Bergdorf sucht... Bewohner. Josie Hallbach

Bergdorf sucht... Bewohner - Josie Hallbach


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Hannes nur widerwillig zum Schulhaus hinüberschlich.

      Endlich, gegen halb zwei hörte sie Daniels Auto, aber nur Phillip saß am Steuer. Seine Gesichtsfarbe tendierte gegen Grau. „Sie haben Nicole ins Krankenhaus geflogen. Daniel war sich nicht sicher, ob innere Verletzungen vorliegen. Aber sie hat auf alle Fälle einen Beckenbruch. Außerdem scheint ein Rückenwirbel verletzt zu sein.“

      „Sind Anne und Daniel mitgeflogen?“

      Phillip nickte. „Nicole wird vermutlich heute Nacht noch operiert. Ich hole Daniel nachher mit seinem Auto vom Krankenhaus ab. Bis dahin weiß man hoffentlich mehr.“

      Paula schaute ihn fragend an. Sie wagte es nicht, ihn auf den Grund für die Verletzung anzusprechen.

      Er wusste trotzdem, was sie meinte. „Sie muss vom Baugerüst gesprungen sein“, berichtete er und kämpfte um seine Fassung.

      „Du meinst gestürzt“, verbesserte sie.

      Er schüttelte den Kopf. „An dieser Stelle konnte man nicht einfach abstürzen. Sie muss bewusst über die Abgrenzung geklettert sein. Daniel meint, die Verletzungen wirken, als ob sie sich selbst einen möglichst großen Schaden hätte zufügen wollen. Sie war bei vollem Bewusstsein als ich kam, aber sie hat durch mich hindurchgestarrt, als wäre ich nicht vorhanden und als Anne sie anfassen wollte, schrie sie völlig hysterisch.“

      „Konnte Daniel mit ihr reden?“

      „Er war zumindest eine Zeit lang mit ihr allein, bis der Rettungshubschrauber kam.“ Phillip seufzte abgrundtief. „Ich hätte nie gedacht, dass sie dermaßen ausrasten könnte. Wir hatten doch immer ein gutes Verhältnis zueinander.“

      Das stimmte. Nicole schien von den aktuellen Insassen des Hauses Martin, am ehesten noch mit Phillip klarzukommen.

      „Ich mache mir Vorwürfe, dass ich ihre Probleme nicht rechtzeitig erkannt habe. Ich habe mich in letzter Zeit schwerpunktmäßig um Christine gekümmert und dabei übersehen, dass Nicole mit der ganzen Situation nicht mehr klarkommt“, fügte er leise hinzu. „Das hätte mir als Psychologen nicht passieren dürfen.“

      Paula streichelte ihm mitfühlend den Arm: „Kein Mensch macht alles richtig. Kann ich noch irgendetwas für dich tun?“

      „Nein, geh schlafen und vielen Dank für alles. Sobald ich mehr weiß, gebe ich dir Bescheid.“ Er drückte sie zum Abschied mit der ganzen Kraft seiner Verzweiflung.

      Paula ging besorgt in ihre Wohnung zurück. Inzwischen war es halb drei und sie sank erschöpft ins Bett. Dennoch dauerte es lange, bis sie einschlafen konnte.

      Kapitel 13:

      Sie wurde von der Türglocke wach. Hannes öffnete, so dass Paula Zeit fand, sich wenigstens etwas überzuziehen.

      Daniel erschien. Er wirkte derart zerschlagen, dass sie ihn einfach in den Arm nehmen musste. Er lehnte seinen Kopf an ihre Stirn und schwieg eine ganze Zeit lang. „Tut mir leid. Ich kann mich kaum mehr auf den Beinen halten, aber ich wollte dir Bescheid geben, dass Nicole außer Lebensgefahr ist. Anne bleibt so lange es geht bei ihr“, kam es endlich aus ihm heraus.

      Paula atmete erleichtert auf. „Wird sie wieder gesund?“

      „Ich hoffe es. Die Wirbelverletzung ist nicht ganz so gravierend wie ich befürchtet habe.“ Er ließ sich auf den nächstbesten Stuhl fallen und nahm sich eins der belegten Brötchen, die vom gestrigen Abend übriggeblieben waren.

      „Soll ich dir einen Kaffee machen?“

      „Nein danke, ich schlafe lieber.“ Er schaute sie entschuldigend an. „Ich fürchte, unser gemeinsames Wochenende läuft nicht ganz wie erwartet.“

      „Das macht nichts.“ Sie lächelte ihm aufmunternd zu. „Jetzt ist erst einmal deine Familie dran.“

      „Ich mach es wieder gut, das verspreche ich dir.“ Daniel fasste nach ihrer Hand und drückte sie. „Würde es dir übrigens etwas ausmachen, wenn ich mich bei dir ins Bett lege? Drüben herrscht das totale Chaos.“

      Paula schluckte schwer. Was sollte sie von dieser Anfrage halten? „Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist“, begann sie. Hannes befand sich zwar in der Nähe, aber die Lämmerbacher Gerüchteküche kochte jederzeit unter Volldampf.

