Zwischen Knast und Alltag. Anita B.
sie mich damals ins Gebet, »Sie müssen etwas an der Ursache ändern! Sie sind auf dem besten Weg chronisch krank zu werden. Anstelle von Schlafmitteln kann ich Ihnen höchstens Antidepressiva empfehlen.« »Antidepressiva? Ich? Auf gar keinen Fall!« Nachdem ich das gehört hatte, wurde mir das erste Mal bewusst, dass mir diese Beziehung nicht nur seelisch sondern auch körperlich schadet. Ich wusste, ich muss dringend etwas ändern.
Schließlich habe ich etwas geändert. Am Ende meiner Kräfte angekommen, zog ich vorübergehend mit meinen Kindern zu unserem guten Freund Hans in eine Wohngemeinschaft. Seitdem habe ich gelernt, wieder zur Ruhe zu kommen und mich an den positiven Seiten des Lebens zu erfreuen.
Aber ich kann nicht ewig mit meinen Kindern in einer WG wohnen. Vielleicht brauchte ich diese Nachricht von meinem Ex auch, um wachgerüttelt zu werden. Möglicherweise musste ich noch einmal fallen, um etwas an meiner momentan festgefahrenen Situation zu ändern. Komisch übrigens, »mein Ex!«, so nenne ich ihn tatsächlich erst seit seinem letzten Anruf. Zuvor hätte ich diesen Ausdruck nie über die Lippen gebracht und jetzt ist er plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, nichts anderes mehr für mich als eben »mein Ex«.
Doch wie soll es nun weitergehen? Ich wohne mit fast siebenunddreißig Jahren in einer Wohngemeinschaft in einem Dorf irgendwo in Niederbayern, wo ich definitiv nicht ewig leben möchte.
Ich ziehe mir meine Laufschuhe an und gehe joggen. Da kriege ich den Kopf frei und bringe meinen müden Kopf und Körper wieder in Schwung. Direkt hinterm Haus laufe ich los, erst kurz durch den Wald, danach über die Felder. Meine Gedanken rasen die ganze Zeit da weiter, wo sie letzte Nacht irgendwann aufgehört haben.
Ich muss also wieder aktiv werden! Aber wie? Wie soll ich mein Leben plötzlich ändern? Es ist ja nicht gerade so, dass einem hier draußen auf dem Land ständig jemand über den Weg läuft, mit dem man sein Leben verbringen möchte. Hinzu kommt, mit zwei Kleinkindern, von daheim aus arbeitend, wird das »Jemand-Kennenlernen« ohnehin nicht einfacher. Dennoch, ich darf jetzt kein Trübsal blasen oder im Selbstmitleid ertrinken.
Plötzlich kommt mir eine Idee: »Das ist es!«, sage ich unterm Laufen laut zu mir selbst. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr bin ich von meinem Vorhaben überzeugt. Ich werde eine Kontaktanzeige aufgeben. Da die Jungs noch klein sind und ich örtlich nicht gebunden bin, erscheint mir die Süddeutsche Zeitung als genau das richtige Medium. Darin kann ich gezielt beschreiben, wen oder was ich mir für mich und meine Jungs wünsche.
Welcher liebevolle Mann hat Lust auf Familie?
Warmherzige Akad., 36 Jahre, NR, schlank, sportlich, finanziell unabhängig, sucht einen einfühlsamen Partner für sich und ihre Jungs (1 u. 3 J.). Chiffre: ... oder E-Mail: ...
Der Startschuss in ein neues Leben ist hiermit gefallen. Die Umsetzung, so denke ich, nur noch eine Frage der Zeit. Ich bin gespannt wie ein Teenager. Drei Tage warten und es gibt kein Zurück.
Wieder gehen mir so viele Gedanken durch den Kopf. Was, wenn es Freunde von mir lesen? Oder schlimmer, was, wenn mein Ex die Annonce liest? Der weiß doch sofort wer dahintersteckt. Aber warum sollte er sich für Kontaktanzeigen interessieren, wenn er doch eine Freundin hat. Wem soll ich davon erzählen? Wird sich überhaupt jemand melden? Bestimmt schrecken zwei Kinder alle Männer sofort ab. Warum sollte sich ein liebevoller Mann auch gleich eine ganze Familie antun? Der will doch sicher viel lieber eigene Kinder haben.
Am nächsten Morgen, die Jungs sind in der Kita, ruft mich überraschend meine ehemalige Mannschaftskollegin aus Amerika, Katarina Brunner, an. Katti ist heute beruflich in Landshut und würde sich freuen, mich zu treffen.
Sofort setze ich mich ins Auto und fahre los. Gedanklich bin ich bei unserer gemeinsamen Collegezeit. Wir waren in Amerika sehr eng befreundet, haben uns nach unserer Rückkehr allerdings mehr oder weniger aus den Augen verloren.
