Das Wesen des Christentums. Feuerbach Ludwig

Das Wesen des Christentums - Feuerbach Ludwig


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weil sie wohl weiß, daß der Tag ihrer Veröffentlichung der Tag ihrer Vernichtung ist – diese Philosophie der lächerlichsten Eitelkeit, welche zu ihren Argumenten nur Namen und Titel hat, und was für Namen und Titel! – diese theosophische Posse des philosophischen Cagliostro des neunzehnten Jahrhunderts Die urkundlichen Beweise von der Wahrheit dieses Bildes sind in Kapps kategorischer Schrift über Schelling in Hülle und Fülle zu finden.durch die Zeitungen förmlich als »Staatsmacht proklamiert« worden. Wahrlich, wäre diese Posse mir gegenwärtig gewesen – ich würde meine Vorrede anders geschrieben haben.

      31. März

      Armes Deutschland! Du bist schon oft in den April geschickt worden, selbst auch auf dem Gebiete der Philosophie, namentlich von dem eben genannten Cagliostro, der dir stets nur blauen Dunst vorgemacht hat, nie gehalten, was er versprochen, nie bewiesen, was er behauptet. Aber sonst stützte er sich doch wenigstens auf den Namen der Vernunft, den Namen der Natur – also auf Namen von Sachen, jetzt will er dich zum Schlüsse gar betören mit Namen von Personen, den Namen eines Savigny, eines Twesten und Neander! Armes Deutschland! selbst deine wissenschaftliche Ehre will man dir nehmen. Unterschriften sollen für wissenschaftliche Beweise, für Vernunftgründe gelten! Doch du läßt dich nicht betören. Du kennst noch zu gut die Geschichte mit dem Augustinermönch. Du weißt, daß nie noch eine Wahrheit mit Dekorationen auf die Welt gekommen, nie im Glänze eines Thrones unter Pauken und Trompeten, sondern stets im Dunkel der Verborgenheit unter Tränen und Seufzern geboren worden ist; du weißt, daß nie die » Hochgestellten«, eben weil sie zu hoch gestellt sind, daß stets nur die Tiefgestellten von den Wogen der Weltgeschichte ergriffen werden.

      Den 1. April

      Vorwort zur dritten Auflage

      1848

      Überzeugt, daß man nicht wenig genug reden und schreiben kann, namentlich aber gewohnt, da zu schweigen, wo die Taten reden, unterlasse ich es auch bei diesem Bande, dem Leser a priori zu sagen, wovon er a posteriori durch seine eigene Augen sich überzeugen kann. Nur darauf muß ich schon im voraus aufmerksam machen, daß ich bei dieser Ausgabe alle fremden Wörter, soviel als möglich, vermieden und alle, wenigstens größern, lateinischen und griechischen Belegstellen übersetzt habe, um sie auch den Ungelehrten verständlich zu machen, daß ich mich aber bei diesen Übersetzungen zwar strenge an den Sinn, nicht aber grade das Wort des Originals gebunden habe.

      Erstes Kapitel: Das Wesen des Menschen im allgemeinen

      Die Religion beruht auf dem wesentlichen Unterschiede des Menschen vom Tiere – die Tiere haben keine Religion. Die ältern kritiklosen Zoographen legten wohl dem Elefanten unter andern löblichen Eigenschaften auch die Tugend der Religiosität bei; allein die Religion der Elefanten gehört in das Reich der Fabeln. Cuvier, einer der größten Kenner der Tierwelt, stellt, gestützt auf eigne Beobachtungen, den Elefanten auf keine höhere Geistesstufe als den Hund.

      Was ist aber dieser wesentliche Unterschied des Menschen vom Tiere? Die einfachste und allgemeinste, auch populärste Antwort auf diese Frage ist: das Bewußtsein – aber Bewußtsein im strengen Sinne; denn Bewußtsein im Sinne des Selbstgefühls, der sinnlichen Unterscheidungskraft, der Wahrnehmung und selbst Beurteilung der äußern Dinge nach bestimmten sinnfälligen Merkmalen, solches Bewußtsein kann den Tieren nicht abgesprochen werden. Bewußtsein im strengsten Sinne ist nur da, wo einem Wesen seine Gattung, seine Wesenheit Gegenstand ist. Das Tier ist wohl sich als Individuum – darum hat es Selbstgefühl – aber nicht als Gattung Gegenstand – darum mangelt ihm das Bewußtsein, welches seinen Namen vom Wissen ableitet. Wo Bewußtsein, da ist Fähigkeit zur Wissenschaft. Die Wissenschaft ist das Bewußtsein der Gattungen. Im Leben verkehren wir mit Individuen, in der Wissenschaft mit Gattungen. Aber nur ein Wesen, dem seine eigene Gattung, seine Wesenheit Gegenstand ist, kann andere Dinge oder Wesen nach ihrer wesentlichen Natur zum Gegenstande machen. Das Tier hat daher nur ein einfaches, der Mensch ein zweifaches Leben: bei dem Tiere ist das innere Leben eins mit dem äußern – der Mensch hat ein inneres und äußeres Leben. Das innere Leben des Menschen ist das Leben im Verhältnis zu seiner Gattung, seinem Wesen. Der Mensch denkt, d. h. er konversiert, er spricht mit sich selbst. Das Tier kann keine Gattungsfunktion verrichten ohne ein anderes Individuum außer ihm; der Mensch aber kann die Gattungsfunktion des Denkens, des Sprechens – denn Denken, Sprechen sind wahre Gattungsfunktionen – ohne einen andern verrichten. Der Mensch ist sich selbst zugleich Ich und Du; er kann sich selbst an die Stelle des andern setzen, eben deswegen, weil ihm seine Gattung, sein Wesen, nicht nur seine Individualität Gegenstand ist.

