Freundlicher Tod. Ute Dombrowski

Freundlicher Tod - Ute Dombrowski


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müssen los, da hat jemand seinen Onkel tot im Bett gefunden“, erklärte Michael, „und er kann sich nicht vorstellen, dass er einfach so gestorben ist. Der Mann war zwar schwer krank, aber er war lebensfroh und noch fit im Kopf. Das sagt der Arzt, den der Neffe eben gerufen hat.“

      „Hm, vielleicht war es Selbstmord. Los, ich fahre, aber wir müssen beim Bäcker anhalten, ich hatte noch kein Frühstück.“

      „Du brauchst eine Frau, mein Lieber.“

      Benedikt lachte und winkte ab. Sie setzten sich ins Auto und machten sich auf den Weg. Es war kalt, aber nicht nass, die Sonne schien sogar und tauchte den Rheingau in ein zauberhaftes Licht. In der Nacht hatte es Frost gegeben und ein Rest von Raureif lag dort, wo die Sonne noch nicht hingekommen war, um ihn von den Blättern und Gräsern zu lecken.

      Der alte Mann lag im Bett seiner Villa, in der er seit dem Tod seiner Frau ganz alleine gelebt hatte. Vom Fenster aus, das Michael jetzt ein Stück öffnete, um Luft zu holen, sah er den Rhein behäbig dahinfließen und die winzigen Wellenspitzen glitzerten in der Sonne. Es roch in diesem Zimmer nach Krankheit und Tod und das konnte der Kommissar schlecht aushalten.

      Die Möbel waren alt und sahen aus wie teure Antiquitäten. Der Mann, der zugedeckt war, hatte ein weißes und hageres Gesicht und die Wangen ähnelten einem zerdrückten Pergamentpapier. Seine Augen waren geschlossen, was fehlte, waren Wimpern und Augenbrauen, auch auf dem Kopf hatte er keine Haare. Michael trat zu dem Arzt und Benedikt ging hinter dem Neffen her nach draußen.

      „Herr Doktor, was spricht denn Ihrer Meinung nach dafür, dass der Mann hier nicht auf einem natürlichen Weg gestorben ist?“

      „Herr Drekelt war zwar unheilbar krank, aber durch die Medikamente war er schmerzfrei und es ging ihm gut. Mittags kommt eine Pflegerin, die sich um ihn kümmert. Er hat diese Frau selbst eingestellt. Sie kocht und wäscht auch gleich noch, außerdem kauft sie für ihn ein. Er hat sie sehr gut bezahlt. Also, es sieht alles so aus, als wenn ihm jemand eine Überdosis Narkotikum gespritzt hat. Ich denke, dass es Mord war. Der Rest ist Ihr Job. Ich habe auf den Totenschein ungeklärte Todesursache geschrieben.“

      „Danke für die Informationen. Kannten Sie den Herrn näher? Es kommt mir vor, als wüssten Sie mehr über ihre Patienten als andere Ärzte.“

      „Nein, wir waren nicht befreundet, wenn sie das denken, aber er ist schon sehr lange mein Patient und ich höre nun mal gut zu. Ich weiß, dass das Vorurteil umgeht, dass der Arzt immer nur im Stress ist und ans Geldverdienen denkt, aber leider gibt es solche Ärzte wirklich.“

      „Sie haben recht. Wenn ich mal krank bin, möchte ich auch lieber von einem Arzt behandelt werden, wie Sie einer sind. Durch die Eile entgehen uns ja auch manchmal Morde, die dann für immer unentdeckt bleiben. Es gibt keine Zweifel?“

      „Absolut nicht. Auf Wiedersehen.“

      Der Arzt verschwand und nun traten Michaels Kollegen Jürgen und Olaf ins Zimmer und begrüßten den Kommissar. Olaf, der Gerichtsmediziner, hatte sich kurz mit dem Arzt unterhalten und nun begann er schweigend seine Arbeit. Michael suchte nach Benedikt und fand ihn in der Küche, wo neben ihm am Tisch ein weinender junger Mann saß. Seine roten Haare leuchteten wie der Pelz eines Fuchses und seine Haut war weiß wie Schnee.

      Benedikt hatte sich gerade die Adresse der Pflegerin aufgeschrieben. Jetzt setzte sich Michael zu dem Mann, der sich als Gernot Drekelt vorstellte.

      „Wer könnte einen Grund haben, Ihren Onkel umzubringen?“

      „Niemand! Mein Onkel war liebenswürdig und großzügig.“

      „Vielleicht nicht großzügig genug und nun wollte jemand schnell erben?“

      Gernot starrte Michael entgeistert an. Dann begann er den Kopf zu schütteln und es schien, als wolle er gar nicht mehr damit aufhören.

