Pamela, oder die belohnte Tugend. Samuel Richardson
Sir", sagte ich aufgeregt, "lasst mich nach unten gehen. Denn es schickt sich nicht, dass ich mit einem vornehmen Herrn streite."
"Wortverdreherin, schon wieder!" Er nahm meine Hand. "Wieso sprecht Ihr von einem Streit? Ist es streiten, wenn Ihr auf eine einfache Frage antworten sollt? Antwortet mir also auf meine Frage."
"Ach, guter Herr, ich bitte Euch, mich nicht weiter zu drängen, da ich sonst fürchte, mich selbst zu vergessen und unverschämt zu werden."
"Ihr sollt mir antworten. Habt Ihr Mrs. Jervis etwas erzählt? Es wäre unverschämt von Euch, mir keine direkte Antwort auf meine Frage zu geben."
"Sir", sagte ich und hätte zu gerne meine Hand zurückgezogen, "ich könnte Euch vielleicht mit einer anderen Frage antworten, aber das stände mir nicht zu."
"Was soll das heißen? Sprecht offen."
"Also gut, Sir. Warum wäret Ihr, gnädiger Herr, so erbost, wenn ich Mrs. Jervis oder sonst jemandem das Geschehene mitgeteilt hätte, wenn Ihr nichts Schlechtes im Sinn hattet?"
"Klug gesagt, und so unschuldig und ungekünstelt! Ganz nach der Beschreibung von Mrs. Jervis. Damit macht Ihr Euch nur lustig über mich, frech wie Ihr seid! Ich bestehe aber immer noch auf eine direkte Antwort auf meine Frage."
"Also gut, Sir", sagte ich, "Ich will um keinen Preis lügen: Ich habe in meinem Kummer Mrs. Jervis davon erzählt, anderen gegenüber aber war mein Mund verschlossen."
"Sehr gut. Respektlos wie Ihr seid, redet Ihr wieder zweideutig! Euer Mund war verschlossen. Aber habt Ihr an andere darüber nicht geschrieben?"
"Warum denn, gnädiger Herr?" Ich war jetzt ganz mutig geworden. "Ihr könntet mich das nicht fragen, wenn Ihr nicht meinen Brief an meinen Vater und meine Mutter an Euch genommen hättet, in dem ich ihnen, ich gebe es zu, alles erzählte und mein Kummer offenbarte und um ihren Rat fragte."
"Und so bin ich", sagte er, "durch ein Früchtchen wie Euch in meinem eigenen Haus und vor der ganzen Welt bloßgestellt?"
"Nein, guter Herr, seid nicht wütend auf mich. Ich habe Euch nicht bloßgestellt, sondern nichts als die Wahrheit gesagt!"
"Schon wieder macht Ihr Euch lustig, Ihr freches Ding! Ich will so nicht ins Gerede kommen!"
"Bitte, Sir", sagte ich, "von wem kann ein armes Mädchen Rat bekommen, wenn nicht von seinen Eltern und einer so guten Frau wie Mrs. Jervis, die aus Verbundenheit mit dem eigenen Geschlecht mir raten sollte, wenn ich danach verlange?"
"Was für eine Dreistigkeit!" Er stampfte mit dem Fuß auf. "Muss ich mir von einer wie Euch solche Fragen stellen lassen?"
Ich fiel auf meine Knie.
"Um des Himmels Willen, gnädiger Herr, habt Mitleid mit einem armen Geschöpf, das die Pflicht nicht kennt, die es Euch schuldet, das aber alles auf seine Tugend und seinen guten Ruf gibt. Ich habe nichts anderes, auf das ich vertraue, und, obgleich arm und ohne Freunde, habe ich doch gelernt, die Tugend höher zu schätzen als das Leben."
"Ihr macht viel Aufhebens um Eure Tugend, närrisches Mädchen!", sagte er. "Gehört es nicht zur Tugend, pflichteifrig und dankbar gegenüber Eurem Herrn zu sein? Was meint Ihr?"
"In der Tat, Sir, geht es nicht an, dass ich gegen Euch undankbar oder ungehorsam wäre oder es verdiente, frech oder unverschämt genannt zu werden, außer Eure Befehle widersprächen jener ersten Pflicht, die stets das Richtmaß für mein Leben ist! "
Er schien aufgewühlt zu sein und erhob sich und begab sich in das große Zimmer nebenan, wo er eine Zeitlang auf- und abging, während ich auf meinen Knien verweilte. Ich bedeckte mein Gesicht mit der Schürze und legte meinen Kopf auf einen Stuhl und weinte, als wolle mir mein Herz zerspringen, ohne noch die Kraft zu haben, mich zu rühren.
Endlich kam er wieder herein, doch, leider! mit Groll in seinem Herzen! und nahm mich hoch.
