Mythos, Pathos und Ethos. Thomas Häring
Dan war es wieder mal gelungen, ein Thema zu setzen und zu besetzen, mit dem er natürlich auch hoffte, die SPD-Anhänger in Nordrhein-Westfalen dazu motivieren zu können, zur Landtagswahl am 22.05. zu gehen und dort, so wie früher immer, für die SPD zu stimmen.
Für ihn ging alles gut aus, der Wehrbeauftragte wurde gewählt und konnte sich ins Amt robben, die Weltuntergangsszenarien, welche die Opposition bereits für Rot-Grün gesponnen hatte, erwiesen sich zunächst als Wunschträume und Rot-Grün hatte sich noch einmal eine Verschnaufpause verschafft, vielleicht die letzte.
Für eine andere Politikerin sah es derweil überhaupt nicht mehr gut aus, weshalb sich Marina Kohlfeier mit ihrem ehemaligen Vertrauten Johannes Raedke unterhielt. "Ihr seid doch wirklich zu allem zu blöd! Erst fliegen Eure dilettantischen Fälschungen auf und jetzt konntet Ihr nicht mal diesem Verräter Bunker das Maul stopfen!" schimpfte Mari. "Du, dafür kann ich nun wirklich nichts. Ich habe andauernd bei dem angerufen und ausrichten lassen, daß er die Klappe halten soll", verteidigte sich der Angegriffene. "Aber wie stehe ich denn jetzt da? Mein Job ist in Gefahr." "Und was soll ich da erst sagen? Außerdem war das Ganze schließlich Deine Idee gewesen. Du wolltest ja unbedingt bayerische Ministerpräsidentin werden." "Und das völlig zurecht. Als Tochter des Königs von Bayern stand mir diese Aufgabe nämlich zu. Ich hätte mich nie mit Euch Amateurfälschern einlassen, sondern mich statt dessen an Profis wenden sollen. Ihr mit Eurer kleinkriminellen Energie wart für so eine große Aufgabe einfach nicht geeignet." "Aber am Anfang hat es doch immer gut funktioniert mit den Mitgliederkäufen und den dadurch manipulierten Abstimmungen." "Ja, aber Ihr habt trotzdem viel zu viele Fehler gemacht, sonst würde das alles ja jetzt nicht in der Zeitung stehen. Nur gut, daß mich der Sträuber nicht entlassen kann, weil ich viel zu viel über seine Vergangenheit weiß." "Na also, wieso regst Du Dich denn dann so auf?" "Weil der Plan nicht funktioniert hat. Ihr Vollidioten hättet das alles konspirativ durchziehen sollen und nicht den unterlegenen Kontrahenten stecken dürfen, was Ihr da veranstaltet habt. Kein Wunder, daß die Euch dann bei der Staatsanwaltschaft angezeigt haben." "Und wenn schon? Dein Vater hatte keine Angst vor bayerischen Staatsanwälten." "Ja, weil er die alle im Griff hatte und einfach versetzen ließ, wenn sie nervig wurden. Aber heutzutage geht das leider nicht mehr so einfach. Wie dem auch sei, jetzt gelte ich plötzlich als Drahtzieherin und stehe allein im Regen." "Jeder bekommt was er verdient." "Dabei habe ich doch so großartig gelogen, genau wie ich es von meinem Papa gelernt hatte." "Na ja, wir haben es wenigstens versucht." "Scheitern als Chance, oder wie? Aber nicht mit mir. Erst galt ich nur als Mitwisserin und jetzt sieht es so aus, als würde ich im selben Sumpf wie Ihr versinken." "Und das ist auch gut so, schließlich war das Ganze Deine Idee gewesen. Sogar der Sträuber hat uns damals gelobt. "Hund seid’s scho", hat er zu uns gesagt, aber das streitet er jetzt natürlich auch ab." "Ja, am Teflon-Egi bleibt leider nie etwas hängen. Na ja, vielleicht hält mich mein Wissen über ihn ja im Amt."
"Kohlfeier tritt zurück", hieß es in der Zeitung, doch das konnte man so und so verstehen. "- und will sich wehren", hieß es zusätzlich noch, damit waren jegliche Zweifel ausgeräumt und alle wußten, was Sache war. Sie blieb bei ihrer Version, mein Name ist Marina, ich wußte von nichts, doch die Anschuldigungen im Untersuchungsausschuß konnte auch sie nicht länger ignorieren. Schaden von der Partei wolle sie abwenden, hieß es, wie edel, nobel, hilfreich und gut sie doch war. Wer weiß, vielleicht täuschten sich fast alle in dem Menschen Marina Kohlfeier und sie war tatsächlich in eine Falle gelockt worden. Oder die Kritiker, Gegner und Konkurrenten hatten eben doch Recht und sie war ein verlogenes Luder, dem es nur um die Macht ging. Womöglich und höchstwahrscheinlich lag die Wahrheit, wie so oft, irgendwo dazwischen, also vermutlich in der goldenen Mitte. Egal, Fakt war jedenfalls, daß die Familie Braus von jenem 15.04.2005 an nichts mehr in der CSU zu sagen hatte und das war ja dann irgendwie doch ein historisches Ereignis. Sträuber hatte damit ein Problem weniger, auch wenn ihm nicht ganz zu Unrecht vorgeworfen wurde, viel zu lange an der Marina festgehalten zu haben. Da jener Vorwurf eben nicht nur von der Opposition kam, von der man so etwas natürlich erwartete, sonst hätte sie definitiv ihren Beruf verfehlt, sondern auch aus den eigenen Reihen, insbesondere aus der Münchner CSU, hatte das alles einen bitteren Beigeschmack. Dabei war sie einst gefeiert und begeistert empfangen worden, als sie ungefähr zwei Jahre zuvor den Bezirksvorsitz der Münchner CSU übernommen hatte, doch das war lange her. Seitdem war viel Wasser die Isar hinunter gelaufen und sie hatte es sich mit etlichen Leuten verscherzt gehabt. Vielleicht war sie unschuldig oder mitschuldig, doch eventuell trafen all die Vorwürfe auch voll ins Schwarze; wenn eine wußte, was wirklich dran war an den Gerüchten und Geschichten, dann sie. Auf jeden Fall hatte sich viel angestaut gehabt und so kam der Rücktritt von ihr, der freiwillig erfolgt war, für alle zur rechten Zeit und für einige viel zu spät. Erleichterung mischte sich mit Wehmut, wieder einmal war ein großes politisches Talent den hohen Erwartungen nicht gerecht geworden und hatte sich statt dessen in den Niederungen der Parteipolitik beschmutzt. Oh wie schade!
