Mythos, Pathos und Ethos. Thomas Häring

Mythos, Pathos und Ethos - Thomas Häring


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zu glauben, aber wahr, Andrea kam auch nach Bavaria. So zum Beispiel zum Wahlparteitag der CSU in München, wo sie jener Partei verbal einige Freundlichkeiten zukommen ließ, weshalb sie nach ihrer Rede von dankbaren Bayern so heftig und ausdauernd beklatscht wurde, daß sich sogar König Egmont dazu genötigt sah, auf die Bühne zu steigen, um ihr zu gratulieren. Selbstverständlich war es für die Union unheimlich wichtig, in Bayern ein ausgezeichnetes Wahlergebnis zu erreichen, denn im Süden Deutschlands holten CDU und CSU bekanntlich immer die meisten Stimmen und da Sträuber 2002 über 58 % der Wählerstimmen hinter sich vereinigen hatte können, wollte man drei Jahre später nicht gar so brutal abfallen, auch wenn natürlich klar war, daß die CSU mit einer Kanzlerkandidatin Andrea Gerkel auf gar keinen Fall in solche Regionen vorstoßen würde können, das wußten alle, die ein wenig Ahnung hatten.

      Weitaus interessanter für die meisten CSU-Delegierten war ohnehin die Frage, was ihr geliebter Sträuber nach der Wahl zu tun gedachte. Würde er Bayern verlassen, um in Berlin Deutschland auf Vordermann zu bringen? Oder würde er doch lieber ein starker bayerischer Ministerpräsident und CSU-Vorsitzender bleiben, welcher der Kanzlerin zukünftig von München aus viele gute Ratschläge zukommen ließ? Wenn man die CSU-Basis darauf ansprach und nachfragte, dann wurde sehr schnell deutlich, daß die Mehrheit der Leute sich dafür aussprach, daß Sträuber in München blieb und das war durchaus bemerkenswert. Er genoß also weiterhin allerhöchstes Ansehen im Freistaat und schien von seiner Strahlkraft viel weniger verloren zu haben als befürchtet. Oder glaubten die Befragten etwa, Sträuber würde die CSU in Berlin blamieren und rieten ihm deshalb von einem Wechsel in die Hauptstadt ab?

      06.09.2005: Es hatte tatsächlich stattgefunden und nun gab es wieder genug zu schreiben über jenes Kanzler-Duell, das da zwei Tage vorher am Abend über die Bildschirme geflimmert war. Schräder hatte gesiegt, so sah es jedenfalls die Mehrheit der Fernsehzuschauer, wenngleich überall hinzugefügt wurde, daß sich Andrea Gerkel ganz tapfer geschlagen hätte. 90 Minuten lang hatten sich die beiden Kontrahenten "duelliert" und 20 Millionen Fernsehgeräte hatten das Spektakel in die deutschen Wohnzimmer übertragen gehabt. Inhaltlich Neues hatte man dabei nicht erwarten dürfen und dementsprechend auch nicht geliefert bekommen. Andrea Gerkel lächelte sich durch die Sendung, um sympathisch und weniger kalt zu wirken, so wie es drei Jahre zuvor bereits Egmont Sträuber himself praktiziert hatte. Schräder war so telegen und professionell wie immer, der Mann hatte einfach eine Affinität zu Fernsehkameras, da machte ihm niemand etwas vor. In den Umfragen, wen die Leute lieber als Kanzler hätten, lag Schräder schon lange wieder deutlich vor Gerkel, nur bei den Parteien haperte es aus seiner Sicht noch etwas. Schwarz-Gelb lag ganz knapp vor Rot-Grün und der Linken, aber da es noch viele unentschlossene Wähler gab, von denen Schräder durch seinen Fernsehauftritt etliche für sich und seine Partei gewonnen haben dürfte, bestand Anlaß zur Hoffnung. Es wurde viel geredet an jenem Abend und ein Mann stand dabei ganz besonders im Mittelpunkt. Raul Kirchdorf, der neue "Steuer-Mann" der CDU, für den Bundeskanzler Schräder der Union gar nicht genug danken konnte. Wen wunderte es da, daß einer der Moderatoren Andrea Gerkel einmal, wahrscheinlich versehentlich, als "Frau Kirchdorf" ansprach? Das war zweifellos das absolute Highlight der gesamten Veranstaltung gewesen, traurig aber wahr.

