Mythos, Pathos und Ethos. Thomas Häring

Mythos, Pathos und Ethos - Thomas Häring


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Ruder gelaufen. Die sollte ja nur meinen Sturz mit verursachen und beschleunigen, aber doch nicht plötzlich ein politisches Eigenleben entwickeln und sich selber als Kandidatin für den Parteivorsitz aufstellen lassen. Da ist dem Gunnar ganz anders geworden. Die war nicht mehr zu kontrollieren und hat sich nur noch an sich selbst und ihrer ständigen Medienpräsenz berauscht." "Bei Dir war das früher oft auch nicht anders." "Mag sein, aber ich hatte mir die Kamerabeobachtung auch redlich verdient. Und überhaupt: Als ob es in der Geschichte der CSU eine Frau schon mal zu was gebracht hätte. Schau ruhig nach in den Parteiarchiven, mit Ach und Krach wirst Du da die eine oder andere unbedeutende Ministerin finden, aber das war es dann auch schon gewesen." "Ist ja gut Egmont, krieg Dich wieder ein. Also schön, wenn das so ist, dann beende ich hiermit unseren Ehestreit. Aber daß Du mir damals nicht erzählt hast, daß Du Dich doch mit der Mauli getroffen hast, das werde ich Dir nicht verzeihen." "Papperlapapp! Ich habe damals mit so vielen Leuten reden müssen, das ging alles so schnell und irgendwie drunter und drüber, da habe ich mir nicht jedes unwichtige Gesicht gemerkt. So und jetzt möchte ich Zeitung lesen."

      Lebe jeden Tag als wäre er Dein letzter

      Hätte sich Gunnar Blackschein an jene Devise gehalten, zumindest in Bezug auf sein politisches Leben als Bayerischer Ministerpräsident, dann hätte er höchstwahrscheinlich anders gehandelt als er es letztendlich getan hatte. Im festen Glauben, bayerische Landtagswahlen dienten lediglich der Bestätigung der CSU-Alleinherrschaft für weitere fünf Jahre, werkelte er bei seiner ersten und insgesamt auch einzigen Kabinettsumbildung nicht großartig herum, sondern beschränkte sich auf das Notwendigste. Schließlich ging er felsenfest davon aus, ein Jahr später noch einmal die Gelegenheit zu einer richtigen Kabinettsbildung zu bekommen. Also verjüngte er sein Kabinett lediglich ein wenig und machte es etwas weiblicher, mehr aber auch nicht. Zuber wurde neuer Finanzminister und da der nach seinen eigenen Plänen 2009 nach Berlin in die Bundesregierung gehen wollte, um dort das Gewicht der CSU zu stärken, hatte Blackschein auch noch die Option, ein Jahr nach den Landtagswahlen etwas im eigenen Kabinett zu verändern. Also immer mit der Ruhe, bloß ned hudln, ganz gemächlich beschritten die "beiden Maczynskis", wie der parteiinterne Spöttermund Blackschein und Zuber schon getauft hatte, jeweils ihren neuen Thron und ließen sich vom Fußvolk feiern. An der überaus erfolgreichen CSU-Politik wollten sie sowieso nicht viel ändern, nur der Regierungsstil sollte wieder volksnaher und weniger abgehoben werden. So dümpelte alles vor sich hin, von einem Aufbruch war in keinster Weise was zu spüren, aber irgendwie konnte man das durchaus nachvollziehen. Die CSU war schließlich die erfolgreichste Partei Europas, sie stand im Zenit ihrer Macht und Umfragewerte von 58 Prozent Zustimmung in der bayerischen Bevölkerung vom Juli 2007 ließen erahnen, daß Gunnar und Merlin da ein fettes Erbe in die Hände bekommen hatten, das sie innerhalb eines Jahres unmöglich verspielen oder verschleudern würden können. Alles schien perfekt, der Übergang vom autoritären Sträuber zu den Teamplayern Blackschein und Zuber war scheinbar gelungen und so freute man sich in der CSU in allererster Linie darüber, daß nach vielen anstrengenden, nervenaufreibenden Monaten, endlich wieder Ruhe eingekehrt war. Die beiden Neuen genossen ihre neue Macht und Zuber legte in Berlin in der Großen Koalition einen durchaus passablen Start hin. Irgendwie waren halt alle froh darüber, daß Egmont Sträuber endlich von der politischen Bildfläche verschwunden war, seine Aktenberge waren ihnen allen noch in allzu guter Erinnerung geblieben.

