RedStar. Juryk Barelhaven
Marlon getroffen zu Boden. Der Wahnsinn flackerte noch kurz auf, dann schlossen sich die Augen des kraftlosen Burschen für eine lange Zeit.
Der Sieger des ungleichen Kampfes blickte auf den zusammengekrümmten Körper und atmete stöhnend auf. Was war jetzt zu tun?
Mit Handschellen fesselte er ihn an die Heizung, telefonierte mit der Zentrale und begann dann erst die Taschen zu durchsuchen. Ein paar Credits, eine zusammengeknüllte Zigarettenschachtel und ein Inhalator.
Seltsam.
Der Inhalator war aus Plastik, doch in der gläsernen Patrone schwappte eine rötliche Flüssigkeit, die wie Liquid an dem Glas zu perlen begann. Gideon schnüffelte kurz an dem zerbissenen Mundstück und verstand schnell, mit was er es hier zu tun hatte. Der Grund, warum sich Goyers Junge so feindselig verhalten hatte.
Das Department war verhältnismäßig voll, und Gideon spürte Kopfschmerzen aufkommen. Der Apotheker stand in seinem Jackett, das in seiner Schäbigkeit bestens zu den Schuppen auf seinem Kragen passte, und besah sich den Inhalator in seiner behandschuhten Hand an. Jonathan, Fernandez und Oswald standen um Gideon herum und bestürmten ihn mit Fragen, während sie aufgeregt rauchten. Er schauderte und stieß ein Schnauben aus. Die schlechte Luft zermürbte ihn und der Kopfschmerz nahm zu. „Also, was haben wir hier, Doc?“ Gideon konnte den jungen Apotheker nicht ausstehen; er sah oft aus, als wäre er eben gerade aus einer Mülltonne gekrochen. Außerdem haftete ihm etwas penetrant Selbstgefälliges an, weshalb Gideon ihn im Verdacht hatte, dass er sich im Kreise seiner Familie ziemlich aufspielte.
„Ein einfacher Inhalator“, erklärte der Apotheker und rückte seine Brille zurecht. „Das ist definitiv RedStar, eine synthetische Droge, von der ich schon gehört habe. Ein tiefer Zug, und man ist drauf, salopp gesagt. Viele leicht zugängliche und alltägliche Produkte enthalten Lösungsmittel, Gase oder andere flüchtige Stoffe, die eine berauschende Wirkung haben können, wenn man sie inhaliert. Auch auf der Erde und auf dem Mars machen manche Kinder und Jugendliche frühe Drogenerfahrungen mit solchen Schnüffelstoffen, die oft in Gruppenritualen konsumiert werden. Vor allem der langfristige Gebrauch von Schnüffelstoffen ist mit erheblichen körperlichen, psychischen und sozialen Risiken und Folgeschäden verbunden.“
„Siehe Beweisstück A“, meinte Jonathan abfällig und deutete auf die einzige Zelle hinter sich. Marlon plärrte und beschwerte sich, so dass die Anwesenden sich gezwungen sahen, die Tür zum Bereich geschlossen zu halten. Es war kein schöner Anblick.
„Kann er vom Stoff entwöhnt werden?“
„Nicht bei RedStar“, verneinte der Apotheker und setzte eine mitleidige Miene auf, die derartig gespielt war, dass Gideon nur kurz Hass empfand. „Ähnlich wie bei Crack. Der Körper braucht jetzt diesen Stoff und vergiftet sich selbst. Es wirkt wie Fettentferner oder Tipp-Ex: Butan, Pentan, chlorierte Kohlenwasserstoffe oder auch Feuerlöschflüssigkeit, wie Halone. Der Körper nimmt Crack über die Lunge wesentlich schneller als geschnupftes Kokain über die Nasenschleimhäute auf. Nach ca. 10 Sekunden erreichen die Kokainmoleküle die Nervenzellen des Gehirns. Schwerwiegend sind zudem oft die psychischen Begleiterscheinungen: Charakterveränderung. Der Konsument fühlt sich einsam und er wird häufig von der Umwelt als aggressiv wahrgenommen. Wahnvorstellungen, Psychosen, Dermatozoenwahn, Soziale Vereinsamung. Ich denke, dass euer Junge in eine geschlossene Abteilung der Medizin verlegt werden sollte. Natürlich braucht ihr eine gerichtliche Verfügung.“
Jonathan langte zum Hörer. „Das erledige ich.“
Fernandez stieß einen Pfiff aus und warf Oswald einen Blick zu. „Wir sind so weit draußen. Habe echt gedacht, dass erreicht uns nicht.“
„Verdammte Schande, das.“ Oswald nickte weise und klopfte Gideon auf der Schulter. „Das wirst du wohl der lieben Mama selbst beibringen müssen.“
Gideon schauderte und stieß erneut ein Schnauben aus. Er wollte jetzt nicht an Linda denken. Wie würde sie darauf reagieren? „Das sollte besser unser Boss machen, nicht wahr Jonathan?“
„Verzichte. Das machst du. Du kennst sie länger.“
„Ach, komm schon!“
„Nichts da“, stellte sein Boss klar. „Er ist dein Problem. Er ist bei dir eingestiegen, und du hast ihn festgenommen. Jetzt machst du den ganzen Abwasch. Keine Diskussion.“
Die Logik dahinter wollte Gideon nicht einleuchtend, aber er wusste, ab wann es klug war einfach zu gehorchen. „Wie kam das Zeug hierher? Wer dealt mit Drogen? Hat jemand eine Idee?“
Fernandez und Oswald schüttelten die Köpfe, und auch Jonathan sah ratlos aus.
