Mythos, Pathos und Ethos. Thomas Häring
Aufschrei, von wegen Spitzel-Affäre und so. Die CSU-Spitze versuchte vergeblich, alles herunterzuspielen, doch das gelang nicht. Der Unmut an der Basis wuchs beträchtlich, ja beinahe stündlich. Sträuber hatte Blackschein, Öder und Kehrmann zu sich zitiert, um ihnen den Kopf zu waschen. "Was ist denn da los bei Euch in Franken? Wieso habt Ihr Vollidioten Euren Laden dort nicht im Griff?" fragte er verärgert. "Ach, das sind nur die Stimmen von ein paar Außenseitern in der Partei", wiegelte Öder ab. "Ganz genau. Ein paar Wichtigtuer wollen bekannt werden und deshalb fordern sie so einen Schwachsinn", fügte Blackschein hinzu. Man brauchte nicht extra zu erwähnen, daß die Herren ein wenig zitterten, denn der Zorn des Sträuber konnte jeden treffen und war gewaltig. "Und was ist das dann für ein Forum im Internet, auf dem sich angeblich alle meine Gegner tummeln und sich über mich und meine Zukunft auslassen?" forschte Egmont. "Ach, das sind doch alles Spinner, vielleicht sollten wir die vom Verfassungsschutz beobachten lassen", schlug Kehrmann vor. "Jochen, ich weiß Deine Hilfsbereitschaft wirklich zu schätzen, aber ich habe bereits eine Spitzel-Affäre am Hals. So was Blödes, jetzt mußte ich meinen lieben Nick Dröhnberger versetzen und das nur, weil da so ein Franke seinen Mund nicht halten hat können und der Mauli alles weiter erzählt hat. Was ist diese Partei bloß für ein Sauhaufen!" tobte Sträuber. Die Herren fühlten sich nicht sonderlich wohl und wollten gehen, doch da fiel Sträuber noch etwas ein. "Und was bildet sich dieser Nürnberger Bürgermeister Geselle eigentlich ein, der vor einer nochmaligen Kandidatur von mir warnt und ein Mitgliedervotum fordert?" Betreten schauten sich die drei Männer an, bevor Öder erklärte: "Das sind doch alles Einzelmeinungen, die sollte man nicht überbewerten." "Ja, aber es steht in der Süddeutschen, das lesen jetzt alle in ganz Deutschland und denken sich, was ist denn nun in Bayern schon wieder los." Sträuber holte die Zeitung hervor und las: "Der sagt doch auf Veranstaltungen tatsächlich: "Bislang haben wir mit Sträuber eine Zweidrittelmehrheit erreicht, künftig müssen wir versuchen, trotz Sträuber eine Mehrheit zu erringen" und behauptet auch noch, daß dieser Satz überall auf große Zustimmung stoßen würde. Ja spinnt Ihr in Franken jetzt komplett?" Die Männer schauten verlegen auf den Boden, Sträuber las weiter, regte sich noch mehr auf und meinte dann: "Also gut, wenn das so ist, dann müssen wir uns Anfang Januar in Wildbad Kreuth zusammensetzen und Fakten schaffen." Die Drei nickten.
Das Weihnachtsfest 2006 konnte Sträuber nicht wirklich genießen, denn immerzu beschäftigten ihn die Zeitungsberichte, in denen alle möglichen CSU-Hanseln ein Mitgliedervotum forderten, bei dem entschieden werden sollte, wer die CSU 2008 als Spitzenkandidat in die Landtagswahl führt. "Die schreiben das schon ganz richtig in der Süddeutschen: Der Blackschein hat seinen Laden nicht mehr im Griff", konstatierte Sträuber am Mittagstisch. "Ach Egmont, können wir nicht mal über was Anderes als über Deine CSU reden?" erkundigte sich seine Frau leicht gelangweilt. "Es geht hier um meine Zukunft und um die Zukunft der Partei. Jeden Tag meldet sich ein weiterer unwichtiger CSU-Hanswurst zu Wort und behauptet, so könne es nicht mehr weitergehen. Und diese Mauli ist ohnehin von allen guten Geistern verlassen." "Wie kommst Du denn jetzt darauf?" "Das ist doch alles kein Zufall, sondern eine geschickt gesponnene Intrige. Der Blackschein hat der bestimmt einen Posten als Staatssekretärin oder vielleicht sogar als Ministerin versprochen, wenn sie für ihn die Drecksarbeit erledigt und mich aus dem Weg räumt." "Also Egmont, jetzt wirst Du wirklich langsam paranoid." "Du hast einfach überhaupt keine Ahnung von Politik, Kathrin. Sobald das Alphatier, in dem Fall bin ich das, ein bißchen schwächelt, kommen die anderen Parteiviecher aus ihren Löchern gekrochen und greifen an. Nicht umsonst lautet die Steigerung: Freund, Feind, Parteifreund." "Jetzt beruhige Dich doch erst mal. Vielleicht solltest Du einfach nur mal mit der Mauli reden." "Mit der gibt es nichts zu reden." "Aber die kommt doch auch zum Neujahrsempfang." "Na und? Da wird ihr kurz die Hand geschüttelt, ein Sprücherl aufgesagt und das war es dann. Was bildet sich diese Frau eigentlich ein? Ich habe für solche Kindereien keine Zeit, ich habe Wichtigeres zu tun. Scheiß Franken! Man hätte es doch vom restlichen Bayern abspalten sollen, die sind doch ohnehin alle evangelisch dort, diese ewigen Revoluzzer!" schimpfte Sträuber in seinen nicht vorhandenen Bart hinein. Kathrin schmunzelte ein wenig und aß danach weiter.