      „Ich möchte wirklich nur schlafen, weiter nichts“, beteuerte er und blickte dabei so Mitleid erregend drein, dass sie automatisch schwach wurde. Das fing ja gut an mit ihrer Konsequenz.

      Sie nickte ergeben und begleitete ihn ins Schlafzimmer. Als sie für ihn das Bett frisch beziehen wollte, winkte er ab: „Bloß nicht. Ich mag es, wenn es nach dir riecht. Das hilft mir bestimmt beim Einschlafen.“

      Den Rest des Morgens räumte sie völlig unkoordiniert in ihrer Wohnung herum, putzte ein bisschen, begann zu kochen und nebenher Dinge zu sortieren. Allerdings war sie mit ihrem Kopf mehr bei Nicole im Krankenhaus und bei dem Mann in ihrem Schlafzimmer als bei den Dingen, die sie gerade tat. So schaffte sie es, in kurzer Zeit ein ziemliches Durcheinander anzurichten. Der Auflauf misslang und einige wichtige Schulunterlagen verschwanden urplötzlich, ohne dass sie im Entferntesten eine Ahnung hatte, wo sie gelandet sein könnten. Sie fand sie erst drei Tage später wieder, mitten zwischen ihren Kochbüchern.

      Kaum stand das wenig attraktiv aussehende Essen auf dem Tisch, streckte Daniel, lediglich in schwarze Boxershorts bekleidet, den Kopf durch die Tür. Er gähnte und begab sich ins Badezimmer. Inzwischen kannte er sich dort ja bestens aus.

      Auf dem Rückweg machte er bereits einen deutlich muntereren Eindruck. Es reichte zumindest für einen Abstecher in der Küche und eine zärtliche Umarmung. Paula stand in ihrer Küchenschürze verlegen da und wusste nicht wohin mit ihren Händen. Sie fühlte sich bei so viel gut gebauter Männlichkeit etwas überfordert.

      Wie bestellt erschien natürlich genau in diesem Augenblick Hannes auf der Bildfläche. Er registrierte die maskuline Umschlingung seiner Schwester mit einer anerkennenden Grimasse.

      Paula befreite sich sofort aus den kräftigen Armen und fragte unsicher: „Möchte jemand von euch etwas mitessen? Der Auflauf ist leider etwas missraten.“

      Ihr Bruder nickte leidend und Daniel sagte wohlerzogen: „Ich bin von Anne hinreichend abgehärtet und werde mich also ganz wie zu Hause fühlen.“ Zu ihrer Erleichterung zog er sich vorher aber seine restliche Kleidung über.

      Hannes beobachte den Freund seiner Schwester beim anschließenden Essen denkbar interessiert. „Scheinst gut in Form zu sein“, kommentierte er schließlich etwas neidvoll. Sein eigener Bizeps ließ trotz zwei Wochen harter Bautätigkeit schwer zu wünschen übrig und auch ansonsten war er in erster Linie einfach dünn.

      Paula bemerkte etwas irritiert, dass die beiden in der Zwischenzeit einen wesentlich freundschaftlicheren Umgangston pflegten, zumindest waren sie ohne ihr Wissen zum „Du“ übergewechselt.

      „Ich ging eine Zeit lang regelmäßig ins Fitnessstudio“, berichtete Daniel bereitwillig. „Jetzt jogge ich nur noch zweimal die Woche und mache Situps und ein bisschen Hanteltraining, das ist alles.“

      Sie konnte leider mit keiner Sportart aufwarten. Und auch sonst gab es nichts an ihr, das Aufmerksamkeit erregt hätte. Ihr hatten noch nie Männer im Freibad hinterhergepfiffen. Warum also musste ausgerechnet sie einen Freund abkriegen, der diesen Katalog-Jungs auf den Hochglanzprospekten ähnelte, die mit ihrem Waschbrettbauch Werbung für Unterwäsche machten?

      Die beiden Männer unterhielten sich weiterhin angeregt über diverse Fitnessprogramme, so dass Paulas Einsilbigkeit nicht auffiel. Kaum hatte Hannes jedoch den letzten Bissen in den Mund geschoben, verabschiedete er sich auffällig überstürzt. Dabei schenkte er seiner Schwester ein diskretes Lächeln und fügte unnötigerweise hinzu, dass er nicht vor dem Abendessen heimzukommen gedenke, sie also völlig ungestört wären. Damit erteilte er Daniel unübersehbar seinen familiären Segen.

      Paula


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