      Andrea Gerkel unterhielt sich mit Dan Mützewirsing über die wichtigsten Dinge. "Also, den Sträuber werde ich bestimmt nicht vermissen. Der hat immer so eine Hektik reingebracht", ließ sie verlauten. "Na ja, Hauptsache wir verstehen uns, damit ein reibungsloses Zusammenarbeiten in der Koalition weiterhin möglich ist", fand Mütze. "Aber der Zuber und der Blackschein werden jetzt hoffentlich nicht die ganze Zeit nur ihre Landtagswahl in Bayern im Blick haben und alles, was sie tun, danach ausrichten." "Das glaube ich nicht. Der Sträuber hat denen doch ein Programm vorgeschrieben, das bis ins Jahr 2020 reicht, da können und werden die bestimmt keine eigenen Akzente entwickeln." "Wollen wir das Beste hoffen. Ach ja, Dan, die Hälfte unserer gemeinsamen Regierungszeit ist jetzt bald vorbei und wir wissen ja Beide, daß es nach den vier gemeinsamen Jahren in der Großen Koalition dieses Bündnis aller Voraussicht nach nicht länger geben wird." "Wollen wir das Beste hoffen." "Ja, wir werden irgendwann wieder getrennte Wege gehen und ab und zu knirscht es bei uns ja auch mächtig im Gebälk." "Was soll das jetzt wieder heißen?" "Na ja, dieser Post-Mindestlohn, also irgendwie bin ich da jetzt doch dagegen." "Also das ist ja wirklich unglaublich! Dabei haben Sie vor ein paar Monaten noch das Gegenteil behauptet gehabt." "Ach Dan, Du weißt doch wie das bei mir ist: Heute so, morgen so und übermorgen sowieso. Was kümmert mich mein Gesetz von gestern?" "Wenn das so ist, dann kann ich ja gleich zurücktreten. Meine Frau ist ohnehin schwer krank, von daher ist das sowieso die beste Lösung." "Komisch, Dan. Immer im Oktober oder November trittst Du von irgendwas zurück. Das hat wohl mit der Jahreszeit zu tun." "Mir egal. Machen Sie’s gut, Frau Gerkel, vielleicht sieht man sich ja irgendwann mal wieder." "Ja, das wäre schön. Viel Glück und Erfolg für Ihre neue Aufgabe, hoffentlich setzen mir Ihre Genossen jetzt nicht den Bert Kuck vor die Nase." "Ganz bestimmt nicht, der ist nämlich viel lieber Oppositionsführer als Bundesminister." "Na, da bin ich aber beruhigt."

      Und so endete Mitte November 2007 Dan Mützewirsings Amtszeit als Bundesarbeitsminister und im Grunde war damit auch schon die Große Koalition am Ende, auch wenn sie sich noch zwei weitere Jahre durchschleppen sollte.

      Was also blieb übrig am Ende jenes ungewöhnlich gewöhnlichen Jahres 2007? Eine CSU ohne Egmont Sträuber und Heidemarie Mauli, denn die Beiden hatten in der Partei fortan überhaupt nichts mehr zu sagen, wohl als Strafe dafür, daß viele Monate lang nur von ihnen die Rede gewesen war. Als Ersatz dafür hatte die "schwarze Bestie" Gunnar Blackschein und Merlin Zuber nominiert, Torsten Feehoffer dagegen blieb in Lauerstellung und wartete auf bessere Zeiten für sich, die aber erst dann kommen konnten, wenn seine Christlich Soziale Union schlechtere Zeiten erlebte. Es gab fortan eine SPD ohne Dan Mützewirsing, aber dafür mit einem wiedererstarkten Bert Kuck, des Weiteren eine CDU, über der einsam und allein eine Bundeskanzlerin Andrea Gerkel schwebte, die mit den Niederungen der Innenpolitik so wenig wie möglich zu tun haben wollte. Fast schon präsidial regierte sie und war darob äußerst beliebt im Land. Ja, der G8-Gipfel in Heiligendamm sollte vielleicht noch erwähnt werden, wo sich die Linken aller Herren Länder ein Stelldichein gaben, um gegen die aus ihrer Sicht falsche Politik der reichsten Länder zu demonstrieren. In der Wirtschaft ging es mal wieder drunter und drüber, die nächste Blase drohte zu platzen und die deutsche Politik schaute gebannt auf die anstehenden Landtagswahlen in Niedersachen, Hessen und Hamburg. Also alles wie immer, jede/r schmorte im eigenen Saft und drehte sich um sich selbst.

      Aber es gab auch Menschen, für die alles anders als früher war. Heidemarie Mauli zum Beispiel, die sich mit einem Nürnberger Parteifreund unterhielt. "Schöne Scheiße! Jetzt habe ich quasi alles verloren, was ich mir jemals erarbeitet habe", beklagte sie sich. "Tja, das Volk liebt halt eben nach wie vor nur den Verrat, aber nicht den Verräter", konstatierte jener. "Aber die Verräter waren doch Zuber und Blackschein, jedoch ganz bestimmt nicht ich!" "Die Einen sagen so, die Anderen meinen das Gegenteil." "Das war doch alles ein abgekartetes Spiel. Der Gunnar hat mich erst hereingelegt und dann brutal auflaufen lassen. Zunächst hat er mich immer ermuntert und unterstützt, er war genauso wie wir alle hier der Meinung, daß der Sträuber 2008 nicht mehr als Spitzenkandidat der CSU antreten soll." "Na klar, aber das durfte er natürlich nicht öffentlich sagen. Deshalb befand sich der Blackschein immer in der Zwickmühle, Du dagegen konntest frei von der Leber weg reden und fordern, denn Du hattest nichts zu verlieren." "Oh doch, nämlich meinen guten Ruf. Und wie stehe ich jetzt da in der öffentlichen Meinung? Die Leute beschimpfen mich als Hexe oder Eso-Spinnerin, ich bin überall unten durch und habe scheinbar meine Schuldigkeit getan, weshalb ich jetzt gehen kann." "Mag sein, aber so ganz unschuldig an der ganzen Situation bist Du nun auch wieder nicht." "Aber was habe ich denn getan? Interviews gegeben, wenn man mich darum gebeten hat. Fotos von mir machen lassen, wenn man es mir vorgeschlagen hat. Das sind doch keine Verbrechen." "Das nicht, aber viele Leute hatten nach einer Weile halt den Eindruck gewonnen, Dir würde es nur noch um die eigene Selbstdarstellung gehen, weshalb sich die öffentliche Meinung irgendwann gegen Dich gewendet hat." "Aber ich wollte doch nur das Beste für die Partei." "Ja, das haben wir dank Dir auch erreicht,


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