FCKNG New Year. Vivian Valentine

FCKNG New Year - Vivian Valentine


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hätte ich mit Sicherheit noch losziehen und etwas an die Dealer verteilen müssen. Aber die Clubs und das öffentliche Leben haben an diesem verschneiten Samstag eine Pause, die mir ein paar Stunden Freiheit verschafft. Ich werde nie verstehen, warum alle einen Tag im Leben brauchen, um sich einzureden, dass sie sich endlich ändern wollen. Diese Narren! Gedanklich rede ich mich in Rage.

      Mal ehrlich, was soll dieser Zirkus? Wenn du abnehmen willst – nimm ab! Du willst mit dem Rauchen aufhören? Fein! Tu es, verdammt! Kein beschissener Tag dieser Welt macht einen besseren Menschen aus dir, wenn du nicht einfach anfängst!

      Ich atme tief durch und mahne mich selbst zur Ruhe. Gedanklich sage ich mir immer mein Mantra auf, um meine innere Unruhe einzudämmen. Oft kann ich nichts gegen meine aufwallende Aggression tun, aber manchmal hilft es mir, wenn ich mir die folgenden Worte aufsage:

       »Wenn du den inneren Schmerz nur lang genug erträgst, wirst du eines Tages der Sieger sein.«

      Das ist es, was ich will: zuerst der Anführer und dann der König sein. Denn dann wird niemand mehr über Paul Wilson lachen und ihn in der Gegend herumschubsen! Und inneren Schmerz habe ich weiß Gott genug, um damit der König der Welt werden zu können! Aber es bringt eben nichts, sich um andere Leute einen Kopf zu machen. Jeder soll tun, was er für richtig hält, und ich fokussiere mich ausschließlich auf mich.

      Nachdem ich mich beruhigt habe, schnappe ich mir meinen Helm und die Schlüssel. Halbwegs gut gelaunt verabschiede ich mich von Josh und verabrede mich gegen acht mit ihm zum Essen.

      Zum Glück darf ich mein Bike mitnehmen und erfahre keine weiteren Konsequenzen durch Reed. Zu meinem Appartement in Strathcona ist es nicht allzu weit und ich höre mein Bett schon rufen.

      Kaum, dass ich mich auf das Bike geschwungen habe, ärgere ich mich über den verdammten Schnee. Eigentlich sind die Winter in Vancouver vergleichsweise mild, aber dieses Jahr ... Fuck. Fast rutsche ich weg. Konzentriert ordne ich mich in den fließenden Verkehr ein. Ein paar Minuten genieße ich den eisigen Fahrtwind, bis mir einfällt, dass ich seit Tagen nichts mehr von meiner Mom gehört habe. Ich halte kurz vor der Abzweigung, die ich hätte nehmen müssen und checke mein Handy. Leider ist keine Nachricht von Noreen Wilson dabei. Hätte ja sein können, dass ich sie im Suff übersehen habe.

      »Verdammt Scheiße!«, fluche ich laut und sehe mich um. Als die Straße frei wird, brettere ich darüber, um statt nach Strathcona in die Nähe von Downtown zur East Hastings Street zu fahren. Krampfhaft versuche ich, mich zu erinnern, wann ich überhaupt das letzte Mal etwas von meiner Mom gehört habe, die ausgerechnet in diesem beschissenen Viertel, in Kanadas Drogenhochburg lebt.

      Vor ihrem Appartementhaus angekommen, streife ich den Helm ab und blicke angewidert auf die schmutzigen Gestalten, die sich mitten auf der Straße einen Schuss setzen. Ich bin hier aufgewachsen, zwischen hunderttausend Junkies und Säufern. Ohne jede Perspektive oder Hoffnung. Einzig das Elend, was mich jeden Tag aus seinen fahlen Augen angestarrt hat, hat mich davon abgehalten, selbst zum Junkie zu werden, auch wenn ich natürlich mal was probiert habe, um all das hier ertragen zu können. Meine Mom war leider nie so stark und ist komplett abgerutscht. Und heute habe ich ein seltsames Gefühl, als ich bei ihr vor der Tür stehe.

      Wie ein Irrer drücke ich den Klingelknopf. Nichts passiert, also krame ich den Schlüsselbund aus der Seitentasche meiner Cargohose und öffne mir selbst. Mein Herz schlägt noch ein wenig schneller als ich die Stufen zu der Dachgeschosswohnung hinaufjage. Ich rede mir ein, dass das nur an der blöden Erkältung liegt. Es wird schon nichts passiert sein. Immerhin ist Noreen wie Unkraut. Es vergeht nicht. Zwar säuft sie wie ein Loch, aber sie hat sogar noch einen Job an der Tankstelle, wo sie sich mehrmals die Woche hinschleppt.

      Hastig poltere ich durch die Wohnung. Es stinkt und immer wieder muss ich würgen. Als ich das letzte Mal hier war, roch es zwar wie in der Schnapsfabrik, aber weder nach Urin noch nach Gras. »Mom?! Wo steckst du?«

      Sie war vermutlich die schlechteste Mutter aller Zeiten, aber verfickte Scheiße! Sie ist meine Mutter! Und sie hat es immerhin versucht. Hat es sogar geschafft, mich an der Saint Patrick High School, eine der besten Schulen in der Nähe Downtown Eastsides, anzumelden. Ist ja nicht ihre Schuld, dass ich die kurz vor dem Abschluss geschmissen habe, um Geld zu verdienen.