      „Nein, nein! Nein! Ich bin immer zweimal die Woche hergekommen und habe ihm vorgelesen oder wir haben etwas gespielt. Ich wollte ihn nicht beerben. Sie können sich natürlich nicht vorstellen, dass man so einen alten Kauz mag. Nein, ich habe ihm nichts getan und ich habe auch nicht auf seinen Tod gelauert.“

      Er sah erschöpft aus und Michael hatte das Gefühl, dass er die Wahrheit sagte. Irgendwie tat ihm der Mann leid. Vielleicht war es die Pflegerin oder jemand war eingedrungen. Das würde er schon von Jürgen erfahren.

      „Wie heißt die Pflegerin?“, fragte Michael Benedikt.

      „Jutta Kücklitz, vierzig, wohnt in Erbach und kam immer von zwölf bis sechs Uhr abends. Heute hat sie einen Arzttermin und kommt um zwei.“

      Michael schaute auf die Uhr und sah, dass es erst zwölf war, also schlug er vor, schnell etwas essen zu gehen und dann hier auf die Frau zu warten. Benedikt nickte eifrig, denn er hatte immer noch nichts gegessen. Auch ein Kaffee würde ihm guttun. Sie ließen das Auto in der Einfahrt der Villa stehen und liefen in die Altstadt. In einem Restaurant bestellten sie Mittagessen und Benedikt berichtete, was Gernot gesagt hatte.

      „Er ist wie immer mit seinem Schlüssel reingekommen und war ganz leise, weil sein Onkel meist noch schlief. Als er im Schlafzimmer stand, sah er gleich, dass etwas nicht stimmte. Also hat er den Puls seines Onkels gefühlt und den Arzt gerufen. Der hatte nach einer kurzen Untersuchung sofort entdeckt, woran der Mann gestorben war und die Polizei dazu geholt.“

      „Selbstmord wird es ja nicht gewesen sein, denn wer spritzt sich schon selbst. Motiv?“

      „Hm, da geht vieles: Geldgier, keine Lust mehr auf Pflege, Sterbehilfe. Was denkst du?“

      3

      Michael hatte nicht geantwortet, denn er dachte noch gar nichts, der letzte Fall hatte ihn gelehrt, alle Seiten im Blick zu behalten. Er würde sich zuerst ein Urteil über die Pflegerin und die anderen Menschen im Umfeld des Opfers bilden. Nach dem Essen sah er erneut auf die Uhr und dann machten sie sich auf den Rückweg zur Villa, wo Jürgen noch arbeitete. Der Leichenwagen hatte den Toten in die Gerichtsmedizin gebracht. Gernot war nach Hause gegangen.

      „Hast du etwas gefunden?“, fragte Benedikt und hielt Jürgen den Becher mit Kaffee hin, den er unterwegs gekauft hatte.

      „Oh, womit habe ich denn das verdient? Danke. Ich muss euch sagen, wenn das Opfer den Mörder nicht selbst ins Haus gelassen hat, dann hatte der einen Schlüssel.“

      „Da kommen ja nicht allzu viele Leute infrage: Gernot, der Neffe, und die Pflegerin wird auch einen haben. Dieser Fall ist sicher schnell zu den Akten gelegt.“

      „Ach ja, na dann viel Erfolg“, sagte Michael, der Benedikt mit einem Grinsen zugehört hatte. „Brauchst du mich noch oder hast du den Fall schon gelöst?“

      Es klopfte zaghaft an die Tür und eine kleine, dürre Frau mit dünnen grauen Haaren stand plötzlich im Zimmer.

      „Wo ist Fred? Was machen Sie hier?“

      „Sind Sie Jutta Kücklitz?“, fragte Michael und hielt der Frau seine Hand hin. „Ich bin Kommissar Verskoff und das ist mein Kollege Kommissar May­fardt.“

      „Ja, ich bin Jutta Kücklitz, was ist denn passiert?“

      „Herr Drekelt ist tot.“

      Er beobachtete aufmerksam die Reaktion der Frau, die nun die Mundwinkel hängenließ und auf den Stuhl neben dem Bett sank. Sie seufzte.

      „Der Arme, nun ist sein Leiden zu Ende. Aber dass es so schnell ging … ich verstehe nicht … was macht denn die Polizei hier?“

      „Herr Drekelt ist nicht eines natürlichen Todes gestorben. Jemand hat ihm eine Überdosis Narkosemittel injiziert. Können Sie sich vorstellen, wer das getan hat?“

      Sie schüttelte vehement den Kopf und stand wieder auf. Unruhig lief sie im Zimmer auf und ab.

      „Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll: Fred hat in der letzten Zeit starke Schmerzen gehabt, aber er wollte es nicht zugeben. Immer öfter hat er über seinen


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