Mythos, Pathos und Ethos. Thomas Häring

Mythos, Pathos und Ethos - Thomas Häring


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Dieses faule deutsche Volk ist fett und müde geworden. Die Leute sitzen träge vor dem Fernseher und schimpfen auf die Politik. Dabei sollten sie sich mal bewegen, flexibler werden und nicht meinen, der Staat würde schon alles für sie richten und erledigen." "Tja, die sind halt an den guten alten Sozialstaat gewöhnt und die im Osten noch mehr." "Das ist ja das Schlimme an der ganzen Sache. Eigenverantwortung klingt für die meisten Menschen im Land wie eine Drohung." "Na ja, wir reden uns leicht, wir sind ja abgesichert und fallen nicht tief. Stellen Sie sich doch zum Beispiel mal vor, wie die Kollegen von der FDP aufheulen würden, wenn ihre Partei eines Tages nicht mehr in den Bundestag käme. Da wäre das Geschrei groß." "Lieber Lothar, das ist eine hypothetische Frage, die Sie da aufwerfen, denn wir wissen Beide, daß die FDP immer ins Parlament gewählt werden wird." "Man wird ja wohl noch mal träumen dürfen", murmelte der Innenminister leicht verstimmt. "Und überhaupt, wann wechseln Sie denn endlich zu uns? Von Ihrer Politik her gehören Sie ja ohnehin schon längst zu unserer Partei." "Ach, wissen Sie, in meinem Alter reitet man weiter auf dem jahrelang gewohnten Pferd in den Sonnenuntergang." "Ein schönes Bild. Oh, was sehe ich da, ein Bierdeckel. Dürfte ich Ihnen darauf ganz kurz mein Konzept für eine Steuerreform vorstellen?" "Nein danke, dafür habe ich jetzt leider keine Zeit. Hat Euch das Debakel mit dem Kirchdorf denn noch nicht gereicht?" "Ganz im Gegenteil, jetzt bin ich nämlich mehr denn je von meiner Steuerreform überzeugt, nach der die Steuerpflichtigen ihre Einkommensteuererklärung zukünftig auf einem Bierdeckel machen werden können." "Du meine Güte, hört das denn niemals auf?" "Die Rechnung kommt zuletzt." "In unserem Fall zum Glück nicht, hier ist sie nämlich schon. Ich muß weg." "Typisch Sozi! Erst die Kosten verursachen und dann nicht dafür blechen wollen."

      10.10.2005: Ganz Deutschland war von Anhängern der Großen Koalition besetzt. Ganz Deutschland? Nein, ein kleiner Bezirk in Bayern kämpfte tapfer gegen die schwarz-roten Eindringlinge und wehrte sich entschlossen gegen die Krönung ihrer Anführerin Andrea Gerkel. Lustig daran war allerdings, daß es sich dabei um Störfeuer aus den bayerischen Wäldern handelte, nämlich um den Bezirk Oberpfalz, dessen SPD-Delegierte es sich weder vorstellen konnten noch wollten, mit ihren Stimmen jene Frau Gerkel zur Kanzlerin zu wählen. "Ausgerechnet die Bayern-SPD", werden sich Schräder und Mützewirsing in jenem Moment gedacht haben, als sie das Fax aus Regensauf in den Händen hielten. "Mit der hat man doch nur Ärger." Seit Jahrzehnten im Landtag in der Opposition, deshalb verständlicherweise weit weg von der Realität und bereits bei der Agenda 2010 mit lauten Protesten und einer Unterschriftensammlung in den eigenen Reihen unrühmlich aufgefallen. "Was wollen die Deppen da unten nur von uns?" hat Bernd vielleicht den Dan gefragt und der hat wahrscheinlich nur mit den Schultern gezuckt. Ja, was wollten die denn eigentlich, diese Unzufriedenen aus dem tiefsten Bayern?

      Sie hatten Angst vor einer Austrittswelle ihrer Mitglieder und das konnte man durchaus nachvollziehen, denn nachdem schon viele Genossen wegen der Agenda 2010 aus der Partei ausgetreten waren, konnte es leicht sein, daß etliche wegen der Großen Koalition folgen würden. Und wenn man ohnehin schon so einen schweren Stand bei den bayerischen Wählern hatte, dann würde einem ein solcher Aderlaß natürlich noch mehr schaden. Deshalb also das ganze Theater, doch würde es wirklich etwas nützen? Na ja, das blieb abzuwarten, vermutlich eher nicht. Hauptsache, man hatte laut aufgeschrien und damit allen Menschen im Land, insbesondere den eigenen Parteimitgliedern, gezeigt, daß man auf jene Große Koalition unter der Führung von Kanzlerin Gerkel nur zu gerne verzichten würde, wenn man denn nur könnte. Aber war das alles mehr als ein symbolischer Protest?

