Kullmann und das Lehrersterben. Elke Schwab

Kullmann und das Lehrersterben - Elke Schwab


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Leute wirkten auf ihn aufgeklärter, als er selbst es zu seiner Schulzeit gewesen war. Sie schwangen Handys und große Reden. Jeder versuchte im Mittelpunkt zu stehen. Die Tatsache, dass hier ein Lehrer getötet worden war, schien keinen sonderlich zu treffen.

      Wenn Erik über seine eigene Schulzeit nachdachte, konnte er sich an keinen einzigen Lehrer erinnern, der ihm oder seinen Schulkameraden sympathisch gewesen wäre. Daran hatte sich wohl nicht viel geändert. Oder wie sonst konnte er sich das pietätlose Verhalten der Schüler erklären?

      Sie gelangten an das Bistro Max-Inn. Dort war die Tür verschlossen. Drin saßen nur zwei ältere Menschen, eine Frau und ein Mann.

      Jürgen Schnur hielt seinen Ausweis an die Glasscheibe. Daraufhin öffnete ihm die Frau, die sich als Hilde Probst vorstellte.

      Der Raum wirkte kahl und kalt. Die Wände waren gelb, die Theke verschwand hinter einer Glasscheibe und Kunststofftische und -stühle dienten mehr der Zweckmäßigkeit als der Gemütlichkeit. Die wenigen Blumen, die vor der Glasscheibe der Theke standen, wirkten deplatziert. Der Hausmeister saß zusammengekauert an einem der großen Tische in der Nähe der Theke und trank Wasser. Sein Gesicht war gerötet, seine Haut schweißnass.

      Schnurs erste Wut auf den Mann verflüchtigte sich bei diesem Anblick. Und nicht nur das. Er bekam Angst um den Hausmeister, der aussah, als stünde er kurz vor einem Schlaganfall.

      »Geht es Ihnen gut?«, fragte er zur Einleitung.

      »Nein! Tut mir leid. Aber das war zu viel für meine Nerven«, gestand der massige Mann. »Es ist nicht nur der Anblick von Bertram Andernach, der mir zu schaffen macht. Die Schüler haben sich benommen wie auf einem Jahrmarkt. Diese Scheiß-Handys, dieses Scheiß-Internet. Ich konnte sie nur mit Mühe davon abhalten, den Lehrer herunterzuholen.«

      »Warum kamen die Schüler so nah an den Toten heran?«

      Jetzt wurde es peinlich. Das Gesicht des Hausmeisters lief dunkelrot an, als er antwortete: »Ich hatte einfach nur aufgesperrt, bin durch die kleine Vorhalle zur gegenüberliegenden Tür, die ich ebenfalls wie jeden Morgen aufgesperrt habe, um dann meinen Kaffee zusammen mit der Köchin zu trinken. Wie jeden Morgen.«

      »Gehört es nicht zu den Aufgaben eines Hausmeisters, einen Kontrollgang durch die Schule zu machen?«

      Diese Frage traf genau in das Nervenzentrum des Hausmeisters. In Sturzbächen brach ihm der Schweiß aus. Da half ihm auch sein Taschentuch nichts mehr, um sich abzutrocknen.

      »Am Freitag war alles in Ordnung gewesen«, stammelte er.

      »Dazwischen liegt ein ganzes Wochenende«, klärte Schnur auf. »Das sind zwei Tage, in denen hier niemand nach dem Rechten gesehen hat.«

      »Was soll schon passieren?«, versuchte Ernst Plebe aufzubegehren. Doch seine Energie reichte dafür nicht aus. Wieder sackte er in sich zusammen und gestand: »Ich habe einen Fehler gemacht. Ich weiß.«

      »Ihr Fehler kostet uns wertvolle Spuren. Diese vielen Schüler erschweren unsere Arbeit erheblich.«

      Ernst Plebe wusste nicht, was der dazu noch sagen sollte. Zerknirscht schaute er den Hauptkommissar an.

      »Bertram Andernach heißt der Tote.« Damit wechselte Schnur das Thema. Sehr zur Erleichterung des Hausmeisters, der hörbar aufatmete. »War er beliebt unter den Schülern?«

      »Ich glaube, mit diesen Fragen sollten Sie sich besser an die Lehrerkollegen wenden. Oder an die Schüler selbst«, gab der Hausmeister zu verstehen. »Ich bin nur der Hausmeister. Mir sagt hier keiner was.«

      »Das werden wir auch tun.« Schnur nickte. »Und Sie sollten zum Arzt gehen.«

      Kapitel 5

      Der Schulhof glich einem Massenspektakel. Überall Schülerinnen und Schüler, deren Aufregung sich durch lautes Reden, Lachen und Kreischen ausdrückte. Als Erik Tenes und Jürgen Schnur aus dem Bistro Max-Inn heraustraten, herrschte für kurze Zeit eine ungewöhnliche Stille. Sie alle schienen in diesem Augenblick eine sensationelle Enthüllung zu erwarten. Doch als die beiden Polizeibeamten sich schweigend ihren Weg durch die Menge bahnten und auf das braune Schulgebäude zusteuerten, setzte das Stimmengewirr wieder ein.