Mit nichts anderem hatte Gideon gerechnet. Besah man sich die drei Kollegen, hätte man annehmen können, dass sie außer ihre Uniform nur ihre Bäuche und ihr Sitzfleisch ausreichend pflegten. Oswald hatte deutliche Gewichtsprobleme, und Fernandez selbst klagte über Plattfüße und fuhr die meisten Wege mit einem Buggy. Und Jonathan verließ so gut wie nie seinen Platz im Departement. Dagegen wirkte Gideon wie ein Fitnesslehrer. Auf solche Krisen waren sie nicht vorbereitet. „Keine Idee? Wir müssen dagegen vorgehen, Leute.“
„Ich halte dich nicht auf, Gideon“, bemerkte Jonathan auf eine seltsame Art, die ihm nicht gefiel. „Das ist jetzt dein Fall. Ich werde einen Bericht zur Zentrale und eine Anfrage an das Drogendezernat schicken. Dr. Kelputsch kommt gleich und schaut sich den Patienten an. Wir werden ihre Meinung zusammen mit unserem Verdacht protokollieren und uns an das Verfahren halten. Du weißt, was du zu tun hast?“
Gideon starrte seinen Freund an und schnaubte zum wiederholten Male. „Wie weit darf ich gehen?“
Alle sahen ihn verdutzt an, nur Jonathan schien kein bisschen verunsichert. „Wie weit möchtest du denn gehen? Ich will den Dreck hier nicht haben. Klopf mal auf den Busch und schaue nach, was dabei herumkommt, aber wenn die Profis von der Drogenbehörde auftauchen, bist du raus. Dann überlassen wir es ihnen. Kapiert?“
„Ist das alles?“ wollte der Apotheker wissen, während er seine Handschuhe auszog. „Darf es sonst noch etwas sein?“
Gideon versuchte zu schlafen und starrte Linda von seiner Seite des Bettes aus an, die geruhsam den Schlaf gefunden hatte. Zuerst hatte sie geweint, er hatte sie gehalten und war den ganzen Abend bei ihr geblieben. Aus dem Trösten war ein Streicheln geworden und dann… na, sie hatte schon viel zu lange die Nähe eines Mannes nicht mehr gespürt. Darauf war Gideon nicht stolz.
In seinem Kopf ging es zu wie in einem lebhaften Miethaus – überall Streitereien, und ein Stück weiter den Flur hinunter kam es sogar zu einer Schlägerei. Er fühlte sich leer und ausgehöhlt, und vor dem Schlafengehen hatte er noch Wein mit ihr getrunken. Die Dunkelheit rückte ihm zu dicht auf die Pelle, weshalb er aufstand, das Licht im Badezimmer anschaltete und sich wieder anzog. Es war fünf Uhr in der Früh. „Wo gehst du hin“, hörte er sie sagen.
„Ich gehe um die Zeit immer Joggen“, meinte er leise und wandte sich zu ihr um. „Kann ich dich alleine lassen?“
Sie stöhnte als Antwort und streichelte ihm über das Gesicht. „Du bist so anders als die anderen. Immer korrekt, immer so ruhig und gefasst. Wie ein Abziehbild eines Playgirls.“ Sie lächelte traurig und küsste seine schwielige Hand. „Ich möchte dich mit niemanden teilen. Du tust mir gut.“
„Danke für die Blumen.“
Über ihre nächste Bemerkung war er aber erschrocken: „Du passt nicht hierhin.“
„Wie meinst du das?“
„Alles geht den Bach runter“, erklärte sie leise und führte seine Hand zu ihrer Brust. „Das Kino hat letzten Monat zugemacht, und ich hörte, dass die Millers von nebenan umziehen wollen. Die Station ist verflucht. Zuerst mein Mann, und jetzt Marlon.“ Sie wandte sich plötzlich ab und weinte leise.
Er verstand nur zu gut. „Darum bin ich hierher, Linda. Das ist ein totes Gleis, aber auch ich habe meine Gründe, warum ich hier bin.“ Er streichelte ihre Schulter und hauchte ihr einen Kuss auf ihren Kopf. „Ich schnappe mir die Typen, die deinem Sohn das Zeug