Die verborgenen Geheimnisse. Marc Lindner
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Marc Lindner
Die verborgenen Geheimnisse
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Inhaltsverzeichnis
Ismars Strafe
An diesem Wochenende war Monatsmarkt. Ismar mochte diese Tage. Anders als bei den üblichen Wochenmärkten kamen auch Handwerker und Händler, die seltener die Burg aufsuchten. Einige kannten Ismar und unterhielten sich gerne mit ihm. Vielleicht lag es auch daran, dass er nicht selten etwas kaufte, wenn es ihn faszinierte, aber auch seine Neugier und sein ehrliches Interesse schienen sie an ihm zu schätzen. Seine Begeisterung war umso größer, je weniger er von etwas verstand. Das Wissen, das er hier erlangte, war anders als das, was ihm sein Hauslehrer vermittelte, auch wenn er diesen bisweilen um Erklärungen bat, die über das Wissen der einfachen Leute hinausging.
Wohlgelaunt sah Ismar dabei zu, wie die Einzelnen ihre Stände aufbauten oder hektisch ihren Platz suchten oder gegen aufdringliche Platzneider zu verteidigen versuchten. An etlichen Stellen brachen kleine Raufereien aus, doch im schlimmsten Fall reichten wenige Worte der Stadtwachen, die an diesem Tag vermehrt patrouillierten, um Streitereien zu beenden und dafür zu sorgen, dass einer der Streithähne weiter zog, wenn auch mit einer Faust in der Tasche.
Plötzlich hörte Ismar eine aufbrausende Stimme toben. Es war kein Streit, sondern reines Geschimpfe. Es war nicht weit entfernt, aber Ismar musste seine Stellung auf der Mauer aufgeben, um es sich anzusehen. Er konnte Geschimpfe nicht ausstehen. Wenn zwei sich stritten, war es ihm egal, aber bei Geschimpfe gab es immer einen, der sich nicht wehren konnte.
Ismar kletterte an einem kleinen Wachturm vorbei und eilte in geduckter Haltung westwärts und verließ damit die Hauptmarktstraße. Es war Ells Vater, der mit seiner Tochter schimpfte. Ell ließ es wie selbstverständlich über sich ergehen und mühte sich vergebens ab, ihre Hühner zusammenzutreiben. Doch nun, da sich Hektik unter diese gemischt hatte, versuchten sie in alle Richtungen zu fliehen und sich unter irgendwelchen Gegenständen zu verstecken. Das Geschreie war wenig förderlich um Ells Bemühen, die Hühner beisammen zu halten oder gar zu fangen, zu unterstützen. Dabei schrie er Ell genau deshalb an, da er weiter zu ihrem Standplatz wollte. Doch als wäre Ell mit einem Fluch belegt, stob ihr Gefieder entgegen ihrer Natur immer wieder auseinander, wenn sie die sieben Hühner zusammen getrieben hatte.
Ismar konnte sich das Schauspiel nicht länger anschauen. Er ließ sich hinter einem Stand die Mauer hinabgleiten. Als er hinter einer fülligen Marktdame hervortrat, schrie diese erschrocken auf und verschaffte ihm mehr Aufmerksamkeit als beabsichtigt.
Er versuchte sich zu entschuldigen, doch die Frau wollte davon nichts wissen und drohte ihm in unterdrücktem Ärger für das nächste Mal Schläge an.
Mit einer wohlgeübten Unschuldsmiene empfahl er sich und stellte sich zwischen Ell und ihren tobenden Vater.
„Warte, ich helfe dir.“ Ismar ignorierte, dass ihr Vater ihn nun in seine Flüche mit aufnahm. Ell war leicht verzweifelt und sah ihn resignierend an.
Ismar zögerte nicht lange und hatte alsbald das erste Huhn gefangen, das sich eben unter einen der Wagen stehlen wollte. Er ging damit zu Ell und reichte es ihr mit den Füßen nach oben. Ihr Vater stemmte die Hände in die Seiten seines dicken Bauches und blickte mürrisch drein. Statt zu schreien, begnügte er sich damit, ungeduldig zu atmen. Ismar fing ein Huhn nach dem anderen ein, um es Ell zu geben. Ismar fing sich etliche Verwünschungen ein, weil er anderen Marktteilnehmern in die Quere kam. Es war Ell unangenehm, nicht helfen zu können, doch mit den Hühnern in der Hand, war es ihr nicht möglich. Ebendies war ohnehin ihr Dilemma gewesen. Es war schier unmöglich, alleine sieben Hühner einzufangen und gleichzeitig festzuhalten. Jeder, insbesondere ihr Vater, musste das wissen.
Mit einem zufriedenen Grinsen im Gesicht, brachte Ismar endlich das siebte Huhn. Doch da wurden die Hühner unruhig und flatterten selbst mit dem Kopf nach unten hängend wild umher. Das war sonderbar, dann normalerweise taten Hühner das nie. Plötzlich stöhnte Ell schmerzhaft auf und ließ eine Hand los. Ihr Vater schrie auf und wollte sie schlagen, doch Ismar ging dazwischen und fing unfreiwillig die Ohrfeige an ihrer statt ein. Verdutzt blieb ihr Vater stehen und stotterte etwas Unverständliches zusammen. Er wusste nur zu gut, wer er war. Ismar wendete sich Ell zu und wollte fragen, was los war als er sah, dass ihr Arm blutete. Gleich darauf traf auch ihn ein Stein, der eigentlich für Ell oder ihre Hühner gedacht war. Ismar drehte sich wütend um und erkannte Mauricius, wie er auf dem Dach eines niedrigen Hauses hockte