Der Mann, der Donnerstag war. Gilbert Keith Chesterton

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Kerl? Warum ergehts mir nun genau so wie Ihnen, Gregory?« Er hielt einen Moment inne, und dann setzte er mit einem Ton munterster Neugierde hinzu: »Ist es vielleicht, weil Sie ein derartiger Esel sind?«

      Und da war wieder eine ängstliche Stille, und Syme rief aus:

      »Wohlan, mög alles der Teufel holen! Dieses ist die komischste Situation, in der ich mich jemals in meinem Leben befunden habe – und ich will ganz demgemäß handeln. Gregory, Gregory – ich mußte Ihnen etwas heilig versprechen, bevor ich hierherkam. Und ich würde dieses mein Versprechen selbst unter rotglühenden Kneipzangen noch halten. Wollen Sie mir nun, zu meiner eigenen Sicherheit, ein kleines Versprechen von einer ähnlichen Art geben?«

      »Ein Versprechen?« fragte Gregory – verwundert.

      »Ja«, sagte Syme mit tiefem Ernst, »ein Versprechen. Ich schwur zu Gott, daß ich Ihr Geheimnis nicht bei der Polizei anzeigen würde. Wollen Sie mir bei aller Humanität schwören, oder an was immer für ein Viehzeug Sie glauben, daß Sie mein Geheimnis nie irgendeinem Anarchisten offenbaren werden?«

      »Ihr Geheimnis?« fragte der über alle Maßen baffe und starre Gregory, »haben Sie ein Geheimnis?«

      »Ja«, sagte Syme, »ich habe ein Geheimnis.« Und nach einer Pause – »Wollen Sie schwören?«

      Gregory sah ihn sekundenlang wild und durchdringend an und dann sagte er schnell:

      »Sie müssen mich behext haben, aber ich bin wütend neugierig auf Sie. Ja ja ja ja, ich schwöre Ihnen, daß ich nichts von allem, was Sie mir sagen werden, den Anarchisten sagen werde. Aber sputen Sie sich, denn sie werden in ein paar Minuten hier sein.«

      Syme stand faul auf und schob seine langen weißen Hände in seine langen grauen Hosentaschen. Und kaum hatte er dies getan, so pochte es draußen an der Luke fünfmal – ein Zeichen, daß die ersten Verschwörer anlangten.

      »Also ...«, sagte Syme faul, »ich weiß nicht, wie ich Ihnen all das Wahre kürzer mitteilen sollte als mit den drei Worten: daß Ihr Trick, sich als einen meschuggenen Dichter aufzuspielen, sich nicht auf Sie oder Ihren Präsidenten beschränkt. Wir kennen diesen Trick seit einiger Zeit schon – bei Uns – auf der Londoner Kriminalpolizei.« Gregory versuchte aufzuspringen, aber etwas drückte ihn dreimal wieder nieder.

      »Was ... sagen ... Sie?« fragte er – und das schien von keiner Menschenstimme mehr –

      »Ja«, sagte Syme wie selbstverständlich, »ich bin ein Polizeidetektiv. Aber ich denke, ich höre Ihre Freunde kommen.«

      Den Torweg her, da kam ein Murmeln: »Mr. Joseph Chamberlain ...« Und wiederholte sich – zweimal – dreimal – und dann dreißigmal ... und der Haufen der Joseph Chamberlainisten (ein ehrfurchteinflößender Gedanke) meldete trampelnd sich den Korridor herab.

      Das dritte Kapitel

      Der Mann, der Donnerstag war

      Bevor eins der neuen Gesichter im Torweg auftauchte, hatte Gregory sich aus seiner Betäubung befreit: stand mit einem Satz am Tisch, aus seinem Halse rasselnd wie ein wildes Tier: ergriff den Totschläger-Revolver und zielte auf Syme. Der aber, der muckste nicht – und erhob nur eine bleiche und galante Hand.

      »Seien Sie doch nicht so albern«, sagte er mit der verweichlichten Würde eines Kuratus. »Sehen Sie denn nicht, daß das ganz überflüssig ist? Sehen Sie denn nicht, daß wir dasselbe Schicksal teilen – daß wir beide in einem Boote treiben? Ja ... und beide hübsch seekrank?«

      Gregory war keines Wortes fähig und auch nicht imstande, abzudrücken ... er fragte nur noch mit den Augen.