      »Da kommt eine Menge Arbeit auf uns zu«, raunte Schnur.

      »Du willst doch nicht behaupten, dass diese Schüler alle ihre Spuren an dem Toten hinterlassen haben?«, fragte Erik verwirrt über Schnurs schlechte Laune.

      »Ich hoffe, dass der Hausmeister noch rechtzeitig eingreifen konnte. Aber nachdem ich den Mann kennengelernt habe, habe ich daran meine Zweifel«, antwortete Schnur. Abrupt blieb er stehen, so dass Erik ihm fast aufgelaufen wäre.

      »Was sehen meine trüben Augen?«, fragte er rhetorisch.

      Erik schaute in die gleiche Richtung und erkannte dort die Kollegen Esther Weis und Anton Grewe, die mit Zeugen sprachen. Kollegen von anderen Abteilungen leisteten ihnen Gesellschaft, was Schnur dazu verleitete zu sagen: »Es hat sich wohl schon herumgesprochen, dass wir hier mit einer Katastrophe konfrontiert sind.«

      »So bekommen wir das Chaos schneller in den Griff«, merkte Erik dazu an.

      »Stimmt! Das einzige, was mich daran stört, ist die Tatsache, dass Dieter Forseti diese Leute angefordert haben muss.« Schnurs Miene wirkte wütend. »Ich höre jetzt schon seine Kommentare.«

      Erik schwieg sich zu dem Thema aus. Für ihn war es eine Erleichterung gewesen, als Forseti zum Kriminalrat und Schnur zum Kommissariatsleiter aufgestiegen war. Nur leider hatte dadurch Schnur das Vergnügen mit Forseti ganz auf seiner Seite, worum ihn niemand beneidete. Also gab es nichts für Erik, was er hätte dazu anmerken können, ohne zu heucheln.

      Plötzlich hörte er eine Stimme dicht an seinem Ohr. »Das gibt es doch gar nicht!«

      Erschrocken schaute sich Erik um und sah direkt in das Gesicht der jungen Frau, die ihm erst am Morgen im Hausflur in Saarbrücken begegnet war. »Mirna?«, fragte er.

      »Du bist Bulle! Das ist ja mal heiß«, sprach sie ganz laut, so dass alle es hören konnten. »Und meinen Namen kennst du auch schon. Ganz schön clever!«

      Dicht hinter ihr stand ein junger Mann, der sie nicht nur genau beobachtete, sondern auch mit seinem Handy herumfuchtelte. Das war Eriks Wohnungsnachbar Yannik Hoffmann. Ihn erkannte er sofort.

      Schon spürte er eine Hand an seinem Gesäß. Hastig wehrte er sie ab und fragte: »Was tust du hier? Bist du Schülerin an dieser Schule?«

      »Ja und nein«, gab sie geheimnisvoll zurück, hielt ihm beide Handgelenke entgegen und flötete: »Bin ich jetzt verhaftet?«

      »Wenn du so weitermachst, ja«, knurrte Erik.

      »Oh wie süß! Das ist doch genau das, was ich will.«

      Jürgen Schnur beobachtete die Szene. Hastig entfernte Erik sich von Mirna und steuerte auf seinen Vorgesetzten zu.

      »Wer war das?«

      »Keine Ahnung!«

      »Was heißt hier keine Ahnung?«, hakte Schnur nach.

      »Das heißt, dass ich diese Frau nicht kenne.«

      »So, wie die dich angemacht hat?«, widersprach Schnur. »Antworte mir bitte ehrlich! Ich bin kein verblödeter alter Trottel, seit ich zum Dienststellenleiter befördert worden bin.«

      Erik gab nach und berichtete, wo seine erste und bisher einzige Begegnung mit Mirna stattgefunden hatte.

      »Und warum ist sie hier?«

      Als Erik mit den Schultern zuckte, wurde der Vorgesetzte ungehalten: »Kommt dir diese Frage nicht zufällig bei dem Gedanken, dass sie zur gleichen Zeit wie du das Haus verlassen hat und dann auch am Tatort anzutreffen ist?«

      Erik überlegte eine Weile, bis er endlich kapierte, was Schnur meinte. »Du denkst, sie wusste schon vor uns von dem Mord?«

      »Klar!


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