EINE EVOLUTION, ABER UNTERSCHIEDLICHE GESCHICHTEN?. Albert Helber

EINE EVOLUTION, ABER UNTERSCHIEDLICHE GESCHICHTEN? - Albert Helber


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Motorik sichert für Mensch und Tier die Nahrungsbeschaffung. Motorisches Lernen bedeutet die Mobilität von Tier und Mensch so zu standardisieren, dass Geschwindigkeit optimiert und Energieverbrauch minimiert wird. Durch fortgesetzte Rückmeldungen der muskulären Peripherie an unser lernfähiges Zentralnervensystem gelingt diesem schließlich die optimale Mobilität. Mit der Aufrichtung des Menschen in den letzten 6 bis 12 Millionen Jahren erhielt das senso-motorische Reagieren einen kräftigen Schub und macht motorisches Lernen zu einer ersten Basis, die neue Lernziele finden und sich weiter entwickeln wird.

      Das „Lernen des Körpers“ ist die früheste Stufe der biologischen Entwicklung. Meldungen aus dem Körper werden aber auch weiterhin eine Homöostase anstreben oder Krankheiten und Belastungen anzeigen. Nach dem Körper, der uns warnt und mahnt, werden Natur und Umfeld zur nächsten Spielwiese des Lernens. Man sammelt und findet, was nutzbar ist und nicht schadet. Lernen kann ein Mensch in erster Linie von jenen, die schon Erfahrung gemacht haben und geschätzt werden. Erfahrene, Alte und Weise werden zum Vorbild: Nachahmung wird zu einer wichtigen Form des Lernens. Wer von Natur und Umfeld oder von erfahrenen Menschen lernt, wird schließlich Sympathie und Vertrauen oder Antipathie und Misstrauen entwickeln. Er entwickelt Emotionen, die schließlich zu Gefühlen werden und nach Antworten in Form von sozialen- oder gedanklichen Intentionen verlangen. Umfeld und Menschen werden uns anregen. Sie werden uns aber auch aufregen und wir müssen lernen eine adäquate Antwort zu finden. Wir müssen lernen abzulehnen oder zu akzeptieren. Unsere Gefühle und Gedanken werden die menschliche Entwicklung begleiten, indem wir lernen auf eine Weise zu reagieren, die unserem Wesen entspricht. Immer antworten wir auf sinnliche Wahrnehmungen, auf angenehme- oder störende Irritationen, auf körperliche-, emotionale- oder gedankliche Einflüsse. „Irritation und Reaktion“, Anlass und Antwort lenken als kosmologisches Gesetz das menschliche Lernen und die menschliche Entwicklung.

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      Lernen stimuliert das Hirnwachstum. Lernen entsteht in neuronalen Strukturen, die schließlich zum Gehirn werden. Lernen wird zu einer die Evolution mitbestimmenden Funktion. Lernen profitiert vom Hirnwachstum und stimuliert es auch. Schon die evolutionäre Bereitstellung eines „impliziten Gedächtnisses“ oder einer lernenden senso-motorischen Intelligenz führt beim sich aufrichtenden Australopithecus zu einer Vergrößerung des Gehirns. Ist ein Schimpansengehirn etwa 385 cm3 groß, so schätzt man an archäologischen Schädelbefunden die Größe des Gehirns der Australopithecinen auf 400 bis 550, im Schnitt auf 450 cm3. In der Hominidenreihe wird sich das Hirnwachstum fortsetzen und beschleunigen. Für Homo habilis werden 640cm3, für den Homo erectus 940cm3 angegeben und das Gehirn des Homo sapiens ist 1230 cm3 groß. Größer ist nur noch das Gehirn des Homo neanderthalensis mit 1200 bis 1750 cm3, im Schnitt 1400 cm3. Lernen stimuliert das Hirnwachstum in der anthropologischen Evolution bis zum Homo neandertalensis und in der Individualentwicklung des Menschen bis zum Ende der Pubertät. Danach stagniert das Hirnwachstum, in der Evolution und auch in der Individualentwicklung. Lernen fördert das Hirnwachstum, doch stagniert dieses, wenn Gedanken oder Ideen aufkommen und schon erlernte Erfahrungen benutzt werden. Stimuliert Lernen das Hirnwachstum, während schon erworbenes Wissen ein weiteres Wachstum blockiert? Hat der Sapiens-Mensch aufgehört zu lernen? Hören wir nach Pubertät und Adoleszenz auf zu lernen, weil wir schon zu viel Wissen gesteigert haben?

      In der Evolution vom Tier zum Menschen zeigt sich v.a. eine Vergrößerung des cerebralen Cortex oder der Hirnrinde31: Der „Encephalisationsgrad“, eine relative Größe von Hirngewicht und Körpergewicht, offenbart bei Säugetieren üblicherweise ein Hirngewicht von 0,3% des Körpergewichtes, beim Menschen aber von 2%. Man hat auch das Gewicht des Rückenmarks mit dem Gehirn verglichen und findet beim Huhn ein Verhältnis von 1:1, beim Hund von 1:4 und beim Menschen von 1:25. Die Bedeutung des Gehirns als Steuerungs- oder Lerninstrument des Menschen zeigt sich jedoch nicht nur an einer gegenüber anderen biologischen Geschöpfen zunehmenden Hirngröße. Auch 20% des menschlichen Energieverbrauchs wird vom Gehirn benötigt.

