Die verborgenen Geheimnisse. Marc Lindner
Teil seines gut verstauten Gepäckes, legte es fest in Leder verschnürt in die Erde und schloss das Loch. Die überschüssige Erde trug er fort und verteilte sie unauffällig. Über der Grabstelle entzündete er ein gemütliches Feuer und richtete sich für die Nacht ein. Er sparte diesmal nicht mit dem Holz, mit dem er das Feuer unterhielt.
Er kochte sich Wasser für einen Tee und stand nochmals auf, um wie fast jeden Abend eine Walnuss zu pflanzen. Erst dann aß er zu Abend und nutzte die letzten hellen Minuten zum Lesen, und legte sich dann früh schlafen.
Am Morgen darauf war die Feuerstelle abgekühlt. Sorgsam überprüfte er, dass die Asche die Spuren seines Versteckes kaschierte, und prägte sich die Stelle gut ein, für den Fall, dass er unerwartet doch länger fern bleiben würde.
Eine halbe Tagesreise trennte ihn von dem kleinen Städtchen mit dem vertrauten Kloster. Auch deshalb war es eher ungewiss, dass einer sich hierher verlief.
Gegen Mittag trat er durch das Stadttor. Es herrschte nur mäßiges Treiben auf den Straßen. Wie anderenorts auch waren die Meisten damit beschäftigt, die Arbeiten zu vollrichten, für die beim nächsten Wetterumschwung keine Zeit mehr bleiben würde. In zwei Wochen würde vieles hier anders aussehen. Hönnlin mochte diese Atmosphäre und ging deshalb nicht auf direktem Weg zum Kloster.
Hönnlin brachte seinen Esel zum Stall des Ordens. Dieser verdiente den Namen nicht wirklich, aber der Abt würde es ihm nicht verzeihen, wenn er sein Tier im Stall der Städter unterbringen würde. Hönnlins Esel war heute das einzige Tier im Stall, da das Kloster über keine Eigenen verfügte und nur jene seiner Gäste versorgte. Hönnlin wusste aber, dass dies mehr schlecht als recht geschah und versorgte es gleich selbst.
„Bruder Johannes! Meine Augen haben mich nicht getäuscht“, wurde Hönnlin von der Seite angesprochen, als er seinen Esel striegelte. „Was für eine Freude.“
„Bruder Matthias“, begrüßte Hönnlin seinen Ordensbruder und guten Bekannten. Sie hatten einige kleine Reisen gemeinsam bestritten, bevor der einige Jahre ältere Bruder Matthias hier schließlich hängen geblieben war. Aber von den Abenteuern der Anderen hörte er immer noch gerne und träumte sich dann mit auf Reisen. Wäre sein Rheuma nicht schlimmer geworden, wäre er wohl auch nicht sesshaft geworden.
Lange blieben die Beiden im Stall und tauschten sich aus. Es gab viel zu erzählen.
„Aber was bin ich dir ein Freund“, unterbrach Bruder Matthias sich selbst. „Ich frage dich aus und denk dabei nur an mich. Du hast sicher Hunger und ein wenig Rast wird auch dir nichts schaden. Komm ich bringe dich in die Küche.“
Hönnlin hatte nichts dagegen einzuwenden, und folgte der Einladung gerne. Die Küche war wie gewohnt spärlich ausgestattet und nun nach dem Mittagsessen menschenleer. Bruder Matthias legte ein Stück Holz auf die Glut im Ofen und kochte Hönnlin Haferbrei. Zur Feier des Tages griff Bruder Matthias in ein Gefäß mit den klostereigenen Rosinen und ließ diese im Haferbrei verschwinden.
Bruder Matthias setzte sich mit an den Tisch, aß selbst aber nichts. Stattdessen hielt er nun seinerseits Hönnlin Gespräch und unterrichtete ihn über das Wenige, das sich im Kloster zugetragen hatte, aber auch über das, was ihm von außerhalb zu Ohren gekommen war. Für Letzteres begeisterte er sich merklich inniger.
„Welcher Faulpelz wärmt sich da wieder am Herd“, wurde eine Stimme aus dem Flur herangetragen. „Oh, es wird gar gegessen!“ Die Stimme kam Hönnlin bekannt vor, aber es war das Temperament, das ihm verriet, wer gleich zur Tür hereintreten würde.
„Bruder Matthias, erklärt euch.“ Er sah Hönnlin erst jetzt und sah ihn prüfend an, da er ihn nicht gleich erkannte.
„Vater Andreas, Bruder Johannes ist von seiner langen Reise zurückgekehrt. Die Nächstenliebe verpflichtete mich, unserem Gast Rast und Verpflegung zuteil werden zu lassen.“
„Nun gut, meine Schuldzuweisung war unnötig“, ruderte der Abt zurück, zumal er sah, dass Bruder Matthias nichts vorzuwerfen war.
