Mythos, Pathos und Ethos. Thomas Häring
Wahlen.
Bei der SPD war die Stimmung nicht so gut, außerdem gab es dort wie immer viel weniger Zuhörer, was auch, aber nicht nur mit dem für mehr Gäste nicht ausreichenden Platz zu tun hatte. Dort gab es mehrere Redner und als der neue bayerische SPD-Vorsitzende Ludger Riegler Sträuber mit "Ich grüße den Gruftenpfänder in Passau" einen Willkommensgruß entbot, kam Stimmung auf. Ein bayerisches Finanzamt hatte nämlich tatsächlich angedacht oder versucht gehabt, die Gruft des heiligen Hans Werner Braus zu pfänden, zumindest die Anteile, welche sein Sohn Mark Braus daran besaß. Ja, was war nur in die bayerischen Behörden gefahren, kannten die auf einmal überhaupt kein Pardon mehr und erst recht keinen Respekt vor ihrem, also der CSU ihren Übervater?
FDP, Grüne, Freie Wähler und ÖDP, außerdem Bayernpartei, Republikaner usw. hielten auch Veranstaltungen ab, doch bei ihnen tummelten sich weit weniger Leute als bei den großen Parteien. Die Massen zieht es nun mal gerne und fast immer dorthin, wo sich bereits eine Menschenmenge befindet, denn für die ist eine Ansammlung von Leuten bereits ein Qualitätsnachweis.
Wie auch immer, eine bemerkenswerte Randnotiz zum Politischen Aschermittwoch 2004 gab es dann doch noch: Erstmals nach mehr als 15 Jahren war der ehemalige CSU-Parteivorsitzende und ehemalige Bundesfinanzminister Leo Baigel nicht bei der Veranstaltung der CSU in Passau anwesend. Da man bekanntlich nicht nicht kommunizieren kann, war das eine deutliche Ansage, nicht umsonst galt Baigel als Sträuber-Gegner und das nicht ohne Grund, schließlich wäre er 1993 selber gerne bayerischer Ministerpräsident geworden, doch da seine privaten Verhältnisse öffentlich wurden und nicht der scheinheiligen Doppelmoral der CSU-Granden entsprochen hatten, gab es für ihn damals keine echte Chance.
11.03.2004: Genauso wie der Politische Aschermittwoch gehört auch das Politikerderblecken auf dem Nockherberg zu den Pflichtterminen für alle bayerischen Politiker. Dabei werden die meisten von ihnen dort ganz schön durch den Kakao gezogen, doch das macht ihnen wenig aus, denn es ist eine große Ehre, dort genannt und verarscht zu werden. So richtig sauer und enttäuscht sind eigentlich meistens nur diejenigen, die nicht erwähnt werden.
Zunächst hält ein meistens als Mönch verkleideter Kabarettist eine Rede, danach gibt es ein Singspiel, in dem Politiker-Doubles auftreten und ihre Doppelgänger lächerlich machen. Das Ganze erfreut sich allergrößter Beliebtheit.
Das Besondere an der Veranstaltung 2004 bestand darin, daß mit Kuno Monas ein neuer Redner gewonnen hatte werden können und daß kurz vor der Aufführung Vater (Präsident vom TSV 1860 München) und Sohn Mildwoser wegen Schmiergeldvorwürfen im Knast gelandet waren. Es gab also jede Menge Gesprächsstoff und durfte wie immer viel gelacht werden.
Selbstverständlich bekommt der jeweilige amtierende bayerische Ministerpräsident das meiste Fett ab, aber der darf dafür auch aus der ersten Starkbiermaß trinken. "Starkbierprobe" heißt das Ding nämlich eigentlich, die Paulaner-Brauerei lädt alle prominenten Politiker und sonstige Größen zum Freibier auf den Nockherberg ein und dort wird ihnen dann eingeschenkt. Selbstverständlich so, daß die Veräppelten nicht so verärgert werden, daß sie im Jahr darauf nicht mehr wiederkommen, man will es ja schließlich auch nicht zu weit treiben.
Mitte März 2004: Wieder zurück in die politische Realität, es ging im bayerischen Landtag mächtig zur Sache. In der CSU-Fraktion sprach man von einer "Lutinisierung der bayerischen Politik", weil nur noch oben bestimmt wurde, was die da unten, also die CSU-Abgeordneten im Landtag, dann abzunicken hatten. Dabei hätte die Aufgabe der CSU-Fraktion eigentlich darin bestanden, der Regierung auf die Finger zu schauen und notfalls auch zu hauen, aber in einer Führerpartei wie der CSU machte man schon immer das, was der Chef befahl.
Draußen vor den Toren des Landtags demonstrierten Tausende gegen den "Spar-Diktator", doch auch sie konnten, genauso wenig wie die Oppositionsparteien im Landtag, verhindern, daß Sträubers Sparpläne beschlossen und damit Gesetz wurden. Alle Anträge der Opposition wurden abgelehnt, so wie es in der CSU zu jener Zeit nun mal Usus war, doch so richtig glücklich waren die CSU-Abgeordneten nicht. Nichtsdestotrotz hatten sie mal wieder allen Zumutungen zugestimmt.
