Pamela, oder die belohnte Tugend. Samuel Richardson
selbst sind wir
Deine dich liebenden Eltern
Lass dir nicht von den Leuten sagen, wie schön du bist, damit du nicht eitel wirst. Denn du hast deinen Leib nicht selbst gemacht und daher kein Lob dafür verdient. Tugend und Güte allein machen die wahre Schönheit aus. Vergiss dies nicht, Pamela.
Brief IX
Lieber Vater und liebe Mutter,
es tut mir leid, Euch mitteilen zu müssen, dass meine Hoffnung, als Zofe zu Lady Davers gehen zu können, sich zerschlagen hat. Die Lady hätte mich gerne gehabt, doch mein Herr hat dem, wie ich hörte, nicht zugestimmt. Er sagte, dass ihr Neffe sich vielleicht in mich verlieben würde, und dass ich ihn oder er mich verführen könne, und war der Meinung, da seine Mutter mich liebte und mich seiner Sorge anvertraute, dass ich bei ihm bleiben solle und dass Mrs. Jervis wie eine Mutter für mich sein würde. Von dieser weiß ich, dass die Lady den Kopf geschüttelt und gesagt hat:
"Ach, Bruder!"
Und das war alles. Weil Ihr mich durch Eure Warnungen bange gemacht habt, kommen mir immer wieder böse Ahnungen. Bis jetzt habe ich Mrs. Jervis nichts von Eurer Warnung oder meinem eigenen Unbehagen gesagt, nicht weil ich ihr misstraue, sondern weil ich befürchte, dass sie mich für überheblich, aufgeblasen und eitel hält, wenn ich mir trotz des großen Abstandes zwischen einem Edelmann und einem armen Mädchen solche Sorgen mache. Allerdings hat es den Anschein, dass Mrs. Jervis einige Schlüsse aus Lady Davers´ Kopfschütteln zieht und daraus, dass sie nicht mehr sagte als: Ach Bruder!. So hoffe ich, dass Gott Gnade mit mir hat. Ich werde mir daher, wenn ich vermag, darüber nicht allzu sehr den Kopf zerbrechen, denn es gibt dafür hoffentlich keinen Anlass. Ich werde Euch aber über jede Kleinigkeit, die mir widerfährt, in Kenntnis setzen, damit Ihr mir weiterhin guten Rat erteilen und beten könnt für
Eure traurige Pamela
Brief X
Liebe Mutter,
ihr und mein guter Vater wundert Euch vielleicht, warum ihr seit so vielen Wochen keinen Brief von mir erhalten habt. Der Grund dafür war eine sehr, sehr traurige Begebenheit. Denn es ist nun allzu offensichtlich, dass Eure Warnungen wohl begründet waren. Ach, liebe Mutter! Es geht mir elend, wirklich elend! Habt dennoch keine Angst, ich bewahre die Tugend! Gott in seiner Güte erhalte mich darin!
Ach, dieser engelhafte Herr! Dieser feine Edelmann! Dieser liebreizende Wohltäter Eurer armen Pamela!, der sich nach dem Wunsch seiner sterbenden Mutter um mich kümmern sollte. Der so in Sorge um mich war, dass Lady Davers´ Neffe mich verführen würde, dass er mich nicht zu ihr gehen ließ. Genau dieser Edelmann (ja, ich muss ihn so nennen, obwohl er diesen Titel nicht mehr verdient) ist so tief gesunken, dass er sich seiner Dienerin gegenüber eigenmächtige Freiheiten herausnahm. Er hat nun sein wahres Gesicht gezeigt, und nichts erscheint mir finsterer und schrecklicher.
Ich bin nicht müßig gewesen, sondern habe von Zeit zu Zeit aufgeschrieben, mit welch verschlagener Niedertracht er nach und nach seine verderbten Gedanken offenlegte. Doch jemand stahl meinen Brief, und ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Er war sehr lang. Ich fürchte, dass mein Herr, der gemein genug ist, um in einer Hinsicht Übles zu tun, dies auch in anderer getan hat. Wie auch immer, mehr als die eigene Beschämung kann er dadurch nicht erlangt haben, wozu ich selbst aber keinen Grund habe, denn er wird sehen, dass ich an meiner Tugend festhalte und mich glücklich schätze, arme, aber ehrbare Eltern zu haben.
Ich berichte Euch über alles bei der nächsten Gelegenheit, denn ich werde sehr genau beobachtet. So sagte er zu Mrs. Jervis:
"Dieses Mädchen ist ständig am Kritzeln. Ich denke, man könnte ihr Besseres zu tun geben."
Ich arbeite aber den ganzen Tag mit meiner Nadel und kümmere ich um seine Wäsche und die Wäsche des Hauses, und ich sticke ihm nebenbei eine Weste. Aber, ach!, mein Herz will gleich zerbrechen, denn was ich als Lohn erhalte, ist Scham, Schimpf, Schande und schlechte Behandlung! Ich werde Euch alles in Bälde berichten und hoffe, meinen langen Brief zu finden.
