Auf getrennten Wegen. Christian Linberg
Unbehaglich sah sich Phyria um: „Und wenn nicht?“
„Dann hoffen wir, dass wir schneller und schlauer oder stärker sind.“
„Was ist, wenn nicht?“
„Dann sind wir tot. Und jetzt weniger reden und mehr laufen. Hilf mir, den Kompass zu schieben.“
Für die nächste Zeit war alles an das Phyria denken konnte, das unbekannte Raubtier, vor dem sogar die Blutbäume Respekt zu haben schienen, denn sie begegneten auf wundersame Weise keinem einzigen mehr.
Immer wieder blickte sie sich um oder zuckte bei einem vermeintlich verdächtigen Geräusch zusammen.
Einmal glaubte sie sogar, die Silhouette einer riesigen Bestie entdeckt zu haben, doch gerade als sie Droin darauf hinweisen wollte, musste sie feststellen, dass es nur die Reste eines verfallenen Gebäudes waren. Überrascht bemerkte sie, dass sie anscheinend einer Straße folgten. Rechts und links tauchten nun immer wieder Ruinen auf.
Wie Droin in der Finsternis hierher gefunden hatte, war Phyria unbegreiflich. Der Naurim musste eine eigene Art der Magie besitzen. Sie grübelte darüber nach, bis sie es nicht mehr aushalten konnte und ihn danach fragte.
„Einfach. Auf der Karte habe ich gesehen, wo sie ist. Dann sind wir immer darauf zu gelaufen, bis ich sie entdeckt habe.“
Danach schwieg er wieder. Die Wunden schmerzten, so dass er seine gesamte Konzentration darauf verwenden musste, nicht zu stolpern oder die Straße wieder zu verlieren. Nur hier war der Untergrund sicher genug, um schnell voran zu kommen. Trotzdem wurde er das Gefühl der Bedrohung nicht los. Im Gegenteil. Es wurde sogar noch stärker. Die Kreatur hatte sie als Beute ausgewählt.
Offenbar war sie intelligent genug, sich Zeit zu lassen, um ihre Beute zu ermüden, bevor sie angriff. Noch verbarg sie die Nacht vor ihren Blicken. Außerdem zog ein Sturm von Norden heran. Mit etwas Glück konnten sie darin ihre Spuren verbergen, auch wenn er es bezweifelte. Deshalb hielt er bei der Anstrengung und Eile Ausschau nach einem geeigneten Platz für einen Kampf.
Ein hoher Felsen etwa, oder wenigstens ein steiler Abhang. Die Ruinen empfand er zwar als verlockend, doch weder die schrecklichen steinernen Würmer noch die gequälten Seelen ihrer ehemaligen Besitzer ließen diese Möglichkeit zu.
Darüber hinaus spürte er, wie Phyrias Kräfte allmählich nachließen. Schon bald würde sie ihn eher behindern, als ihm helfen. Dass sie nicht im Mindesten leise war, störte dabei kaum noch, denn das Gewitter kam rasch näher. Ein leichter Regen hatte sie schon erreicht. Er übertönte die meisten Geräusche, die die Magana verursachte. Sie hüllten sich in Öl und Wachs getränkte Planen, um nicht sofort gänzlich durchweicht zu werden.
Droin wechselte vom Ziehen des Kompasses zum Schieben, weil ihm der Abstand zwischen ihm und Phyria nicht gefiel. Zusätzlich knotete er die Seile so, dass er sich mit einem einzigen Ruck davon befreien konnte. Er legte seine Waffengriffbereit oben auf dem Kompass ab, ebenso wie seinen Schild und Phyrias Gepäck. Es gefiel ihm nicht, das kostbare Artefakt so zu behandeln, doch es gab keine Alternative. Gefressen werden hatte noch weniger Reiz.
Auch wenn er nichts sehen konnte, war Droin sich sicher, dass die Kreatur wenig mehr als hundert Schritte entfernt war, höchstens eine Hügelkuppe weit weg. Dort zwischen den Ruinen oder dort, hinter den verkrüppelten Büschen.
„Wir werden kämpfen müssen.“
„Ich weiß. Ich kann es fühlen. Warum greift es nicht an?“, keuchte sie zurück. Sie war erschöpft, hungrig und fror erbärmlich.
„Die Kreatur ist schlau. Sie versucht, uns zu ermüden, bevor sie sich zeigt. Ich würde es ebenso machen.“
„Ist es dann nicht besser, wir bleiben stehen und kämpfen?“
„Erst wenn wir einen Platz finden, an dem wir uns verteidigen können.“
Phyria macht ein unglückliches Gesicht: „Ich fühle mich noch immer wie ein Mühlstein, um Deinen Hals, der Dich und Deine Freunde nach unten zieht.“
Droin wog seine Antwort sorgfältig ab: „Du hast eine schwierige Aufgabe. Viel schwieriger als eine Person alleine bewältigen kann.