      »Wollen Sie denn nicht einsehen, daß wir eins das andere schachmatt gemacht haben?« rief Syme. »Ich – ich kann der Polizei nicht erzählen, daß Sie Anarchist sind, Sie – Sie können den Anarchisten nicht erzählen, daß ich Polizei bin. Ich kann nichts als Ihnen gegenüber auf meinem Posten sein, indem ich ganz genau weiß, wer Sie sind. Und Sie können nichts als mir gegenüber auf dem Ihrigen sein, indem Sie ganz genau wissen, wer ich bin. Kurz, es ist ein gänzlich abseitiges und verborgenes intellektuelles Duell zwischen uns beiden, total ohne Zeugen, meinen Kopf gegen den Ihrigen gesetzt. Ich bin Polizeimensch, ganz von aller Hilfe aller Polizei verlassen. Und Sie, mein armer Bester, Sie sind Anarchist, ganz außer allem Gesetz und aller Organisation, ganz ohne diese beiden, die selbst die Anarchie doch so nötig hat ... Der einzige Unterschied zwischen uns beiden liegt darin, ob Sie mir Ihren Schutz angedeihen lassen wollen. Sie sind nicht von inquisitorischen Schutzleuten umgeben. Wohl aber ich von inquisitorischen Anarchisten. Ich kann Sie nicht ausliefern, aber es könnte sein, daß ich mich selber ausliefere. Kommen Sie, so kommen Sie doch! und warten Sie's ab und sehen Sie zu, wie ich mich selber ausliefere! Ich werde es auf das Unterhaltlichste tun.«

      Gregory ließ das Schießeisen langsam sinken und starrte aber Syme immer noch an, als sei der ein Meerwunder.

      »Ich glaube nicht daran, ich glaube in alle Ewigkeit nicht daran«, sagte er endlich, »aber sollten Sie nach alldem dennoch Ihr Wort brechen, so würde unser Herrgott gewiß eigens für Sie eine eigene Hölle erschaffen, darin Sie in alle Ewigkeit heulen und zähneklappern müßten.«

      »Ich werde mein Wort schon nicht brechen«, sprach Syme unnachgiebig, »aber auch Sie werden das Ihrige nicht brechen .. Da sind Ihre Freunde.« Der Haufen Anarchisten brach schwer herein – schwerfällig, schleppend und wie müde und beschwerlich. Und nur ein kleiner Mann, ein Männchen, schwarz bebartet und mit Augengläsern – ein Männchen vom Typ des Mr. Tim Healy – wand sich aus dem Knäuel heraus und zappelte voran – die Hände voller Papiere.

      »Kamerad Gregory«, sagte er, »ein Delegierter vermutlich?«

      Gregory, aufs neue überrannt, sah zu Boden und nuschelte etwas, das Syme heißen sollte; aber Syme versetzte – fast naseweis:

      »Bin erfreut zu sehen, daß Ihr Zugang genügend genug bewacht ist ... also daß es einem andern, der nicht Delegierter wäre, ziemlich schwer gemacht würde, hier hereinzukommen.«

      Um die Brauen des schwarz bebarteten Männchens zog es sich immer noch schwarz-argwöhnisch zusammen.

      »Welchen Zweig repräsentieren Sie?«

      »Es wäre fast Dreistigkeit, da viel von einem Zweig zu reden«, sagte Syme und lachte, »wir sollten es viel lieber gleich die Wurzel nennen.«

      »Wie belieben?«

      »Tatsache ist«, sagte Syme heiter, »die Wahrheit ist – ich bin ein ... Sonntagskind. Ich bin speziell ausgeschickt, um nachzusehen, daß Sie ... den Sonntag heiligen.«

      Der kleine Mann ließ eins seiner Papiere fallen, – und eine Flamme der Scheu leckte über die Gesichter der Gruppe hin. Es war einleuchtend, daß der hehre Präsident, der Sonntag hieß, zuweilen solch einen irregulären Abgesandten zu solchen Zweigversammlungen absandte.

      »Nun wohl, Kamerad«, sprach der Mann mit den Papieren nach einer Pause, »da tun wir vielleicht gut – da tun wir sogar noch besser, wenn wir Ihnen Sitz und Stimme in unserer Versammlung einräumen?«

      »Wenn ich Ihnen als Freund raten soll«, sagte Syme mit Nachdruck und Wohlwollen zugleich, »so tun Sie damit vielleicht gut – ja, tun Sie sogar noch besser.«

      Wie Gregory dies gefahrenreiche Frage- und Antwortspiel mit einer ungeahnten Garantie für die Sicherheit seines Rivalen ausgehen hörte, triebs ihn jäh empor – und er durchmaß den Raum im Geschwindschritt und unter schrecklichen Gedanken. Er befand sich in der Tat da in einer tödlichen Zwickmühle. Wie nur heraus? Was anstellen? Klar war dieses: daß Syme durch seine improvisierte maßlose Dreistigkeit wahrscheinlich aus allen nur möglichen Klemmen entkommen würde. Und das barg wenigstens etwas – wenigstens etwas Hoffnung für ihn. Konnte er selber Syme verraten? Das ging doch nicht. Und ging nicht nur nicht aus Ehrensache. Denn wenn er selber Syme verriet und denselbigen Syme (wie mit einigem Grund anzunehmen war) nicht gleich ganz und gar unschädlich machen konnte – ja dann entwischte und entkam ja ein Syme (ein ganz anderer Syme), der ledig war aller Schweigepflicht, ein Syme mit einem Wort, der getrost


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