Eure höchst betrübte Tochter
Vielleicht übertreibe ich es mit all dem Er und Ihm. Das ist aber seine Schuld. Denn warum hat er sich mir gegenüber so entwürdigt?
Brief XI
Liebe Mutter,
ich kann meinen Brief nicht wiederfinden und versuche also, alles zu erinnern und mich möglichst kurz zu fassen. Eine Zeitlang liefen die Dinge nach meinem vorletzten Brief ganz gut. Schließlich aber kam mir manches verdächtig vor, denn wann immer er mich sah, blickte er mich auf eine Weise an, die nichts Gutes verheißt. Eines Tages kam er zu mir, als ich im Gartenhaus mit meiner Nadel arbeitete und Mrs. Jervis mich gerade verlassen hatte. Ich wollte hinausgehen, doch er sagte:
"Nein, geht nicht, Pamela. Ich muss mit Euch sprechen. Immer flieht ihr vor mir, wenn ich in Eure Nähe komme, als hättet Ihr Furcht vor mir."
Ich war sehr verstört, wie Ihr Euch denken könnt, sagte aber endlich:
"Es kommt Eurer Dienerin nicht zu, in Eurer Nähe zu weilen, Sir, wenn es Eure Angelegenheiten nicht erfordern. Und ich hoffe, immer meinen rechten Platz zu kennen."
"Nun", sagte er, "meine Angelegenheiten erfordern es manchmal, und ich finde, dass Ihr bleiben solltet, um zu hören, was ich Euch zu sagen habe."
Ich stand immer noch verwirrt da und begann zu zittern, und zitterte noch mehr, als er mich bei der Hand fasste, denn keine Menschenseele war in der Nähe.
"Meine Schwester Davers" (er schien ebenso verlegen um Worte zu sein wie ich) "wollte Euch bei sich haben. Aber sie würde nicht das für Euch tun, was ich zu tun entschlossen bin, wenn ihr weiterhin treu und ergeben seid. Was sagst Du, mein Mädchen?"
Er sprach nun sehr aufgeregt.
"Möchtest Du nicht lieber bei mir bleiben als zu meiner Schwester Davers gehen?"
Er hatte einen Blick, der mir Schrecken einflößte. Wie soll ich ihn nennen? Irrsinnig, so kam er mir vor.
Endlich sagte ich:
"Ihr mögt mir vergeben, Sir, aber da Ihr keine Dame habt, der ich als Zofe dienen kann, und meine Herrin vor einem Jahr verstorben ist, würde ich lieber, wenn es Euch nicht missfällt, bei Lady Davers arbeiten, denn –"
Ich wollte fortfahren, doch er sagte:
"Denn Ihr seid eine Närrin und wisst nicht, was gut für Euch ist. Ich sage Euch, ich mache Euch zu einer Dame, wenn Ihr Ergebenheit zeigt und Euch nicht selbst im Wege stehst."
Und indem er so sprach, legte er seinen Arm um mich und küsste mich!
Ihr werdet nun sagen, dass all seine Schlechtigkeit zutage getreten ist. Ich wehrte mich und zitterte und war vom Schrecken so benommen, dass ich niedersank, nicht in einer Ohnmacht, aber auch nicht mit Absicht. Dann fand mich ganz kraftlos in seinen Armen wieder, und er küsste mich zwei oder drei Mal mit großer Gier. Endlich riss ich mich los und wollte aus dem Gartenhaus fliehen, doch er hielt mich zurück und schloss die Tür.
Ich hatte ein Gefühl, als ginge mein Leben zu Ende. Er sagte:
"Ich werde Euch nichts zuleide tun, Pamela, habt keine Angst vor mir."
"Ich will hier aber nicht bleiben!"
"Ihr wollt nicht bleiben, Ihr Luder! Wisst ihr denn nicht, mit wem Ihr sprecht?"
Da fiel alle Furcht und aller Respekt von mir ab.
"Ja, Sir, nur zu gut! Aber ich mag vergessen, dass ich Eure Dienerin bin, wenn Ihr vergesst, was einem Herrn geziemt."
Ich schluchzte und weinte ganz unglücklich.
"Was für ein törichtes Luder Ihr seid! Habe ich Euch denn Übles getan?"
"Ja, Sir, das Übelste in der Welt: Ihr habt mich dazu verleitet, mich selbst zu vergessen und was sich für mich gehört, und habt den Abstand verringert, den das Schicksal zwischen uns gesetzt hat, indem Ihr Euch erniedrigt und Euch mit mir einlasst. Ja, Sir, ich erkühne mich zu sagen, ich bin arm, aber ehrbar, und wäret