Reisen ist alleine eine gefährliche Angelegenheit, egal wohin, und Du musst in besonders gefährliche Länder, die niemand bereist, sofern er nicht verrückt oder tollkühn ist. Jeder von uns hat sich aus freien Stücken dafür entschieden, Dich zu begleiten. Niemand ist dazu gezwungen. Wenn…“
In diesem Augenblick zerriss ein Blitz die trübe Dämmerung, gefolgt vom Krachen des Donners.
Als wäre das ein geheimes Signal gewesen, öffnete der Himmel seine Schleusen. Der Regen reduzierte die Sichtweite praktisch auf null. Das Prasseln der Tropfen übertönte alle anderen Geräusche.
‚Wäre ich unser Verfolger, würde ich es jetzt versuchen‘, dachte Droin grimmig und legte den Schild an.
Kaum hatte er seine Kriegshacke gehoben, hörten sie plötzlich ein markerschütterndes Gebrüll, das in ein langgezogenes Heulen überging.
„Hinter mich!“, brüllte er Phyria zu.
Kaum ausgesprochen, raste ein riesiger Schatten aus der Dunkelheit heran. Kreischend fuhren Klauen über den Schild, den Droin gerade noch zwischen sich und den sicheren Tod bringen konnte. Er wurde einen Schritt zurückgeworfen. Seine Schulter fühlte sich an, als hätte sie die Wucht des Treffers um ein Haar ausgekugelt. Dennoch hatte er den Eindruck, als wäre der Schlag noch kein ernsthafter Versuch gewesen, ihn zu verwunden.
Phyria reagierte fast ebenso schnell wie Droin, indem sie ihrem Angreifer eine lange Flammenlohe hinterher sandte. Zufrieden hörte sie die Kreatur wütend zischen.
„Nicht stehen bleiben! Das Biest sieht auch nicht besser als wir. Im Regen sind sein Geruchssinn und sein Gehör nutzlos.“
Droin schob den Kompass mit der einen Hand, ohne dabei die Waffe weg zu legen, während er mit dem Schild ihre Flanke schützte.
Natürlich kam der nächste Angriff von Phyrias Seite. Sie entging dem Schlag nur, weil sie im letzten Augenblick einen weiteren Flammenstoß aussandte, so dass ihr unsichtbarer Feind zurück zuckte. Er verfehlte sie nur um weniger als eine Fingerbreite. Ein Blitz vom Himmel vermittelte ihr den Eindruck einer massigen Gestalt mit vier klauenbewehrten Beinen. Aufgewühlte Dreckklumpen flogen an ihr vorbei, als sie wieder hinter dem Vorhang aus Wassertropfen verschwand. Wie vom Antlitz der Erde gewischt, verlor sie sich darin.
„Weiter!“
Doch kaum ausgesprochen flog die Bestie in einem gewaltigen Satz über sie hinweg. Dabei hinterließen ihre Krallen klaffende Risse in Droins Kettenhaube. Fluchend riss er sich die Reste vom Kopf, weil ihm ein Teil davon vor den Augen hin und her baumelte.
Dieses Mal hatte Phyria schneller reagiert und tauchte das Wesen kurz in einen dünnen Flammenstrahl, der dunkelviolette Muskelstränge enthüllte, um die herum fingerdicke Adern pulsierten, denn Haut besaß sie keine, dafür triefte sie vor Schleim und Regenwasser. Durch das Feuer peitschten zwei Tentakel mit knochigen Haken an den Enden nach ihr. Einer verfehlte sie, doch der zweite schnitt wie ein Fleischermesser tief in ihre Schulter, glitt aber zum Glück vom Schlüsselbein ab. Doch auch so wurde ihr linker Arm taub.
Keuchend ging Phyria in die Knie, bevor sie flüssiges Feuer blutete, um die Wunde zu verschließen.
Kaum fühlte sie das Leben zurück in ihre Fingerspitzen kehren, peitschten die Tentakel wieder aus der Finsternis heran.
Irgendwie gelang es Droin, die Bewegung vorherzuahnen. Sein Schild blockte einen ab, den anderen schlug er mit der Waffe zur Seite.
Schritt um Schritt kämpften sie sich voran. Bald bluteten sie beide aus zahlreichen Schnittwunden. Die Kreatur ließ nicht nach, attackierte mit ihren Klauen, Tentakeln, schlich, sprang oder stürmte im ständigen Wechsel. Niemals blieb sie stehen oder attackierte zweimal aus derselben Richtung. Sie schien weder über Kopf noch Maul zu verfügen.
„Da