Kattis Besuch ist eine willkommene Abwechslung vom tristen Alltag. Einfach über das zu quatschen, was wir seit dem Studium gemacht haben. Ich merke richtig, wie die Geschehnisse der letzten Jahre nur so aus mir heraussprudeln. Das ist unter anderem auch das, was ich in Aham am meisten vermisse, eine gute Freundin, mit der ich über alles reden kann.
Katti ist total überrascht, dass unsere süße kleine Familie so offenbar nur noch auf Fotos existiert. Beiläufig erzähle ich ihr, dass ich eine Kontaktanzeige in der Süddeutschen Zeitung aufgegeben habe, die am Samstag erscheinen soll. »Lara, das ist eine prima Idee!«, macht sie mir Mut.
Dann wechseln wir das Thema und sprechen über die guten alten Uni-Zeiten und zuletzt noch über unsere unvergessliche Kalifornienreise. Doch viel Zeit bleibt uns dafür nicht. Aus unserem geplanten Kaffee ist ohnehin nicht nur ein Frühstück geworden, sondern später noch ein Mittagessen.
Jetzt muss ich aber wirklich los, um die Jungs abzuholen. Wie immer versprechen wir uns beim Verabschieden, in Kontakt zu bleiben und uns gegenseitig zu besuchen. Allerdings gehe ich davon aus, dass wohl auch unser nächstes Treffen wieder einige Jahre dauern wird.
Männer...
Es ist soweit: Endlich Samstag! Natürlich habe ich mir die letzten Tage schon x-mal meinen Traumprinzen geformt. In meinen Tagträumen stelle ich ihn mir als den perfekten, fürsorglichen Partner und liebevollen Papa vor, der nur auf uns und meine Anzeige gewartet hat, und mit dem wir schon ganz bald eine glückliche Familie sein werden.
»Holla die Waldfee!«, rufe ich erstaunt, als ich, neugierig wie ich bin, schon sehr früh am Morgen das erste Mal in meine Mailbox schaue. Es sind bereits mehrere Zuschriften eingetroffen. Ich bin begeistert, was da den Fotos nach zu urteilen für hübsche Männer antworten. Da frage ich mich doch, warum ich das Ganze nicht schon viel früher gestartet habe. Die darauffolgenden Tage sehe ich mich nur noch damit beschäftigt, den Richtigen auszuwählen.
Auch wenn diese Männer mich nicht kennen und ich nicht weiß, wer sie sind, fühle ich mich dennoch das erste Mal seit Jahren wirklich begehrt. Es macht Spaß wieder zu flirten, Komplimente zu bekommen und einfach neue Bekanntschaften zu machen, etwas, was ich seit meiner Collegezeit nicht mehr kannte.
Auch Tage später bekomme ich noch Zuschriften, mit denen ich nicht gerechnet hätte. Doch diese vielen E-Mails müssen auch irgendwann beantwortet werden. Wann immer die Kinder schlafen oder in der Kita sind, sitze ich am Computer und schreibe. Trotzdem komme ich mit dem Antworten kaum hinterher. Einen Großteil der Nachrichten lösche ich, denn leider gibt es unter den Interessenten viel zu viele »ältere Herrschaften«. Zum Teil schockt mich, wer da alles antwortet. Was glauben die eigentlich, wer sie sind? Denken die vielleicht, dass ich es nur auf ihr Geld abgesehen habe? Mir wird tatsächlich alles geboten, vom sorgenfreien Leben, über ein mögliches Haus am See, bis hin zum Ferienhäuschen auf Mallorca.
Dennoch, spätestens nach der zweiten oder dritten Antwort der Herren schwindet meine anfängliche Euphorie und die Liste der zu beantwortenden E-Mails wird kürzer und kürzer. Letztlich kristallisieren sich vielleicht noch drei oder vier interessante Männer heraus. Einer kommt aus München, ein Anderer wohnt in der Nähe von Starnberg, der Nächste ist aus Regensburg und unter anderem zeigt auch ein junger Wiener sehr starkes Interesse.
Nach nur wenigen E-Mails lege ich den Münchner ad acta. Der ist zwar vom Aussehen, Alter und Beruf durchaus attraktiv, legt jedoch keinen großen Wert auf schreiben. Auch auf die Kinder geht er so gut wie gar nicht ein. Somit sage ich unser für morgen geplantes Treffen kurzfristig ab. Erst da wird er plötzlich hartnäckig, schickt mir sogar noch seine Firmen-E-Mail und seine Handynummer. Aber zu diesem Zeitpunkt ist das Thema für mich bereits beendet. Vielleicht habe ich auch plötzlich Angst davor, jemanden gleich kennenzulernen. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, er will mich sofort treffen, ich bin dazu nach den wenigen Mails noch nicht bereit.
Länger schreibe ich dem Regensburger Matthias. Ihn würde ich sogar sehr gerne zeitnah kennenlernen. Auf seinen Fotos sieht er echt umwerfend aus. Ich glaube, ich habe mich direkt bei der ersten Mail in sein Foto verknallt. Das nächste kinderfreie Papa-Wochenende möchte ich für ein Treffen nutzen. Unsere E-Mails