„Herzlich willkommen zurück, Bruder Johannes“, begrüßte der Abt Hönnlin reserviert. „War die Reise gesegnet?“ Hönnlin war dem Abt nicht verhasst, aber dieser betrachtete sein Treiben mit Argwohn. Er verachtete das Reisen. Er war vielmehr der Auffassung, dass das Leben eines Mönches innerhalb der Klostermauern vonstatten zu gehen hatte. Hier sollte er beten, schreiben, den Garten unterhalten und sich im Verzicht üben. Er war einer der wenigen Äbte, denen Hönnlin auf seinen Reisen begegnet war, die das ernst meinten und nicht nur ihren Mönchen auftrugen. Da Hönnlin das wusste, nahm er ihm sein kühles Benehmen nicht übel. Den Abt quälte nur ein Laster, wenn man es so nennen wollte, er liebte es neue Bücher lesen zu können, wohl aber nur jene, die mit der Kirche zu vereinen waren. Für ihn galt es als höchste Aufgabe daraufhin die Botschaft des Herrn kopieren oder übersetzen zu lassen und in die Welt hinaustragen zu lassen. Deshalb war dieses Kloster auch weithin bekannt für seine sorgsame Kopierwut. Das war auch der Grund, warum er Hönnlins Treiben widerwillig unterstützte, denn nicht wenige Schätze seiner Bibliothek verdankte er ihm und, wie der Abt es bezeichnete, anderen Abenteuern.
„Ich bin nicht mit leeren Händen zurückgekehrt. An etlichen Stellen werden auch Kopien für das Kloster erstellt. Ihr könnt stolz auf die hiesige Bibliothek sein. Das Interesse an den Schriften, von denen ich berichten konnte, war groß“, erzählte Hönnlin nicht ohne Freude.
„Stolz ist ein falscher Freund“, belehrte Vater Andreas. „Aber es freut mich, dass die Schriften des Herrn auch in diesen fernen Gegenden Anklang finden.“
„Selbst in der Ferne ist Gott vielen nah“, stichelte Hönnlin, der damit seine Abenteuerlust verteidigte. Der Abt nickte stumm und spielte gedankenvertieft mit seinen Fingern.
„Ruht euch erst einmal aus“, fuhr der Abt fort. „Wenn ihr wollt, könnt ihr mir Morgen genauer von euren Reisen erzählen.“
Hönnlin war dieser Aufschub recht und so nutzte er den restlichen Tag, um durch das Kloster und seinen Garten zu streifen, während er alte Bekanntschaften auffrischte.
Am folgenden Morgen nahm der Abt Hönnlin gleich nach der ersten Andacht in Beschlag. Während die Brüder zum Frühstück gingen, folgte Hönnlin Vater Andreas nach einem kurzen Umweg in dessen Arbeitszimmer. Hönnlin war darauf vorbereitet gewesen und hatte den Ertrag seiner Pilgerfahrt bereitgestellt.
Es war ein etwas merkwürdiger Besuch. Wirklich gut kannten die Beiden sich nicht. Ihre Verbundenheit fußte fast nur auf ihre gemeinsame Ordenszugehörigkeit. Zwar war Hönnlin in all den Jahren öfters hier gewesen, doch meist nur für wenige Tag und zweimal für einige Wochen. Ihre Gespräche waren meist kurz und zweckgebunden. Vater Andreas hatte nie einen Hehl daraus gemacht, das Reisen von Mönchen nicht zu mögen, wenngleich er das Missionieren durchaus begrüßte. Hönnlin wusste nie recht, ob Vater Andreas sich des Widerspruchs bewusst war, oder ob es genau das war, worüber er sich eigentlich am meisten ärgerte.
„Wie lange beabsichtigt ihr zu bleiben?“, fragte der Abt unvermittelt, nachdem er sich alle Bücher und Schriften angesehen hatte und die beiden Bücher, die Hönnlin für dieses Kloster mitgebracht hatte, sorgsam in einem Schrank verstaute.
„Ich gedachte in meine Heimat zurückzukehren und mich ganz dem Klosterleben zu widmen.“
„Das freut mich zu hören. Ihr werdet sehen, eure Seele wird endlich Ruhe finden.“
Hönnlin nickte verständnisvoll. „Aber ich wollte die Alpen nicht vor Beginn des Sommers überqueren, darum wollte ich mich für wenige Wochen den Aufgaben hier stellen und wenn es möglich ist, solange hier bleiben.“
„Ihr seid stets willkommen und eine Bereicherung für das Kloster.“
Hönnlin fand, dass sich der Abt diesmal eigenartig benahm. Er war auch unruhiger als es Hönnlin von ihm kannte.
„Sind die Bücher fertig, um die ich gebeten hatte?“
„So weit ich weiß sind sie bereits seit Monaten fertig. Sie liegen für euch bereit.“ Der Abt war mit seinen Gedanken woanders.
„Dann wird es