Mythos, Pathos und Ethos. Thomas Häring
daß Berlin nichts für ihn ist." "Na ja, wir werden sehen. Ich für meinen Teil mache jetzt erst mal ein paar Monate lang fröhlich Wahlkampf und wenn alles gut läuft, dann werden wir sogar zweistellig." "Nichts dagegen, denn je größer unsere Mehrheit im Parlament ist, desto mehr können wir durchregieren." "Oh ja, diese Deutschen müssen endlich mal raus aus der Stagnation." "Wir aber auch." Sie grinsten sich überglücklich an.
Die Freude war also allerorten groß, nur die Grünen waren immer noch verschnupft, weil sie scheinbar überhaupt nicht mehr gefragt und gebraucht wurden. Zwar gab es diverse Verfassungsrechtler, die der Meinung waren, daß das alles verfassungsrechtlich äußerst bedenklich wäre, doch solche Kommentare beeindruckten Schräder und Mützewirsing kein bißchen. Man hatte noch einmal gezeigt, daß man immer für eine Überraschung gut war und da nun alles so schnell von statten gehen würde, bestand auch keine Gefahr von der WASG (Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit), die bei den Wahlen in NRW immerhin über zwei Prozent der Stimmen abbekommen hatte, was in so einem großen Flächenland durchaus beachtlich war. Jetzt aber ging für jene neue Bewegung vermutlich alles ein bißchen zu schnell, doch deren Vertreter waren auch nicht dumm. Sie hofften auf Oswald Afroträne als zugkräftigen Spitzenkandidaten sowie auf eine Listenverbindung mit der PDS, welche im Westen traditionell schwach abschnitt. Von daher war von der linken Seite schon noch einiges möglich.
Sören Rüttlers hatte derweil ganz andere Probleme. Plötzlich wollten alle was von ihm und die meisten von denen würde er nicht so einfach wie seine Frau mit einer Spülmaschine abspeisen können. Viele Leute wanzten sich an ihn heran, in der Hoffnung auf einen guten Posten oder anderweitige Vergünstigungen. Auf einmal war der ehemalige NRW-Oppositionsführer ein gefragter Mann. Dumm an der Sache war nur, daß er zum Einen über einen Koalitionspartner verfügte, auf den er ebenfalls Rücksicht zu nehmen hatte und daß er in den ersten drei Monaten seiner Amtszeit nichts Großartiges unternehmen durfte, da ja nun plötzlich Bundestagswahlkampf war. Das bedeutete auch, daß sein großer Triumph weitestgehend unbeachtet blieb; zwar konnte er zurecht darauf verweisen, durch seinen Wahlsieg die Neuwahlen im Bund ausgelöst zu haben, doch da alle nur noch von der Btw. redeten, kam der liebe Sören in den Berichterstattungen fast überhaupt nicht mehr vor, was ihn durchaus nicht unberührt ließ. Andererseits hatte er etwas, worauf er ganz besonders stolz sein konnte, denn zum ersten Mal hatten in NRW die Arbeiter mehrheitlich CDU gewählt und das war etwas, das noch nicht viele vor ihm zustande gebracht hatten. Chapeau!
Bayern hatte währenddessen ganz andere Probleme. Da nun mal stark davon auszugehen war, daß die CSU in Berlin demnächst wieder mit in der Regierung sitzen würde und weil Egmont Sträuber im Kabinett Gerkel eine herausragende Rolle spielen wollte, stellte sich die Frage, wer denn dann bayerischer Ministerpräsident werden würde. Im Grunde gab es drei mögliche Bewerber und zwar Blackschein, Zuber und Kehrmann. Letzterer wollte nicht wirklich, von daher würde es wohl auf ein Duell zwischen Zuber und Blackschein hinauslaufen. 2002 wäre es ja auch schon fast soweit gewesen, doch nachdem Sträuber nicht deutscher Bundeskanzler geworden war, hatte er weiterhin mit dem Posten als bayerischer Minipräsi vorlieb nehmen müssen. Damals wäre Zuber ganz bestimmt sein Nachfolger geworden, jedoch hatte sich der Merlin in den vergangenen Jahren in der Fraktion ziemlich unbeliebt gemacht, von daher wollten nicht mehr sonderlich viele CSU-Politiker auf ihn wetten. Blackschein dagegen erfreute sich in der Fraktion allergrößter Beliebtheit und hatte dort sicherlich die Nase vorn. Allerdings spielte natürlich auch eine gewichtige Rolle, wen Egmont Sträuber höchstpersönlich für seine Nachfolge als am besten geeignet hielt und da wiederum war Zuber klar die Nummer eins. Es würde also mal wieder spannend werden, nicht nur im Bund, sondern selbstverständlich, wie eigentlich fast immer, auch in Bayern. Ja mei.
Ende Mai 2005: Wahlkampfzeiten waren und sind nun mal besondere Zeiten. Im Grunde kann man fest davon ausgehen, daß die meisten Politiker an ihrem Dasein den Wahlkampf am meisten lieben, denn darin können und sollen sie den politischen Gegner beschimpfen, dürfen sich und die eigene Partei ohne falsche Kompromisse und ohne Rücksicht auf irgendwelche Koalitionspartner in den leuchtendsten Farben präsentieren und können so tun, als hätten sie die Probleme des Landes schon längst gelöst, wenn nicht die Anderen so unfähig wären und andauernd blockieren würden. So etwas machte einfach Spaß, nicht umsonst bezeichneten viele Politiker den Wahlkampf als ihren "Jungbrunnen".