      Ich werde immer vorsichtiger, als ich die kleine Wohnung fast durchquert habe und auf ihr Schlafzimmer zusteuere. Früher war das mein Zimmer, aber seit ich dem MC beigetreten bin, habe ich es ihr überlassen und mir eine eigene Bude gesucht. Mein Puls galoppiert mir fast davon, als ich die leicht offenstehende Tür weiter aufdrücke. Erneut erfasst mich eine Welle der Übelkeit und fast kotze ich auf den ohnehin widerlichen Teppich. Die Gardinen sind verschlossen und eine Gestalt liegt regungslos auf dem unordentlichen Bett. Würgend trete ich an meine ehemalige Schlafstätte und berühre die Frau, die kaum noch Ähnlichkeit mit meiner Mom hat.

      »Mom?« Ich rüttle vorsichtig an ihr, ob sie ansprechbar ist. Ihre Haut fühlt sich kalt und irgendwie schwammig an und ich kann nicht mehr verhindern, dass mich Panik erfasst. »Mutter! Ich bin’s Paul!« Sie rührt sich nicht.

      Damit ich einen besseren Überblick bekomme, lasse ich von ihr ab, reiße die Gardinen auf und öffne das Fenster. Gierig sauge ich einen Schwall frische Luft ein, bevor ich den Atem anhalte und mich auf meine Erzeugerin stürze. Sie hat sich übergeben und wirkt komplett heruntergekommen. Da ich zumindest keine äußeren Verletzungen erkennen kann, hebe ich sie behutsam vom Bett und lege sie auf den Boden. Ich hole mein Handy heraus und halte es ihr vor den Mund. Es beschlägt. Sie atmet. Gott sei Dank. Sofort bringe ich sie in die stabile Seitenlage, auch wenn sie sich vermutlich nicht noch mal übergeben muss, und wähle den Notruf. Innerlich bin ich froh, keine Mund-zu-Mund-Beatmung machen zu müssen, wenn ich mir das Desaster um mich herum ansehe. Immer wieder checke ich ihren Puls, um ganz sicherzugehen, dass er noch da ist. Auch wenn er schwach ist, ist er vorhanden. Die Dame in der Notrufzentrale versichert mir, dass sofort ein Krankenwagen kommen wird, und fragt mich, ob sie dranbleiben soll, falls weitere Maßnahmen notwendig werden. Ich überzeuge sie, dass ich in Erste Hilfe ausgebildet bin und lege auf. Missmutig sehe ich mich um. Überall liegen Whiskyflaschen und Bierdosen herum. Sehr zu meinem Missfallen riecht es streng nach Gras und Zigaretten. Sicher, ich habe früher auch mal gekifft und war es, der das Zeug mit nach Hause geschleppt hat, aber Noreen ist doch eine erwachsene Frau, die es ihrem dämlichen halbstarken Sohn nicht hätte nachmachen sollen. Ich spüre, wie die Wut in mir fast überkocht, als ich zudem auch noch ein Tablett mit einer Nadel und weißen Pulverrückständen auf dem Bett finde.

      »Verflucht, Mom«, murmle ich. Als wäre die Sauferei und Kifferei nicht schon schlimm genug! Ich hocke mich wieder neben sie und fahre mir mit den Händen über mein Gesicht. Fucking New Year. Genau das ... niemand ändert sich, nur weil ein neues Jahr mit ein paar Raketen begrüßt wird. Meine Wut verraucht dieses Mal fast von allein, dafür ist es eine tiefe Resignation, die mich überfällt. Zum Glück klingelt es an der Tür und die Sanitäter übernehmen. Ich fühle mich mies, frage mich, ob ich etwas hätte tun können, um das hier zu verhindern, aber verdammt, mir fällt nichts ein. Seit ich die Highschool geschmissen habe und dem MC beigetreten bin, geht es mir deutlich besser als zu der Zeit, in der ich bei Noreen gelebt habe. Wenn ich geblieben wäre und versucht hätte, ihr zu helfen, dann hätte diese toxische Umgebung mich bloß weiter in den Abgrund gezogen. Ich hasse Alkohol und verabscheue Drogen und doch ist mir beides leider nicht fremd.

      Mit leerem Kopf beantworte ich die Fragen der Sanis und sehe zu, wie sie abtransportiert wird. Innerlich kapsle ich mich ab, denn ich will den ganzen Scheiß nicht. Will diese Gefühle nicht, die diese Situation in mir auslöst. Mein Leben lang schon, muss ich mir Sorgen um sie machen! Es ist zu viel!

      So traurig ich auch bin und so sehr ich auch ein schlechtes Gewissen habe, weil ich mein Geld ebenso unter anderem mit dem Verkauf von Drogen verdiene, so sehr sage ich mir auch, dass jeder eine Wahl hat. Wenn ich mir die ekelhafte Wohnung meiner Mutter so reinziehe und das Elend unten in der Straße, stehe ich definitiv auf der besseren Seite. Nicht auf der Richtigen, aber immerhin.

      Nachdem sie Noreen weggeschafft haben, sehe ich mich noch kurz etwas um. Offenbar hat sie alles zu Geld gemacht, was wir noch hatten, denn die Wohnung wirkt kahl und kalt. Ich stütze


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