Im heiligen Lande. Selma Lagerlöf

Im heiligen Lande - Selma Lagerlöf


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ziehen sah: Er lehnte das Kreuz gegen seine Schulter, sein Gesicht klärte sich auf, und er erhob die Arme gen Himmel.

      Als die Vorüberfahrenden ihn sahen, wie er so mit seinem Kreuz dastand, zuckten sie zusammen, aber nicht vor Überraschung. Es war weit eher, als hätten sie erwartet, daß gerade das das erste sein müsse, was ihren Augen in Jerusalem begegnete.

      Mehrere von ihnen erhoben sich in innigem Mitleid. Sie streckten die Arme aus; man konnte sehen, daß sie gerne vom Wagen gestiegen wären, um dem Alten seine Last tragen zu helfen.

      Einige von den Kolonisten, die schon mit den Verhältnissen in Jerusalem bekannt waren, sagten zu den Neuangekommenen: »Das ist ein armer verrückter Mann, so geht er hier jeden Tag. Er glaubt, daß es Christi Kreuz ist, das er trägt, und daß er es tragen muß, bis er jemand findet, der das Kreuz für ihn tragen will.«

      Die Vorüberfahrenden wandten sich um, und sahen dem armen Kreuzträger nach. Solange sie ihn sehen konnten, stand er am selben Fleck, die Arme gen Himmel erhoben, und mit einem Ausdruck der unbeschreiblichsten Verzückung.

      Aber dies war das letztemal, daß man den armen Kreuzträger in Jerusalem sah. Die Aussätzigen, die vor den Toren gelagert liegen, warteten am nächsten Tag vergebens auf sein Kommen. Er störte nicht die Trauernden auf den Begräbnisplätzen, er bemühte die Wächter in Kaiphas' Hause nicht, die frommen Damen in Zion hatten keine Gelegenheit, das Brötchen darzureichen, das er sonst jeden Tag holte. Der türkische Türwächter wartete unwillkürlich darauf, ihn kommen und wieder entfliehen zu sehen. Die guten Wasserträger sahen vergeblich in den menschenwimmelnden Straßen nach ihm aus.

      Der arme Alte ließ sich nie wieder in der heiligen Stadt blicken. Man wußte nicht, ob er tot in seiner Grotte auf dem Ölberge lag, oder ob er nach seinem Heim in dem fernen Lande zurückgekehrt war.

      Das einzige, was man sicher von ihm wußte, war, daß er die schwere Last nicht mehr schleppte. Denn am Morgen nach der Ankunft der Bauern aus Dalarne fanden die Gordonisten das mächtige Kreuz: es lag auf der hohen Treppe vor dem Eingang zu ihrem Hause.

      »Mauern aus lautrem Gold und Tore von reinem Kristall.«

      Unter den Jerusalemfahrern war auch ein Schmied, der Birger Larsson hieß. Er war während der ganzen Zeit sehr froh über diese Reise gewesen. Niemand war es so leicht geworden, sich von der Heimat zu trennen, und niemand hatte sich so von Herzen darauf gefreut, die Herrlichkeit Jerusalems zu sehen.

      Aber Birger erkrankte fast in demselben Augenblick, als er in Jaffa an Land ging. Er mußte mehrere Stunden in der Sonnenhitze am Bahnhof sitzen, ehe der Zug abging, und er wurde elender und elender. Als er in einen der heißen Eisenbahnwagen kam, fing ihm der Kopf so an zu schmerzen, als müsse er zerspringen. Und als sie Jerusalem erreichten, war er so matt, daß Tims Halvor und Ljung Björn ihn unter die Arme nehmen und ihn fast auf den Bahnsteig hinaustragen mußten.

      Bo hatte nach Jerusalem telegraphiert, um die Kolonisten von der Ankunft der Darlekarlier zu benachrichtigen. Mehrere von den schwedischen Amerikanern waren am Bahnhof, um die Verwandten und Freunde zu begrüßen. Da hatte Birger so starkes Fieber, daß er seine alten Landsleute nicht wiedererkennen konnte, obwohl einige von ihnen seine nächsten Nachbarn gewesen waren. Soviel hatte er aber doch verstanden, daß er nach Jerusalem gekommen war, und er war nur von dem Gedanken erfüllt, daß er sich aufrecht halten müsse, bis er die heilige Stadt gesehen hatte.

      Von dem Bahnhof aus, der eine gute Strecke außerhalb Jerusalems liegt, konnte Birger nichts von der Stadt sehen. Solange er da war, lag er ganz still, mit geschlossenen Augen. Aber endlich hatten alle Platz in den Wagen gefunden, die auf sie warteten. Sie fuhren durch das Tal Hinnom, und oben auf dem Bergrücken über ihnen gewahrten sie Jerusalem.

      Birger hob die schweren Augenlider, und sah eine Stadt, die von einer hohen Mauer mit Zinnen und Türmen umgeben war. Hinter der Mauer ragten hohe, kuppelförmige Gebäude auf, und einige Palmen wogten im Bergwinde.