"Warum sind wir nicht Weltmeister geworden? Weil unsere Spieler schon die Hosen voll hatten, als sie gegen die Italiener den Platz betraten. Und mit einer voll geschissenen Hose spielt es sich bekanntlich schwer", verkündete Sträuber am Silvesterabend im Kreise seiner Familie. Seine Kinder verdrehten die Augen, ihre Partner grinsten verlegen und Sträuber fuhr fort: "2002 hatten wir Pech, weil unser Titan im entscheidenden Moment schwächelte. Aber nun hatten wir eine WM daheim, also quasi andauernd Heimspiele und dann werden wir nur Dritter. Dabei haben wir im Viertelfinale Argentinien ausgeschaltet. Und wer wird Weltmeister? Die Italiener! Ausgerechnet die Italiener, die den mit Abstand unattraktivsten Fußball gespielt haben und sich gegen Australien mit einer Schwalbe um die Verlängerung in Unterzahl gemogelt haben. Das kann doch einfach nicht sein! In Berlin wurschtelt die Große Koalition vor sich hin, in Bayern geht es seit Wochen drunter und drüber und das alles nur, weil diese blöden Fußballer gegen Italien kein Tor geschossen haben." "Also ich sehe jetzt nicht, was da das Eine mit dem Anderen zu tun hat", gestand einer seiner Schwiegersöhne. "Aber das ist doch ganz klar: Der Sport ist das Wichtigste überhaupt. Gleich danach kommt die Wirtschaft und darauf folgt dann mit weitem Abstand die Politik. Jetzt weiß ich auch, warum der Schräder nicht die WM noch abwarten wollte, sondern schon vorher wählen hat lassen. Zum Einen natürlich, um mich als Bundeskanzler zu verhindern und weil ihm schon klar war, daß die Deutschen nicht Fußballweltmeister werden würden." "Also das ist doch jetzt wirklich an den Haaren herbeigezogen", glaubte sein anderer Schwiegersohn. "Aber ganz und gar nicht. Der Fohl wurde 1998 abgewählt, weil Deutschland schon gegen Kroatien rausgeflogen ist, 1990 wurde er wiedergewählt, weil wir Weltmeister geworden waren." "Und was war dann 1986 und 1994?" wollte sein Sohn Dennis wissen. "1986 kamen wir bis ins Finale und dort hatten wir ein Torwartproblem, damit konnten die Leute leben, außerdem fand die Wahl erst 1987 statt, da hatten sie das Ganze schon wieder vergessen. Außerdem wird ein Kanzler nach seiner ersten Amtsperiode fast immer noch einmal gewählt, das ist in Amerika ja auch so. 1994 wäre der Fohl schon fällig gewesen, aber da hat ihn der Paarping gerettet. Wenn wir jetzt Weltmeister geworden wären, dann hätte die Euphorie im Land vier Jahre lang angehalten und die Leute wären alle viel besser drauf." Na ja, dem konnte man nicht widersprechen, deshalb nickten alle und Egi war zufrieden.
Schlimmer konnte das neue Jahr für Egmont Sträuber nicht beginnen. "Sacklzefix! Jetzt muß ich auch noch mit der blöden Schnepfe reden!" entfuhr es ihm. "Ach, hast wieder einen Termin bei der Gerkel, Chef?" fiel Zuber dazu ein. "Nein, mit der blöden Mauli muß ich am 22.Januar reden. Ich weiß gar nicht, was ich zu der sagen soll." "Ach, sag ihr doch einfach, daß sie eine blöde Kuh ist und daß sie von jetzt an es Maul halten soll." "Das würd ich ja gerne, aber das geht leider nicht. Wenigstens ist mir jetzt der Torsten Feehoffer beigesprungen, nachdem der Samrauer meine Posten voneinander trennen wollte, der alte Verräter." "Ja, Hans-Peter reimt sich nicht umsonst auf Verräter. Aber dem Torsten solltest Du lieber auch nicht trauen, Chef, weil der will ja auch nur Deine Posten." "Du etwa nicht, Merlin?" "Ich, nein, aber natürlich auf gar keinen Fall, wo denkst Du hin Chef. Obwohl, wenn ich es mir recht überlege." "Weiche von mir, Brutus!" "Aber Chef, ich bin doch Dein bester Mann." "Pah, das glaubst Du doch wohl selber nicht!" "Doch." "Merlin, geh jetzt! Ich muß mir Gedanken über meine und Deine Zukunft machen." "Da wär ich aber schon lieber dabei, wenn’s auch um mich geht." "Schleich Di!" So trottete Zuber von dannen.
Mitte Januar fühlte sich der große Sträubär wieder etwas besser und stärker, er hatte in Friedberg eine Rede gehalten und dafür Applaus bekommen. Klar, es waren keine Jubelstürme mehr wie früher, die Begeisterung im Parteivolk über ihn hatte schon lange nachgelassen, aber er hatte noch einen Trumpf im Ärmel. "Wer soll es denn machen außer mir? Ich bin doch der Einzige in dem Laden hier mit Kompetenz", stellte er klar. "Jawohl", bestätigte ihm der örtliche Landtagsabgeordnete. "Ich würde ja zurücktreten, wenn sich meine Nachfolger einigen könnten. Aber die haben ja schon 2005 eindrucksvoll bewiesen, daß sie es nicht hinbekommen." "Nein, die können es nicht. Außerdem stehen Sie, wie ich ja in meiner Rede bereits erwähnt habe, eigentlich voll im Saft." "Absolut richtig. Und als Sie sagten, daß die Mehrheit des Landkreises zu meiner Kandidatur steht, da gab es auch Applaus." "Sehr richtig, Herr Ministerpräsident und genau auf solche Zeichen kommt es doch an." Sträuber atmete hörbar auf und tief durch. Vielleicht gab es ja doch noch eine