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      Warum das Gehirn im evolutionären Geschehen der letzten 2 bis 5 Millionen Jahre anfing zu wachsen, in den letzten 2 Millionen Jahren sein Wachstum enorm beschleunigte und in der Individualentwicklung des Menschen das Gehirn von der Geburt bis zum Ende der Pubertät um das 4 fache an Gewicht gewinnt, konnte die Forschung nicht ruhen lassen. Dass das Gehirn nicht wegen aufkommender Bedürfnisse zu wachsen beginnt, ist bereits von Darwin erkannt worden, als er Lamarcks Vererbung erworbener Fähigkeiten ablehnte. In Darwins Theorie der Entwicklung sind neu aufkommende Fähigkeiten die Folge von genetischen Mutationen, die im Gehirn neue Strukturen schaffen. Nach archäologischer Anthropologie, nach Ethnologie, Etologie und Neurowissenschaft ist heute v.a. die Genetik um Aufklärung der Evolution bemüht. Tatsächlich konnten Genetiker im Chromosom 1 von Tier und Mensch eine sog. NOTCH-Gengruppe entdecken, die bei allen Tieren zu einem Wachstum von Organen führt. Wurde das Genom des Menschen mit dem Genom von Schimpansen verglichen, so war der NOTCH2NL-Anteil der NOTCH-Gengruppe bei Schimpansen und Gorillas verkürzt gegenüber dem menschlichen Genom. Offenbar stimuliert das NOTCH2NL-Gen das Hirnwachstum: Von dem belgischen Forscherteam um Pierre Vanderhaeglen33 wurden NOTCH2NL-Gene in Mäusegenome transferiert und führten bei Mäusen zu einem intensiven Hirnwachstum: Beobachtet wurde eine Umwandlung von Stammzellen in Vorläuferzellen von Neuronen. Weniger Kopien von NOTCH2NL-Genen in Mäusegenomen führten zu geringen Größenveränderungen des Gehirns, mehr NOTCH2N-Gene führten zu einem Wachstum des Gehirns. Offenbar entsteht im Übergangsbereich vom Schimpansen oder Gorilla zum Menschen in der NOTCH-Gengruppe ein Gen-Allel NOTCH2NL, welches das Hirnwachstum beschleunigt. Ein größer werdendes Gehirn mit einer Zunahme der Neuronenzahl und einer Zunahme von Dendriten, die Neuronen zu Netzen verbinden, kann offenbar das Lernen des Menschen und seine Lernziele erweitern. Was dann als Lernziele angestrebt wird entspringt der menschlichen Neugier oder noch mehr seiner Aufmerksamkeit. Zu hoffen bleibt, dass Menschen das Richtige und das ihr Überleben Sichernde lernen.

      5. Vom Gourmet zum Allesfresser.

      Wo „körperliches Lernen“ die neuronalen Strukturen des Lernens erschuf, wird ein biologisches Geschöpf sich bald auch an Natur und Umfeld orientieren und von ihnen lernen wollen. Wer Lernen will braucht Neugier. Neugier ist eine in der biologischen Welt früh aufkommende Eigenschaft der Tiere. Sie ist sprunghaft und verführbar. Tiere richten ihre Sinne an das Umfeld und erkennen Gefahren, denen sie entkommen wollen aber auch Chancen auf der Suche nach Nahrung. Die archaischen Menschen aber werden „aufmerksam“, richten ihre Sinnesorgane auf Wichtiges und machen Erfahrungen, die sie speichern. Aus dem Erkennen dessen, was ihnen nützt oder schadet, werden sie schließlich verstehen, was sie gelernt haben und werden das „Verstehen“ weiter benutzen.

      Von nichtmenschlichen Primaten übernehmen die Hominiden das Leben in der Gruppe. Im offenen Lebensraum der Savanne bietet die Gruppe einen Schutz vor Räubern. Diese suchen nach Nahrung und greifen jene an, die sich fernab einer Gruppe aufhalten oder schwach und krank sind. Für Schwache und Kranke bildet die Gruppe eine wichtige Unterstützung und jene, die sich zu weit entfernen, werden zurück gerufen. Denn, wer in einer Gruppe lebt muss gehorchen, muss sich anpassen, Disziplin üben und sich mit der Gruppe identifizieren. Aggressivität und Koalitionsbildung, die sich in allen Gruppen einstellen, müssen kompensiert werden durch Versöhnungsrituale oder Solidarität. Aggressivität, Koalition und Kooperation, Versöhnungsrituale und Gesten der Solidarität sind Eigenschaften, die von Primatenforschern schon bei Gorillas, bei Schimpansen und Bonobos beobachtet haben und auch in der Entwicklung von Hominidengruppen auftauchen werden. In Gruppen muss ein soziales Leben geübt und erlernt werden.

      Wie groß die Gruppen der frühen Hominiden waren wissen wir nicht. Berggorillas leben in einer vom Silberrücken dominierten Gruppe von 8 bis 15 Tieren. Die später aufkommenden und mehr in der Savanne als in Wäldern lebenden Schimpansen und Bonobos bilden bereits Gruppen von 30 bis 50 Tieren. „Der Strudel des sozialen Lebens“ stimuliert offenbar das Hirnwachstum, schreibt der Primatenforscher Robin Dunbar9 und vergleicht die Gruppengrößen von nichtmenschlichen Primaten mit der Größe von deren Neocortex. Er beschreibt eine Beziehung zwischen Gruppengrößen unterschiedlicher Primaten


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