Antilius schwieg weiter. Hinter einem Busch versteckt, versuchte er, den Fremden ausfindig zu machen. Er konnte aber wieder niemanden sehen.

      »Hier bin ich! Hier gegenüber! In dem Laub. Hierher!«

      Jetzt konnte Antilius genau ausfindig machen, dass die Stimme irgendwo von dem Rand des Platzes neben einer der Bänke kam. Er kam vorsichtig aus seinem Versteck hervor und lief hinüber zu der Bank, von der die Stimme zu kommen schien.

      »Hierher!«

      Antilius kniete neben der Bank nieder und sah aber immer noch niemanden.

      »Direkt vor deiner Nase. Hier bin ich!«

      Dann bemerkte er etwas. Etwas im Laub. Es war aus Metall. Und aus Glas. Er schob mit seiner Hand die Blätter zur Seite und zum Vorschein kam ... ein Spiegel. Ein kleiner rechteckiger Handspiegel mit einem Griff an der Unterseite, der gegen einen moosbewachsenen Stein gelehnt war.

      »Es wäre schön, wenn du den Spiegel mal in die Hand nehmen würdest. Dann kann ich dich sehen und du mich.«

      Antilius starrte den Spiegel mit weit geöffnetem Mund an. Zunächst glaubte er an irgendeinen Trick. Eine Illusion. Vielleicht hatte ihn der Schlag von letzter Nacht härter getroffen als geglaubt. Aber dem war nicht so.

      »Nun mach schon!«, forderte ihn die Stimme ungeduldig auf.

      Vorsichtig streckte Antilius eine Hand nach dem Spiegel aus. Er berührte den schnörkellosen Griff, zögerte noch einmal und umschloss ihn dann fest.

      Eigentlich erwartete er, in dem Spiegel sein eigenes Gesicht zu sehen, aber was sich ihm jetzt bot, ließ ihn die Luft anhalten. Antilius konnte durch das Spiegelglas hindurchsehen wie durch ein Fenster. Hinter dem Glas stand ein schmächtiger Mann mit braunen Haaren und abgewetzter Kleidung. Er befand sich in einem kleinen Zimmer mit nur einem einzigen Fenster. An der rechten Seite stand ein kleines Bett. An der gegenüberliegenden Seite ein einfacher alter Holztisch mit einem noch einfacheren Stuhl.

      »Was ... Wer ...«, Antilius brachte keinen vollständigen Satz heraus. Er war völlig perplex.

      Der Mann hinter dem Spiegelglas nickte verständnisvoll: »Schon gut. Ich verstehe schon. Glaube mir, du bist nicht der Erste, dem die Kinnlade herunterklappt. Stell dir vor, einmal ist jemand sogar schon in Ohnmacht gefallen, weil er dachte, ich wäre so eine Art böser Kobold, aber das mit der Ohnmacht hast du ja schon hinter dir, nicht wahr? Ich hoffe, du bist kein Wiederholungstäter.« Der Mann lächelte augenzwinkernd. »Gilbert.«

      »Was?«

      »Gilbert. Das ist mein Name. Und du bist ...«

      »Antilius. Wie ... wie bist du in den Spiegel geraten?«

      Gilberts Miene wurde ernster. »Du glaubst doch wohl nicht, du wärst der Erste, der mich so etwas fragt? Es ist eine lange Geschichte, die dich nur langweilen würde«, sagte Gilbert.

      »Wie du willst.« Antilius schaute noch einmal genauer in das Bild, das der Spiegel ihm bot. Gilbert trat sogar ein Stück zur Seite, damit er sein Zimmer genauer betrachten konnte. Hinter dem Fenster von Gilberts Zimmer strahlte ein hellblauer Himmel, der am Horizont auf eine gigantische Wildblumenwiese traf.


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