Im heiligen Lande. Selma Lagerlöf
um des bißchen Sonnenscheins willen nicht umkehren. Sie hatte freilich gehört, daß es gefährlich sein könne, aber sie glaubte nicht recht daran. Statt dessen tat sie, was man zu tun pflegt, wenn man in einen starken Regenschauer hinauskommt, sie zog den Kopf zwischen die Schultern, schob das Tuch, das sie um den Hals hatte, höher in den Nacken hinauf und eilte, so schnell sie konnte, vorwärts.
Während sie ging, hatte sie ein Gefühl, als wenn die Sonne mit einem Feuerbogen in der Hand dasäße und einen glühenden Pfeil nach dem andern auf sie abschösse, und daß sie die ganze Zeit nach ihr ziele. Die Sonne hatte gar nichts weiter zu tun, als sie als Zielscheibe zu betrachten. Das Feuer hagelte auf sie herab, und nicht nur vom Himmel herunter kam es. Alles um sie her glühte und stach sie in die Augen. Kleine, scharfe Pfeile kamen aus den Glimmerkörnern in den Steinen des Weges herausgeschossen. Die grünen Fensterscheiben eines Klosters, an dem sie vorüberkam, blitzten, so daß sie den Blick nicht dahin zu wenden wagte. Der stählerne Schlüssel in einer Tür sandte ihr einen kleinen, boshaften Strahl nach. Und ebenso die blanken Blätter einer Rizinuspflanze, die den Sommer nur deswegen überlebt zu haben schien, um hier zu stehen und sie zu peinigen.
Wohin sie auch den Blick wandte, am Himmel und auf der Erde schimmerte und glitzerte es. Es war eigentlich nicht die Hitze, die sie quälte, obwohl die stark genug war, sondern vielmehr das fürchterliche weiße Sonnenlicht, das hinter die Augen hineindrang, und das sich in das Gehirn hineinbrannte.
Gunhild fühlte sich so voll von Haß und Zorn gegen die Sonne wie ein armes, gejagtes Tier gegen den, der ihm nach dem Leben trachtet. Es überkam sie eine wunderliche Lust, umzukehren und ihrem Verfolger gerade ins Gesicht zu sehen. Lange widerstand sie, aber zuletzt wandte sie sich um und sah zum Himmel empor. Ja, da saß die Sonne oben wie eine große, blauweiße Flamme. Während Gunhild da hinaufsah, wurde der Himmel ganz schwarz, aber die Sonne kroch hinein, und es war ihr, als könne sie sehen, daß sie sich von ihrem Platz am Himmel loslöste und herabgefahren kam, um sie in den Nacken zu treffen und zu töten.
Gunhild stieß einen Schrei aus. Sie hielt die eine Hand empor, um den Nacken zu beschützen, und fing an zu laufen.
Als sie eine ganze Strecke auf dem Wege weitergelaufen war, wurde der weiße Kalkstaub in einer erstickenden Wolke um sie aufgewirbelt, und sie gewahrte einen großen Haufen Steine. Es waren die Ruinen eines eingestürzten Hauses. Sie eilte dorthin und war so glücklich, eine Öffnung zu finden, die in den Keller hinabführte.
Gunhild gelangte in ein kühles, wohltuendes Dunkel. Sie konnte nicht zwei Schritt vor sich sehen.
Sie stellte sich mit dem Rücken gegen den Eingang und ließ die Augen im Dunkeln ausruhen. Hier war nichts, was schimmerte, nichts, was glitzerte. Sie begriff jetzt, wie einem armen Fuchs zumute sein muß, wenn er in seine Höhle hineingeschlüpft ist, während die Jäger hinter ihm her sind. Jetzt standen die Hitze und der Staub und das Licht und der Sonnenschein wie gefoppte Jäger draußen vor ihrer Zufluchtsstätte. Die ganze Schar stand mit ihren glühenden Spießen da und wartete, sie aber war hier drinnen in Sicherheit.
Gunhild gewöhnte allmählich ihre Augen an die Dunkelheit; sie entdeckte einen Stein und setzte sich darauf, um zu warten. Sie glaubte, sie würde sich wohl stundenlang nicht aus ihrer Höhle hinauswagen dürfen. Nicht, ehe die Sonne so weit im Westen gesunken war, daß sie ihre Macht am Himmel verloren hatte.
Aber sie hatte nur eine ganz kurze Zeit da drinnen in der Dunkelheit gesessen, als tausend Sonnen vor ihren Augen zu sprühen begannen und in ihrem armen, erhitzten Gehirn alles herumwirbelte. Ein heftiger Schwindel ergriff sie, es war ihr, als drehten sich die Winde des Kellers in einem unaufhörlichen Rundtanz. Ihr war so schwindlig, daß sie sich an die Wand lehnen mußte, um nicht zu fallen.
»Ach Gott, auch hier drinnen werde ich verfolgt!« rief sie aus.
»Ich muß wohl etwas Böses getan haben, da die Sonne mich nicht mehr sehen mag«, fuhr sie fort.
Im selben Augenblick fiel ihr der Brief ein und der Tod der Mutter, und ihr großer Kummer und ihr Wunsch zu sterben. Das alles war ganz aus ihren Gedanken entschwunden gewesen, während sie sich in wirklicher Lebensgefahr befunden hatte; da hatte sie nur daran gedacht, sich zu retten.
Schnell holte sie den Brief hervor, öffnete ihn und trat an den Eingang, um ihn lesen zu können. Ja – da standen die Worte, genau so, wie sie sie in der Erinnerung hatte, und sie stöhnte.
Aber gleich darauf kam ein Gedanke, der ihr beruhigend und tröstend erschien.
»Verstehst du nicht, daß es Gottes Absicht ist, dich von dem Leben zu erlösen?«
Dies erschien ihr so schön und eine große Gnade von Gott. Sie konnte es sich selbst nicht recht klarmachen, denn sie war nicht ganz bei Besinnung. Der Schwindel war wiedergekehrt, der ganze Keller drehte sich rund herum. Oben über ihrem einen Auge tanzte ein glitzernder Feuerstrahl.
Aber sie hielt doch fest an dem Gedanken, daß Gott ihr anbot, aus dem Leben zu scheiden und zu ihrer Mutter im Himmel hinaufzukommen und all ihrem Kummer zu entrinnen.
Sie erhob sich, faltete erst die Hände im Nacken, zog sie aber wieder zurück und ging dann in den Sonnenschein hinaus, ganz ruhig, als ginge sie in einer Kirche durch den Mittelgang.
Sie war jetzt etwas abgekühlt, und gleich als sie hinauskam, spürte sie nichts von Jägern oder Spießen oder glühenden Pfeilen.
Aber sie hatte nur wenige Schritte gemacht, als es alles wieder über sie herfiel, als wenn es sich aus einem Hinterhalt auf sie losstürze. Alles auf der Erde schimmerte und glitzerte, und die Sonne kam sausend hinter ihr drein wie ein scharfer Feuerfunke und traf sie im Nacken.
Sie machte noch ein paar Schritte. Dann stürzte sie zu Boden, wie vom Blitz getroffen.
Leute aus der Kolonie fanden sie einige Stunden später. Sie lag da, die eine Hand gegen das Herz gepreßt, die andere war ausgestreckt und umklammerte den Brief, wie um zu zeigen, was sie getötet hatte.
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