Freundlicher Tod. Ute Dombrowski

Freundlicher Tod - Ute Dombrowski


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Mensch in Stücke zerrissen worden war.

      Michael trat zu Jürgen, der bei einem Mann in Schutzkleidung stand, und begrüßte ihn. Auch ihn hatte man geweckt. Bianca war ins Büro gefahren.

      „Warum müssen wir denn bei Selbstmord anrücken?“, fragte Jürgen Michael.

      „Das sagt der Staatsanwalt! Der Lokführer wurde schon befragt und hatte ein merkwürdiges Gefühl. Er ist fertig mit der Welt, aber seine Aussage war undurchsichtig. Er hat etwas gestammelt von wegen Stoß und zwei Leute. Irgendwie ist ihm das Bild, dass er gesehen hat, erst später bewusst geworden. Also kann es sein, dass es ein Verbrechen war.“

      Jürgen runzelte die Stirn und fragte: „Aber wenn es bei der Bahn passiert ist, sind wir doch gar nicht zuständig? Es ist jedenfalls eine junge Frau und das eine Stück von ihr lag im Schatten des Bahnsteigs, darum haben die Lokführer, die danach noch durchgefahren sind, nichts gesehen. Sie war außerdem schwarz gekleidet. Sie ist wohl durchtrennt worden. Gut, dass es nur drei Züge waren.“

      „Die von der Bundespolizei haben gerade viel Stress, denn es ist irgendwas los in Frankfurt. Großeinsatz. Darum hat der Staatsanwalt uns hier antanzen lassen.“

      Jürgen verschwand mit dem Mann im weißen Schutzanzug. Michael trat zu Benedikt, der sich gegen die Wand gelehnt hatte.

      „Das wäre wirklich Mist, wenn die einer gestoßen hat. Aber mit wem gehe ich so nahe an die Bahnsteigkante?“, fragte Benedikt leise.

      „Es muss einer sein, dem ich vertraue.“

      „Du sagst es. Das hier ist genauso wie bei dem alten Drekelt. Er muss auch jemanden ins Haus gelassen haben, dem er vertraut hat.“

      „Du willst aber jetzt nicht sagen, dass die beiden Fälle zusammenhängen?“

      Benedikt sah Michael offen an.

      „Wer weiß? Nach dem letzten Fall denke ich immer: Es ist alles möglich.“

      „Es kann ja auch sein, dass sie jemand gegen ihren Willen an den Rand gezerrt hat.“

      „Möglich, ich glaube aber nicht, dass wir hier ermitteln dürfen, die lassen sich das doch nicht aus den Händen nehmen.“

      Bianca fuhr am Nachmittag mit Michael ins Krankenhaus zum Lokführer. Der Staatsanwalt hatte durchgesetzt, dass die Kommissare die Befragung durchführen konnten und der Arzt hatte mit grimmigem Blick zugestimmt.

      „Aber bitte nur kurz und mit viel Einfühlungsvermögen, der Mann ist hochgradig traumatisiert, weil die Geschichte erst langsam in seinem Kopf ankommt.“

      Achim Pschingel lag blass in seinem Kissen und starrte zur Decke. Draußen zog die Dunkelheit herauf und eine kleine Lampe warf grelles Licht auf das Kopfende des Bettes. Er riss sich von dem unsichtbaren Punkt an der Zimmerdecke los und sah in Biancas warme Augen. Sie setzte sich auf die Bettkante und Michael stellte sich ans Fenster.

      „Herr Pschingel, ich bin Kommissarin Bonnét, das ist mein Kollege Kommissar Verskoff. Wie geht es Ihnen? Dürfen wir Ihnen ein paar Fragen stellen?“

      „Ich bin mir sicher“, platzte es aus dem Mann heraus, „da standen zwei Leute. Es ging alles so schnell, ich habe das erst gar nicht registriert, weil ich so erkältet bin. Nach dem Niesen war die Bewegung da.“

      Er hatte sich aufgesetzt und schob nun seine Hände abrupt nach vorne, als wolle er jemanden von sich stoßen. Diese Bewegung wiederholte er etwa zehnmal, dann sank sein Kopf zurück auf das Kissen.

      „Wie hell war es denn? Brannte eine Lampe auf dem Bahnsteig?“, fragte Michael.

      „Da standen zwei Leute, ich bin mir zu hundert Prozent sicher. Und dann war da so eine Bewegung.“

      Bianca legte die Hand auf den Arm des verwirrten Mannes.