      Aber es war gegen Abend, und die Sonne stand ganz unten am Rande der westlichen Hügel. Sie war sehr rot und groß, und warf einen starken Schein über den ganzen Himmel. Auch die Erde erstrahlte in roten und goldenen Farben. Für Birger aber war es, als ob der Glanz, der auf die Erde fiel, nicht von der Sonne komme, sondern von der Stadt dort oben über ihm. Er ging von ihren Mauern aus, die wie lauteres Gold schimmerten, und von ihren Türmen, die mit reinem Kristall gedeckt waren.

      Birger Larsson lächelte darüber, daß er zwei Sonnen sah, eine im Himmel, und eine auf der Erde: Gottes Stadt, Jerusalem.

      Einen Augenblick hatte Birger ein Gefühl, als habe ihm die Freude die Gesundheit zurückgegeben. Gleich darauf aber gewann das Fieber von neuem überhand, und auf dem ganzen Wege bis an das Haus der Kolonisten, das jenseits der Stadt lag, war er bewußtlos.

      Auch von dem Empfang in der Kolonie wußte Birger so gut wie gar nichts. Er konnte sich ebensowenig über das große Haus freuen, wie über die weiße Marmortreppe oder die schöne Galerie, die rings um den Hof herumläuft. Er konnte nicht Mrs. Gordon schönes, kluges Gesicht sehen, als sie auf die Treppe hinauskam, um sie willkommen zu heißen. Oder die alte Miß Hogg mit den Eulenaugen, oder irgend jemand von diesen neuen Brüdern und Schwestern. Er wußte nicht einmal, daß er in ein großes, helles Zimmer geführt wurde, das von nun an das Heim für ihn und seine Familie sein sollte, und wo man sich beeilte, ihm ein Bett zu bereiten.

      Am nächsten Tage war er noch ebenso krank, hin und wieder kehrte jedoch sein Bewußtsein zurück. Da war es sein großer Kummer, daß er sterben müsse, ohne in Jerusalem selbst hineingekommen zu sein und seine Herrlichkeiten in der Nähe gesehen zu haben.

      »Wenn man sich denkt, daß ich so weit gelangt bin,« sagte er, »und daß ich jetzt sterben muß, ohne den Palast Jerusalems und seine Straßen von Gold gesehen zu haben, auf denen die Heiligen in langen, weißen Kleidern mit Palmen in den Händen wandeln.«

      So lag er da und jammerte zwei Tage. Das Fieber nahm zu, aber selbst in den Phantasien trauerte er immer nur über das gleiche, daß er die goldenen Mauern und die strahlenden Türme nicht sehen sollte, die Gottes eigene Stadt umgaben.

      Seine Verzweiflung hierüber war so groß, daß Ljung Björn und Tims Halvor sich seiner erbarmten und beschlossen, ihn zufrieden zu stellen. Sie glaubten, er würde genesen, wenn seine Sehnsucht gestillt ward. Sie zimmerten ihm eine Bahre, und eines Abends, als die Luft ein wenig kühler geworden war, trugen sie ihn nach Jerusalem hinein.

      Sie führten ihn auf den gebahnten Wegen direkt in die Stadt, und Birger war bei vollem Bewußtsein und starrte die steinige Erde und die kahlen Hügel an. Als sie so weit gekommen waren, daß sie die Mauer der Stadt und das Damaskustor sehen konnten, setzten sie die Bahre nieder, damit sich der Kranke an dem Anblick dessen freuen sollte, wonach er sich so lange gesehnt hatte.

      Birger sagte kein Wort; er lag da und beschattete die Augen mit der Hand, und strengte sich an, zu sehen.

      Er sah nichts weiter, als eine graublaue Mauer, die aus Steinen und Lehm aufgeführt war, wie alle andern Mauern. Das große Tor erschien ihm so unheimlich mit dem niedrigen Eingang und der gezackten Mauerkrone.

      Wie er so da lag, matt und schwach, bildete er sich ein, daß ihn die andern nicht nach dem richtigen Jerusalem geführt hätten. Er hatte ja vor ein paar Tagen ein anderes Jerusalem gesehen, das so strahlend war wie die Sonne selbst.

      »Daß meine alten Freunde und Landsleute so schlecht an mir zu handeln wagen,« dachte der Kranke, »daß sie mir nicht gönnen, das wahre Jerusalem zu sehen!«

      Die Freunde trugen ihn den steilen Abhang hinauf, der zu dem Tor führte. Virger war es, als trügen sie ihn in einen tiefen Abgrund hinab.

      Als Birger durch die Torwölbung gekommen war, richtete er sich ein wenig auf. Jetzt wollte er doch sehen, ob sie ihn in die goldene Stadt getragen hätten.

      Birger wurde wunderlich zumute, als er zu allen Seiten Häuser mit grauen, häßlichen Mauern sah, und noch unheimlicher ward ihm, als er die verkrüppelten Bettler erblickte, die am Tor saßen, und die mageren, schmutzigen Hunde, die zu vieren oder fünfen


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