      Das Wesen des Menschen im Unterschied vom Tiere ist nicht nur der Grund, sondern auch der Gegenstand der Religion. Aber die Religion ist das Bewußtsein des Unendlichen; sie ist also und kann nichts andres sein, als das Bewußtsein des Menschen von seinem, und zwar nicht endlichen, beschränkten, sondern unendlichen Wesen. Ein wirklich endliches Wesen hat nicht die entfernteste Ahnung, geschweige ein Bewußtsein von einem unendlichen Wesen, denn die Schranke des Wesens ist auch die Schranke des Bewußtseins. Das Bewußtsein der Raupe, deren Leben und Wesen auf eine bestimmte Pflanzenspezies eingeschränkt ist, erstreckt sich auch nicht über dieses beschränkte Gebiet hinaus; sie unterscheidet wohl diese Pflanze von andern Pflanzen, aber mehr weiß sie nicht. Solch ein beschränktes, aber eben wegen seiner Beschränktheit infallibles, untrügliches Bewußtsein nennen wir darum auch nicht Bewußtsein, sondern Instinkt. Bewußtsein im strengen oder eigentlichen Sinne und Bewußtsein des Unendlichen ist untrennbar; beschränktes Bewußtsein ist kein Bewußtsein; das Bewußtsein ist wesentlich allumfassender, unendlicher Natur. Das Bewußtsein des Unendlichen ist nichts andres als das Bewußtsein von der Unendlichkeit des Bewußtseins. Oder: im Bewußtsein des Unendlichen ist dem Bewußten die Unendlichkeit des eignen Wesens Gegenstand.

      Aber was ist denn das Wesen des Menschen, dessen er sich bewußt ist, oder was macht die Gattung, die eigentliche Menschheit im Menschen aus? Hier ist der Ort nicht, tiefer einzugehen. Die Vernunft, der Wille, das Herz. Zu einem vollkommenen Menschen gehört die Kraft des Denkens, die Kraft des Willens, die Kraft des Herzens. Die Kraft des Denkens ist das Licht der Erkenntnis, die Kraft des Willens die Energie des Charakters, die Kraft des Herzens die Liebe. Vernunft, Liebe, Willenskraft sind Vollkommenheiten, sind die höchsten Kräfte, sind das absolute Wesen des Menschen als Menschen, und der Zweck seines Daseins. Der Mensch ist, um zu erkennen, um zu lieben, um zu wollen. Aber was ist der Zweck der Vernunft? die Vernunft. Der Liebe? die Liebe. Des Willens? die Willensfreiheit. Wir erkennen, um zu erkennen, lieben, um zu lieben, wollen, um zu wollen, d. h. frei zu sein. Wahres Wesen ist denkendes, liebendes, wollendes Wesen. Wahr, vollkommen, göttlich ist nur, was um sein selbst willen ist. Aber so ist die Liebe, so die Vernunft, so der Wille. Die göttliche Dreieinigkeit im Menschen über dem individuellen Menschen ist die Einheit von Vernunft, Liebe, Wille. Vernunft (Einbildungskraft, Phantasie, Vorstellung, Meinung), Wille, Liebe oder Herz sind keine Kräfte, welche der Mensch hat – denn er ist nichts ohne sie, er ist, was er ist, nur durch sie – sie sind, als die sein Wesen, welches er weder hat, noch macht, begründenden Elemente, die ihn beseelenden, bestimmenden, beherrschenden Mächte – göttliche, absolute Mächte, denen er keinen Widerstand entgegensetzen kann.

      Wie könnte der gefühlvolle Mensch dem Gefühl, der Liebende der Liebe, der Vernünftige der Vernunft widerstehen? Wer hat nicht die zermalmende Macht der Töne erfahren? Aber was ist die Macht der Töne als die Macht der Gefühle? Die Musik ist die Sprache des Gefühls – der Ton das laute Gefühl, das Gefühl, das sich mitteilt. Wer hätte nicht die Macht der Liebe erfahren oder wenigstens von ihr gehört? Wer ist stärker? die Liebe oder der individuelle Mensch? Hat der Mensch die Liebe, oder hat nicht vielmehr die Liebe den Menschen? Wenn die Liebe den Menschen bewegt, selbst mit Freuden für den Geliebten in den Tod zu gehen, ist diese den Tod überwindende Kraft seine eigne individuelle Kraft oder nicht vielmehr die Kraft der Liebe? Und wer, der je wahrhaft gedacht, hätte nicht die Macht des Denkens, die freilich stille, geräuschlose Macht des Denkens erfahren? Wenn du in tiefes Nachdenken versinkest, dich und was um dich vergessend, beherrschest du


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