Eine Nachricht schlug dann doch ein wie eine Bombe: "Afroträne tritt gegen die SPD an", hieß es in der SZ. Aber um gegen die SPD antreten zu können, mußte man natürlich erst einmal aus ihr austreten und genau das hatte der "Napoleon von der Saar" nun endlich vor, nachdem er schon lange nicht mehr mit den Genossen warm geworden war und, so wie Andere aus Bequemlichkeit oder alter Verbundenheit nicht aus der Kirche austraten, trotzdem in der SPD geblieben war. Es würde vermutlich eine PDS-Liste geben, auf der viele Mitglieder der WASG vertreten sein sollten, damit wollte man in ganz Deutschland antreten, am liebsten mit den Zugpferden Fysi und Afroträne an der Spitze.
Aber auch bei den Grünen war die Stimmung gut. Man fühlte sich frei; endlich, nach fast sieben Jahren in der Regierung, konnte man wieder man selbst sein und mußte sich nicht um des lieben Koalitionsfriedens willen verbiegen oder Sachen zustimmen, die man für unsinnig hielt. "Grün pur", und "auf die Grünen kommt es an", hieß es nun plötzlich, die Rückkehr zu den eigenen Wurzeln wirkte wie eine Frischzellenkur. In den vergangenen Tagen hatte es massive Absetzbewegungen zwischen SPD und Grünen gegeben, die Neuwahlentscheidung hatte die SPD bereits ohne die Grünen getroffen und so würde man fortan getrennt marschieren, was beiden Seiten irgendwie recht war. Nach sieben gemeinsamen Jahren an der Regierung hatte man sich auseinandergelebt, es war im Grunde wie in einer Ehe das verflixte siebte Jahr, das höchstwahrscheinlich die Trennung bringen würde. Jetzt ging es nur noch darum, daß der eigene Spitzenkandidat, Ansgar Mischer, wieder in die Gänge kam, den Ballast der Visa-Affäre endgültig abwarf und 20 Kilo abnahm, denn er hatte in den letzten Jahren wieder stark zugelegt gehabt.
Ganz anders sah es bei der Union aus. Dort wurde bereits spekuliert, wer für welches Ministeramt in Frage kommen würde, weil das bekanntlich am allermeisten Spaß machte. Das Fell des Bären zu verteilen, noch bevor er erlegt worden war, gehörte zu den Dingen, denen man sich nur allzu gerne hingab. Bereits 2002 hatte man das praktiziert gehabt und wie die Sache am Ende ausging, ist hinlänglich bekannt. Wie auch immer, über all den Personalfragen schwebte der große Egmont Sträuber wie der Geist von Wildbad Kreuth, denn erst wenn man für den zukünftigen Superminister einen geeigneten Platz gefunden hatte, konnte man sich Gedanken darüber machen, wer noch alles einen Ministerposten abbekommen sollte. Doch der Zauderer aus der Münchner Staatskanzlei wollte sich am liebsten alles offen halten. Es hieß, man müsse erst das Wahlergebnis in Bayern abwarten, außerdem wollte er keine Diskussion über seine Nachfolge in Bayern, welche ansonsten alle anderen Fragen ständig überlagert hätte.
Fysi und Afroträne sprachen derweil über eine mögliche gemeinsame politische Zukunft. "Erst einmal Glückwunsch zum Austritt aus der SPD. Hat zwar lange gedauert, aber besser spät als nie", stellte Fysi fest. "Vielen Dank für die Blumen! Mir blieb ja gar nichts Anderes übrig, jetzt, nachdem die SPD mit der Agenda 2010 und Hartz IV in den Wahlkampf ziehen will", machte Afroträne deutlich. "Was aber auch seine guten Seiten hat. Für die PDS und die WASG wird das jede Menge Stimmen bringen. Deshalb sollten wir uns auch unbedingt zusammentun." "Das sehe ich ganz genauso. Die PDS ist im Westen zu schwach, die WASG hat im Osten keinerlei Erfolgsaussichten, von daher macht das wirklich Sinn. Und wenn wir es erst mal in den Bundestag geschafft haben, dann können wir auch über die Gründung einer gemeinsamen Partei nachdenken." "Absolut richtig. Es wird zwar nicht ganz einfach werden, das unseren alten PDS-Veteranen schonend beizubringen, aber irgendwie bekommen wir das schon hin." "Keine Sorge, die Vorbehalte bei den West-Linken sind auch nicht von Pappe. Aber langfristig brauchen wir eine gemeinsame Partei, daran führt überhaupt kein Weg vorbei." "Auf alle Fälle. Was aber ist unser eigentliches Wahlziel, außer natürlich in den Bundestag zu kommen?" "Ganz einfach: Wir wollen sowohl Rot-Grün als auch Schwarz-Gelb verhindern." "Aber dann gibt es ja eine Große Koalition." "Ganz genau. Und dank der werden wir bei den darauffolgenden Wahlen noch mehr an Gewicht zulegen." "Oswald, Du bist wirklich ein schlauer Fuchs." "Ich weiß. Aber leider nicht immer, denn ansonsten hätte ich es nie zugelassen, daß der Schräder Kanzler wird." "Na ja, das schon, doch immerhin hast Du ihn ja jetzt zum Rücktritt aufgefordert." "Mag sein, aber