      Mitte Oktober 2005: Jedoch hatte die Andrea noch ganz andere Probleme, die aus ihrer Sicht weitaus schwerwiegender waren. Sie hatte mal wieder Ärger mit Egmont Sträuber, nicht zum ersten und ganz bestimmt auch nicht zum letzten Mal. Der wollte neben sich selbst unbedingt Torsten Feehoffer als CSU-Minister durchdrücken, ausgerechnet den, den sie überhaupt nicht leiden konnte, weil er aus ihrer Sicht mindestens ein halber Sozialdemokrat war und da er ihre Kopfpauschale nicht so toll fand wie sie. Um den Torsten zu verhindern, hatte sie dem Micki Glas den Posten des Verteidigungsministers angeboten gehabt und angeblich hatte der auch zugesagt. Aber nicht mit Meister Ege! Da konnte der ganz fuchtig werden, wenn ihm jemand in seinem Personaltableau herumfuhrwerkte und dann noch dazu jene Frau, der er wenige Tage zuvor öffentlich die Richtlinienkompetenz abgesprochen hatte, welche die Verfassung dem Kanzler eigentlich garantierte. Sträuber stellte sich stur und setzte Feehoffer als Minister durch, auch gegen den Widerstand aus der CSU-Landesgruppe, in der Torsten aufgrund seiner Alleingänge nicht sonderlich beliebt war. Schön langsam fühlte sich Andrea Gerkel von Feinden und Gegnern umzingelt. Da waren einmal die acht sozialdemokratischen Ministerinnen und Minister, denen sie nicht über den Weg trauen konnte und wollte, und dann gab es da auch noch die drei Ex-Gegner; Sträuber, Schäufele und Feehoffer, die ebenfalls nicht gerade zu ihrem Fanclub gehörten. Na, das konnte ja was werden!

      24.10.2005: Immer wieder Sträuber, der Mann bestimmte nun in einer Tour die Schlagzeilen. Auf dem Deutschlandtag der Jungen Union wurde er von frechen Jungchristdemokraten angegriffen und kritisiert, weshalb er sich so provoziert fühlte, daß er gnadenlos zurückschlug und ihnen im Grunde die selbe soziale Kälte vorwarf wie Gerkel, Frauder und Konsorten. Egmont stellte klar, wer den Wahlkampf verbockt hatte und das war aus seiner Sicht ganz bestimmt nicht er selbst. Mächtig teilte er aus, ganz zur Freude von seinen bayerischen Landsleuten im Saal, welche ihn stürmisch feierten und bejubelten, doch der Rest beharrte darauf, daß er mit seinen Äußerungen über die ostdeutschen Wähler und seinem sich nicht festlegen wollen vor der Wahl der Union gewaltig geschadet hätte. Klar, wenn er vor der Wahl gesagt hätte, welches Ministerium er denn gerne haben würde, dann wäre wohl alles anders gekommen. Inzwischen war es zwar raus, doch nun mußte er um jede zusätzliche Abteilung und Kompetenz kämpfen, die er seinem zukünftigen Wirtschaftsministerium noch angliedern wollte. Selbst mit der CSU-Landtagsfraktion hatte er Schwierigkeiten, weil die auf eine Entscheidung im Nachfolgestreit drängte, er aber wollte damit noch warten. An allen Ecken und Enden brannte es, zwar freute sich Egmonto bereits auf seinen neuen Job in Berlin, doch die andauernden Kämpfe und Widerstände zermürbten ihn zusehends.

      Ein Gespräch, das es in sich hatte, fand zwischen Afroträne und Fysi statt. "Was ist das denn hier für ein ungeordneter Hühnerhaufen? Lauter Individualisten und dann auch noch diese schrecklichen Emanzen! Sag mal, bin ich hier etwa versehentlich bei den Grünen gelandet?" ärgerte sich Oswald. "Ach, das wird sich mit der Zeit schon finden, hoffe ick jedenfalls. Unsere Weiber sind ja nur so krawallig, weil sie halt zu den Grünen rüber schauen und sehen, welche Rechte und Posten die Frauen dort haben", erklärte Igor. "Mag sein, trotzdem nervt mich das Gegacker. Es ist schwer genug, zwei so unterschiedliche Parteien wie die WASG und die PDS unter einen Hut zu bringen, da brauchen wir nicht auch noch solche Störgeräusche aus den eigenen Reihen." "Alles halb so wild. Und wenn sie Dich irgendwann zu sehr nerven, dann heirate einfach eine von ihnen, so habe ich das damals auch gemacht und schon war Ruhe im Verein." "Tatsächlich? Na wenn das so ist, dann werde ich mir das mal merken. Momentan kommt das zwar noch nicht in Frage, aber schön langsam beginnt mich die Christine auch zu nerven. Egal, was machen wir jetzt hier eigentlich?" "Das wollte ich an sich Dich fragen." "Ach so. Hmh, schwierige Sache, das alles. Ich meine, ich war ja schon mal Partei- und Fraktionschef von der SPD, das ist wirklich ein komisches Gefühl, diese Leute zu sehen und zu treffen, früher machten die was ich sage und heute schauen sie fast alle an mir vorbei und grüßen mich überhaupt nicht mehr." "Na ja, daran gewöhnt man sich, wir von der PDS kennen das gar nicht anders. Früher waren wir schon froh darüber, wenn man uns nur ignoriert und nicht beschimpft oder bespuckt hat." "Du meine Güte, da tun sich ja Abgründe auf!" "Ach was, alles halb so wild. Wir Zwei werden den Bundestag schon rocken." "Davon kannst Du ausgehen. Aber wozu eigentlich?"

      Anfang November 2005: Das Unglaubliche hatte stattgefunden! Die SPD hatte "versehentlich" ihren Parteivorsitzenden Mützewirsing aus dem Amt "geputscht" oder vielleicht doch eher gemobbt. Wie hatte das nur passieren können? Es war um die Wahl des neuen Generalsekretärs der SPD gegangen. Zwei Kandidaten hatten sich vorgestellt, wobei Mütze eindringlich darauf hingewiesen und darum gebeten hatte, für seinen Kandidaten Halo Nasserhövel zu stimmen. Doch darauf hatten die Abstimmenden keine Lust und so war Angelika Zahles zur neuen Generalsekretärin der SPD gewählt worden. Daraufhin hatte Mützewirsing seinen Rücktritt als Parteivorsitzender bekanntgegeben. Tja, so schnell konnte es also gehen in der Politik. In der SPD war man schockiert, erstaunt und


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