      Er sah sie wieder an und sagte: „Es ging so schnell. Da standen zwei Leute.“

      „Herr Pschingel, ich weiß, wie furchtbar das für Sie ist. Können Sie sich erinnern, ob der Bahnsteig beleuchtet war?“

      In diesem Moment schien der Lokführer wie aus einem Traum zu erwachen und er begann zu weinen.

      „Ich habe sie überfahren.“

      „Woher wissen Sie, dass es eine Frau ist?“

      Bianca lief ein eisiger Schauer über den Rücken. Achim Pschingel legte die Hände vor das Gesicht.

      „Wie kann ein Mensch so etwas tun? Man stößt doch einen anderen nicht vor einen Zug! Frau Kommissarin, ich habe die beiden wirklich nur ganz kurz gesehen und ich habe nicht bemerkt, dass ich sie erwischt habe. Da standen zwei Leute, glauben Sie mir. Da war diese Bewegung.“

      Er ahmte den Stoß erneut nach, dieses Mal im Liegen. Seine Handflächen zitterten, als er sie in die Luft stieß. Tränen rannen aus seinen Augenwinkeln.

      „Ich habe das erst viel später begriffen! Erst viel später, zu spät! Ich hätte doch gebremst, glauben Sie mir!“

      Bianca entgegnete sanft: „Das wissen wir, Herr Pschingel. Der, der die Frau gestoßen hat, der ist schuldig. Sie haben alles richtig gemacht. Sie haben doch nur gearbeitet. Eine Frage habe ich noch: Können Sie sich an Einzelheiten der Personen erinnern?“

      Achim schüttelte den Kopf und flüsterte noch einmal, dass es so schnell gegangen war. Danach schloss er die Augen und der Arzt betrat das Krankenzimmer. Er schickte die Besucher hinaus. Bianca bedankte sich, dass sie den armen Mann befragen durften und verließ mit Michael das Krankenhaus.

      8

      Alexander stand mit seinem neuen Vermieter in der kleinen Wohnung und lächelte. Der Vertrag war unterschrieben, sein neues Leben startete jetzt. Der Vermieter hatte ihm sofort den Schlüssel übergeben und gesagt, er könne heute noch einziehen. Die beiden Männer schüttelten sich die Hand und dann war Alexander alleine.

      Er sah sich noch einmal genauer um. Rechts neben der Eingangstür befand sich ein kleines Duschbad, die hellblauen Fliesen sahen stumpf aus und das winzige Fenster hatte einen schimmeligen Rand. Er öffnete es und sah hinaus in den Garten hinter dem Haus. Dort gab es drei kahle Obstbäume und einen ungepflegten Rasen. Vielleicht war es dort im Sommer schöner. Alexander atmete die kühle Luft ein und verließ das Bad.

      Gegenüber betrat er die Küche, die keinen Platz für einen Tisch bot, es würde gerade mal für zwei Schrankreihen reichen, links gab es eine alte Spüle, aber die würde er rauswerfen, denn sie sah ekelhaft aus. Auch hier roch es unangenehm, also riss Alexander das Küchenfenster auf und sofort zog es fürchterlich. Er sah unten den jungen Mann, den er schon kennenlernen durfte, aus dem Auto steigen und winkte.

      „Ah, du hast die Wohnung bekommen!“, rief Benedikt nach oben. „Warte, ich komme schnell mal rein.“

      Eine Minute später stand der Kommissar in der Wohnung von Alexander und schüttelte den Kopf.

      „Mann, die ist echt noch hässlicher als meine Bude. Aber egal, oder? Hier hast du deine Ruhe.“

      „Ja“, erwiderte Alexander, „hier kann ich tun und lassen, was ich will. Außerdem muss ich nicht ständig meinen Eltern und den Erinnerungen begegnen. Ich werde nachher gleich Farbe holen und streichen, dann sieht es sicher wieder besser aus.“

      „Wenn du Hilfe brauchst, sag Bescheid! Ich muss oft arbeiten, aber manchmal habe ich auch Zeit.“

      „Was machst du denn beruflich?“

      „Ich bin Polizist.“

      Alexander schluckte, aber er blieb ruhig. Er nahm sich vor, keinen großen Kontakt aufkommen zu lassen, denn diese Polizisten waren immer sehr neugierig.

      „Ich habe schon Hilfe von meinem Vater“, log er. „Aber wenn etwas ist, melde ich mich. Danke.“

      Benedikt spürte, dass der Mann ihn loswerden wollte und verließ die Wohnung. Der ist schon ein bisschen merkwürdig, dachte er.


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