      07.09.2005: Im Bundestag ging es noch einmal heftig zur Sache. Alle beschimpften sich so gut sie konnten, beleidigten einander so kreativ wie möglich und hielten ihre Wahlkampfreden eins zu eins im deutschen Parlament. Irgendwie durchaus verständlich, denn der Wahltag rückte unerbittlich näher, von daher galt es, die eigenen Reihen geschlossen hinter sich zu versammeln und den politischen Gegner noch einmal frontal anzugreifen, damit das doofe Volk vor den Bildschirmen endlich mal merkte was Sache war und deshalb endgültig die notwendigen Konsequenzen daraus zog. Festerbelle traf dabei eher zufällig und unbeabsichtigt auf Ansgar Mischer. Jener versuchte, so wie immer, den FDP-Mann zu ignorieren, doch der nahm seinen ganzen Mut zusammen und sprach den Außenminister an: "Hallo, Herr Mischer! Ich weiß gar nicht ob Sie’s wußten, aber ich werde schon bald Ihr Nachfolger", behauptete Guildo. "Sie, Gu-ildo, werden nicht mal Staatssekretär im Auswärtigen Amt", höhnte Ansgar. Damit hatte er Festerbelle schwer getroffen, doch der ließ nicht locker. "Sie werden schon sehen und sich dann bei mir entschuldigen. Außerdem haben Sie heute selbst "Kanzlerin" gesagt und die Frau Gerkel gemeint." "Mag sein, daß ich mich da versprochen habe, vielleicht war es ja auch ironisch gemeint, das weiß ich bei mir manchmal leider selber nicht so genau, aber Ihr Gelben werdet genauso wie wir nach der Wahl in der Opposition landen." "Nein, das werden wir nicht. Wir waren jetzt schon sieben Jahre lang in der Opposition und das tut einer Partei wie der FDP überhaupt nicht gut. Vielleicht werden wir sogar zweistellig." "Das wird Euch alles nichts nützen, weil es für Schwarz-Gelb garantiert nicht reicht. Da könnt Ihr Euch dann bei der Linkspartei dafür bedanken." "Pah, mit denen rede ich doch gar nicht, mit diesen Kommunisten und Salon-Bolschewisten!" "Genug jetzt. Noch bin ich hier der Außenminister und deshalb tue ich nun das, was mein Amt von mir verlangt und gehe nach draußen", ließ Mischer von sich hören und ging. "Arroganter Schnösel!" entfuhr es Festerbelle. "Ach, haben Sie gerade eben etwa wieder in den Spiegel geschaut, Gu-ildo?" "Dieses Schmierblatt nehme ich doch gar nicht freiwillig in die Hand." "Wenn Humor eine Krankheit wäre, dann wären Sie und Sträuber als Einzige dagegen immun."

      08.09.2005: Die Neuwahl rückte immer näher, das Rennen wurde immer enger, die SPD holte merklich auf und dann geschah es. Die NPD in Dresden sabotierte auf einmal das ganze Spektakel, indem eine ihrer Direktkandidatinnen mit 43 Jahren plötzlich an einem Hirnschlag verstarb. Was das bedeutete war sonnenklar: Es würde in Dresden in einem Wahlbezirk eine Nachwahl geben müssen und zwar voraussichtlich zwei Wochen nach der Bundestagswahl, also Anfang Oktober. Das hatte den Wahlkämpfenden gerade noch gefehlt! Womöglich noch einmal zwei Wochen warten und bis dahin um jede der 230000 verbliebenen Stimmen kämpfen, denn es konnte ja durchaus sein, daß ausgerechnet in Dresden entschieden wurde, wer neuer Bundeskanzler wird. Da ein ganz knappes Rennen erwartet wurde, kam es vielleicht tatsächlich auf das Dresdner Ergebnis an und so stellten sich diverse Fragen. Zum Beispiel, ob man nicht mit der Veröffentlichung des Wahlergebnisses bis Anfang Oktober warten müßte, nachdem die Dresdner auch gewählt hatten. Schließlich wußten die ja sonst im Voraus schon wie es stand und ausschaute, weshalb sie möglicherweise gar nicht, anders oder sogar taktisch wählten. Schwierige Fragen gab es da also zu beantworten, es schien so, als stünde jene erzwungene Neuwahl unter keinem guten Stern. Für die NPD hatte das Ganze den Vorteil, daß sie auf jene Art und Weise auch mal bundesweit erwähnt wurde, so daß viele Leute mitbekamen, daß die Nationalen auch zur Wahl standen.

      Guildo Festerbelle war derweil immer noch munter in ganz Deutschland unterwegs, er kannte dabei keinerlei Berührungsängste, ging auf die Leute zu und warb um Stimmen für seine Partei. Jene glaubte nach wie vor felsenfest daran, mit der Union alsbald die Regierung zu stellen und jene Überzeugung manifestierte sich in der Forderung nach drei Ministerien für die Liberalen. Na ja, jedenfalls kämpfte der gute Mann um jede Stimme und gab alles, genauso wie seine Kolleginnen und Kollegen von den anderen Parteien. Auffallend war, daß die FDP als solche im deutschen Volk gar nicht so unbeliebt zu sein schien; kein Wunder, schließlich hatte sie seit sieben Jahren nichts mehr zu melden und war deshalb für die aktuelle Lage auch nicht mitverantwortlich. Andererseits stieß der ehemalige Spaßpolitiker Guildo Festerbelle doch recht häufig auf Skepsis und Zurückhaltung, was wohl auch mit seinem oft dröhnenden Auftreten zu tun hatte. Man konnte manchmal wirklich meinen, der Mann wäre der Vorsitzende einer Volkspartei, so wie er das Maul aufriß, doch da sich dahinter womöglich nur Unsicherheit verbarg, welche es zu kaschieren galt, verzieh man ihm das Getöse, aber nur, wenn man mal hinter seine Fassaden schaute. Wie auch immer, er war guten Mutes und freute sich schon auf sein künftiges Ministeramt. Würde er reüssieren oder sein blaues Wunder erleben, so wie die Wählerinnen und Wähler in Dresden, die am "Blauen Wunder" wohnten und deshalb am 18.September noch gar nicht zur Wahl gehen durften?

      In der Union ging währenddessen die Debatte um Raul Kirchdorf und sein Steuermodell munter weiter. Mittlerweile hatten sich alle Beteiligten auf die Sprachregelung geeinigt, daß erst einmal das Unionskonzept umgesetzt werden würde und dann könne man weiter sehen. So wollte man die verwirrte Basis und die irritierten potentiellen Wählerinnen und Wähler beruhigen. Der Professor aus Heidelberg ordnete sich zunächst ein, um des lieben Friedens Willen, doch wer ihn kannte, wußte genau, daß er, sobald er deutscher Finanzminister


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