22.05.2005: Das war der Tag, an dem für die SPD die Welt in Trümmer fiel. Die unausweichliche Katastrophe hatte stattgefunden, CDU und FDP würden fortan in Düsseldorf über Nordrhein-Westfalen regieren, es gab keine einzige rot-grüne Landesregierung mehr und weil man im Grunde ohnehin nichts mehr zu verlieren hatte, setzte man alles auf eine Karte und rief Neuwahlen aus oder kündigte sie zumindest für den Herbst an. Ausrufezeichen!
Ein taktisch genialer Schachzug von Schräder und Mützewirsing, denn auf einmal redete niemand mehr über den sensationellen Wahlsieg von Rüttlers und Co., sondern alle sprachen nur noch von den in wenigen Monaten stattfindenden Neuwahlen und spekulierten, wer da wohl die größten Chancen haben würde. Ein letztes Mal war es der SPD gelungen, das Heft des Handelns festzuhalten und es auch zu nutzen. Aber nicht nur die Oppositionsparteien, sogar der Koalitionspartner der SPD, die Grünen, wurden vom Vorpreschen der SPD-Spitze kalt erwischt, weshalb sich die Begeisterung dort sehr in Grenzen hielt. Schräder wollte es noch einmal wissen, alles oder nichts, er konnte bei der ganzen Sache nur gewinnen, denn in den Umfragen lag die SPD so weit unten, daß es gar nicht mehr schlimmer für sie kommen konnte. Spannende Monate standen Deutschland bevor.
23.05.2005: Festerbelle und Gerkel im Gespräch: "Ich kann unser Glück immer noch nicht fassen. Da fordere ich seit Jahren quasi täglich Neuwahlen und jetzt gibt es sie tatsächlich. Steter Tropfen höhlt eben doch den Stein!" freute sich Guildo. "Na ja, ich glaube kaum, daß der Schräder und der Mützewirsing wegen Dir die Neuwahlen ausgerufen haben, vom Ergebnis der FDP in NRW werden sie wohl kaum so schockiert und überrascht gewesen sein, daß sie sich zu diesem Schritt gezwungen fühlten", erläuterte Gerkel. "Ach, das ist doch jetzt auch total egal. Ich bin völlig aus dem Häuschen, mein zuckersüßes Mäuschen." "Langsam reiten, Homo laber, erst einmal haben wir eine Wahl zu gewinnen und bei den mickrigen paar Prozent, die Deine Partei immer bei den Landtagswahlen auf die Waage gebracht hat, bin ich mir nicht so sicher, daß es für Schwarz-Gelb tatsächlich reichen wird." "Keine Sorge, wir werden liefern, das verspreche ich Dir hoch und eilig, äh, heilig, lieber Engel, äh, liebe Andrea. Deine Union bringt 40 Prozent Wählerstimmen mit und den Rest besorgen wir, dann reicht es auf alle Fälle", behauptete Festerbelle. "Also gut, darauf können wir uns einigen. Diese Regierung ist so was von im Arsch, da sollten 40 Prozent nun wirklich machbar sein. Hat ja schließlich schon der Sträuber 38,5 % geschafft und der war im Norden, Osten und Westen ja dermaßen unbeliebt, daß ich ihn dort überhaupt nicht unterbieten kann." "Na siehst Du, ich habe es doch gleich gesagt. Oh ich freue mich schon so darauf, dieses Deutschland endlich durchzureformieren. Ich weiß nur noch nicht, welchen Ministerposten ich mir aussuchen soll." "Da kann ich Dir leider auch nicht weiterhelfen, Guildo. Nur eines steht fest: Verteidigungsminister wirst Du definitiv auf gar keinen Fall, das können wir den deutschen Soldaten nicht zumuten, daß sie dann immer mit einem Brett vorm Arsch in Reih und Glied stehen müßten." "Aber warum denn nicht? Die könnten doch dafür das Brett hernehmen, das sie immer vor dem Kopf haben. Ist mir auch nicht so wichtig, ich habe ja eh schon einen Freund. Aber was wird aus dem Sträuber?" "Ja, das ist leider eine gute und mehr als berechtigte Frage, die mich seit Wochen nicht schlafen läßt. Wohin mit dem alten Mann aus Bayern?" "Wir könnten ja ein Ministerium zusammen basteln, in dem er keinen Schaden anrichten kann." "So etwas gibt es leider nicht, ansonsten würden wir es für Dich auch hernehmen. Na ja, wer weiß, vielleicht erledigt sich das Problem anderweitig." "Wie meinst Du das? Glaubst Du an ein sozialverträgliches Frühableben seinerseits? Das kann