"Steht auf, Pamela, steht auf! Ihr seid Euch selbst ein Feind. Eure Torheit wird Euch zugrunde richten. Ich sage Euch, ich bin sehr ungehalten darüber, wie Ihr meinen Namen bei der Hausdame und bei Euren Eltern verleumdet habt, und es ist einerlei, ob Ihr dafür einen wirklichen Grund hattet oder meinen Namen in Einbildung mit Schmutz bewarft."
Dann zog er mich mit Gewalt auf seine Knie. Ach, wie ich mich fürchtete! Ich rief die Worte, die ich eine oder zwei Nächte zuvor in einem Buch gelesen hatte:
"Engel und Heilige und die Heerschar des Himmels, beschützt mich!"
Und dass ich nicht für einen Augenblick den Verlust meiner Tugend überleben solle!
"Ihr hübsche Närrin!", sagte er. "Wie könnt Ihr Eure Tugend verlieren, wenn Ihr einer Kraft Euch beugt, der Ihr nicht widerstehen könnt? Seid ohne Sorge, denn das Schlimmste, was Euch widerfahren wird, ist, dass Ihr die Ehre habt und ich die Schande. Es wird auch ein lohnendes Thema für Briefe an Eure Eltern sein und obendrein eine schöne Geschichte für Mrs. Jervis."
Er küsste mit Gewalt meinen Hals und meine Lippen und sagte:
"Wer hat jemals Lucretia beschuldigt? Alle Schande lag auf dem Schänder. Ich bin also bereit, die Schuld auf mich nehmen, zumal davon schon mehr auf mir lastet, als ich verdiene."
"So könnte ich wie Lucretia durch meinen Tod mich rechtfertigen, wenn ich auf grausame Weise entehrt werde?"
"Ach, gutes Kind", sagte er höhnisch, "ich sehe schon, Ihr seid recht belesen. Wir werden einen guten Stoff für einen Roman abgeben, bevor wir es getan haben, dessen seid versichert."
Dann steckte er die Hand in meinen Busen, was mich so entrüstete, dass sich meine Kraft verdoppelte und ich mich von ihm mit einem Ruck losmachte und aus dem Zimmer lief und im nächsten Zimmer, das ich offen fand, die Tür hinter mir zuwarf und sie verschloss. Doch er folgte mir so nahe, dass er mein Kleid zu fassen bekam und ein Stück davon abriss, das noch aus der Tür ragte, denn sie war von innen versperrt.
Ich erinnere mich nur, wie ich in das Zimmer gelangte. Was danach geschah, weiß ich nicht mehr, weil ich in meinem Schrecken in eine Ohnmacht fiel, und so lag ich, bis er, wie ich vermute, mich durch das Schlüsselloch auf dem Boden ausgestreckt auf dem Gesicht liegen sah. Er rief Mrs. Jervis herbei, die mit seiner Hilfe die Tür aufbrach. Als er sah, dass ich wieder zu mir kam, trug er ihr auf, niemandem davon zu erzählen, wenn sie klug wäre, und ging davon.
Die arme Mrs. Jervis dachte, es stünde schlimmer um mich, als es in Wirklichkeit war, und weinte über mir wie eine Mutter. Erst nach zwei Stunden kam ich wieder zu mir, und gerade als ich imstande war, mich zu erheben, kam er herein, so dass ich vor Schrecken wieder in Ohnmacht fiel. Er zog sich zurück, blieb aber im benachbarten Zimmer, um zu verhindern, dass jemand in unsere Nähe kam und seine Machenschaften bekannt würden.
Mrs. Jervis reichte mir ihr Riechfläschchen, zerschnitt mein Schnürbändchen und setzte mich in einen großen Stuhl. Er rief sie zu sich.
"Wie geht es dem Mädchen? Nie in meinem Leben sah ich solch eine Närrin. Ich habe ihr überhaupt nichts getan."
Mrs. Jervis konnte vor Weinen nicht sprechen. Also sagte er:
"Sie hat Euch, wie es scheint, erzählt, dass ich im Gartenhaus zu ihr freundlich war, doch ich versichere Euch, ich habe mir so wenig zu Schulden kommen lassen wie auch jetzt. Ich bitte Euch, diese Angelegenheit für Euch zu behalten und meinen Namen herauszuhalten."
"Ach, Sir, um Euer und um Christus Willen!"
Doch er wollte sie nicht hören.
"Um Euer selbst Willen sage ich Euch, Mrs. Jervis, sprecht kein Wort mehr. Ich habe ihr nichts getan. Und ich möchte nicht, dass sie in meinem Haus bleibt, so schwatzhaft und verdreht, wie diese Närrin sich gebärdet! Da sie aber so flink darin ist, in Ohnmacht zu fallen, oder dies zumindest vorgibt, bereitet sie darauf vor, morgen nach dem Mittagessen zusammen mit Euch zu mir in die Kammer meiner Mutter zu kommen, dann werdet Ihr hören, wie es zwischen uns steht."
Und so ging er in schlechter Laune hinaus und befahl, seine Kutsche zu bespannen, um jemanden besuchen zu fahren.
Mrs. Jervis