Sträuber und Zuber unterhielten sich über die Lage: "Merlin, wir müssen ein wenig aufpassen, sonst kommt es hier noch zu einer Meuterei. Die Leute draußen können demonstrieren soviel sie wollen, die tangieren mich nur peripher, aber wenn sich unsere Abgeordneten gegen uns auflehnen, dann ist alles zu spät", erläuterte Sträuber. "Aber Chef, da seien Sie mal ganz beruhigt. Die wissen doch auch alle, daß sie nur wegen Dir überhaupt im Landtag sitzen", erwiderte Zuber. "Mag sein, trotzdem traue ich dem Frieden nicht. Zweifellos sind unsere Sparvorhaben richtig und wichtig, aber ich brauche die Zustimmung von diesen Hanswursten aus der Fraktion, sonst können wir unseren Laden hier dichtmachen." "Keine Sorge, die werden sich schon zweimal überlegen, ob sie sich mit uns anlegen wollen. Schließlich sitzen wir am längeren Hebel." "Natürlich, das weiß ich doch auch, trotzdem. Es ist nicht gut, wenn es andauernd nur negative Schlagzeilen über uns gibt. Und den Spruch mit den Fröschen hättest Du Dir auch sparen können." "Aber Chef, der ist überhaupt nicht von mir, obwohl er natürlich hervorragend paßt." "Wie auch immer, ich habe zu arbeiten und deshalb kann ich mir keine Unruhe in der Fraktion leisten. Deswegen sagst jetzt halt erst mal, daß das Tempo der Reformen gedrosselt werden soll." "Echt, Chef?" "Nicht wirklich, aber wenn uns die Deppen das abnehmen, dann können wir in Ruhe weiter kürzen und reformieren." "Jawohl, Chef." "Sehr gut Merlin, Du bist halt doch mein Bester." Die Beiden grinsten erfreut.
Sobald die Regierungsparteien immer weiter in die Mitte rückten, entstand am rechten oder linken Rand ein Vakuum, das es zu füllen galt. Im Falle von Rot-Grün wurde links jede Menge Platz frei und dort formierte sich aus enttäuschten Sozialdemokraten und Gewerkschaftern, die den Reformkurs der Regierung Schräder nicht mittragen wollten, eine neue politische Kraft. Über jene sprachen natürlich auch die beiden starken Männer der SPD.
"Bernd, was machen wir mit dieser neuen linken Partei, die sich jetzt bald gründet?" erkundigte sich Mützewirsing. "Na das ist doch ganz klar: Wenn geile Weiber drin sind, dann kopulieren, äh koalieren wir mit denen. Aber ich befürchte, daß sich darin wohl eher nur die ganzen Gewerkschaftstrullas mit ihren Doppelnamen tummeln werden. Von daher lieber ignorieren", erklärte Schräder. "Das sehe ich genauso. Aber die SPD-Mitglieder, die da mitmachen wollen, die müssen wir doch aus unserer Partei ausschließen, schließlich kann man ja nicht auf zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzen." "Also ich konnte das schon, aber Du hast natürlich völlig Recht. Du sag mal, darf ich Dich eigentlich auch "Mütze" nennen?" "Selbstverständlich … nicht. Für Dich bin und bleibe ich Kaiser Dan." "Ha ha, der war echt gut." "Das war kein Witz." "Ich verstehe. Na gut, dann wollen wir bloß hoffen, daß diese neuen Linken nicht den Afroträne als Spitzenkandidaten ausgraben und daß sie nicht auf die Idee kommen, mit der PDS zu fusionieren." "Allerdings, denn dann wären wir geliefert. Scheiß Gewerkschafter, das sind die wahren Verräter!"
21.März 2004: Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, erst recht bei so einer Liebesheirat wie der zwischen der SPD und Dan Mützewirsing. Schade bei der ganzen Sache war nur, daß es Bundeskanzler Schräder erst jetzt gelang, seine Reformpolitik zu erklären und verständlich zu machen. Hätte er das schon eher ernsthaft versucht gehabt, dann hätte er womöglich die Partei innerlich befriedet und ihr Vorsitzender bleiben können. Früher war er bei seinen Parteitagsreden immer sehr verkrampft gewesen, weil er wußte, daß ihn viele SPD-Mitglieder mit Argwohn betrachteten, doch in der Stunde des Abschieds von dem Amt, das "Mütze" als "das schönste neben dem Papst" bezeichnet hatte, kam kurzzeitig sogar so etwas wie Wehmut auf. "Du wir können doch gute Freunde bleiben", schien die Losung des Tages zu lauten, obwohl es sich bei jener Ehe zwischen Schräder und der SPD im Jahre 1999 wohl eher um eine Zwangsheirat gehandelt hatte. Wie dem auch sei, die Parteimitglieder schöpften neuen Mut, denn sie liebten den Dan aus dem Sauerland, weil der einer von ihnen war und so kurze Sätze sprach, daß alle wußten was er meinte. Schräder würde also seine ganze Kraft auf das Amt des Bundeskanzlers konzentrieren und Mützewirsing hatte die undankbare Aufgabe übernommen, den unpopulären Reformkurs der eigenen Regierung den eigenen Parteimitgliedern verständlich zu machen. Kuno Monas hatte es auf dem Nockherberg so formuliert: "Der Schräder tut den Leuten weh und der Mützewirsing sagt: "Es tut weh"." Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.
13.06.2004: Wahltag ist Zahltag