Auf getrennten Wegen. Christian Linberg
länger kennt als Du.
Da ihr aber offensichtlich kein festes Paar seid, hat sie beschlossen, sein Interesse zu wecken. Und sie hat sich Mühe gegeben. Weil Drakk aber nun mal feinfühlig ist, wie eine Axt, hat er ihre Anstrengungen glatt übersehen.“
Während er erklärte, hatte Anaya einen Kessel über das Feuer gehängt, um zunächst Tee und später eine Suppe zu kochen.
„Womit hat sie angefangen?“
Ihre Gedanken kreisten um die kleine Shâi, die sie als Freundin betrachtete. Eigentlich sollte sie keine Eifersucht verspüren, doch das funktionierte erheblich schlechter als bislang. Sie fragte sich warum, während Kmarr anscheinend überlegte, wie er die Frage beantworten sollte.
Sie empfand auch sein Verhalten als ungewöhnlich. Sonst hatte er selten Mühe damit, sich gewählt auszudrücken. Das Thema berührte anscheinend auch die Anderen.
„Sie hat sich angemalt. Lippen, Wangen, Augen.“
„Was?“
„Angemalt.“
„Diese alberne Verkleidung?“, fragte sie ungläubig, als sie sich daran erinnerte, in welche unmöglichen Gewänder sich Jiang eine Zeitlang gekleidet hatte.
Zu lange Ärmel, weiße Farbe im Gesicht, sogar falsche Fingernägel und verrückte Haartürme.
„Genau, und Drakk hat genauso reagiert, wie Du.“
„Vielleicht war es nicht klug, ihm nach einer Nacht mit Droin im Zenethak ihre Aufwartung zu machen.“
Sie erinnerte sich daran, wie Droin und Drakk sturzbetrunken nach einer wüsten Schlägerei inmitten einer Horde bewusstloser Naurim am einzig heil gebliebenen Tisch in der Bar gesessen hatten, als Jiang in einer rot-grünen Seidenrobe erschienen war.
Das Gelächter ihrer beiden Freunde hatte ihr die ganze Nacht im Schädel gedröhnt, als sie auf dem Boden der Kneipe aufgewacht war.
„Er hatte auch völlig Recht. Sie sah wirklich blöd aus. Sie hat es gar nicht nötig, sich wie eine Hure zurecht zu machen und…“
Sie unterbrach sich selbst: „Götter, das hat er ihr auch gesagt, oder?“
„Genau. In einem Satz hat er ihr erst gesagt, ihre Mühe wäre vergeblich, um dann zu sagen, dass sie ihm gefällt.“
„Kein Wunder, dass sie das verwirrt hat. Aber jetzt ich weiß noch immer nicht, was ich ihr sagen soll.“
„Was sagt Dir Dein Herz? Und was Dein Verstand?“
Jetzt war es an ihr, eine lange Pause zu machen.
Kmarr konnte es hinter ihrer Stirn arbeiten sehen. Fast wäre er wieder eingeschlafen, so lange brauchte sie für eine Antwort. Die Unterhaltung hatte ihn erschöpft.
„Ich…ich…ach verdammt, ich weiß es nicht!“
„Da hast Du Deine Antwort.“
„Danke. Nur hilft mir das nicht.“
„Natürlich nicht. Ich will die Antwort auch nicht für Dich finden. Das ist Deine oder eure Sache. Aber am Ende weißt Du schon, was passieren wird.“
„Ja“, antwortete sie so leise, dass er sie beinahe nicht verstanden hätte.
Er beneidete sie nicht. Drakkan war ein freier Geist, der sich nicht binden lassen würde.
Auch nicht von Anaya oder Jiang. Vielleicht von beiden zusammen, doch er würde sich hüten, diesen Gedanken laut auszusprechen. Ein Harem war bei den Leoniden normal, daher fand er nichts bei der Vorstellung, mehrere Frauen zu haben.
Drakkan natürlich auch nicht. Nur ob es ausgerechnet diese beiden sein mussten, darüber war er sich nicht so ganz im Klaren.
Jetzt stand jedoch vor allem die Frage ihres Überlebens im Raum. Und dazu war die Suppe genau richtig, deren Duft so verführerisch in seine Nase stieg.
Mit Ausnahme von Drakkan, dessen Kochkünste sogar ein Schwein verschmähte, konnten alle ein schmackhaftes Mahl aus den einfachsten Zutaten herstellen.
Anaya rührte gedankenverloren im Topf herum. Sie war wütend auf sich selbst und gleichzeitig ratlos. Bis Jiang sie gefragt hatte, ob es ihr etwas ausmachen würde, Drakkan zu teilen, hatte sie nie Probleme damit gehabt.
Jetzt empfand sie eine gewisse Eifersucht. Ein Gefühl, das ihr überhaupt nicht gefiel. Sie genoss ihre Freiheit und hatte auch nicht vor, sie für den großen Kerl aufzugeben.
Und Jiang? Sie war eine gute und treue Freundin, die lange Jahre zugesehen und vermutlich auch zugehört hatte, was sie mit Drakkan trieb. Ein wenig Toleranz von ihr, war das Mindeste, was sie ihrer Freundin schuldig war.
„Was ist eigentlich mit unseren Nachbarn? Meinst Du, wir werden sie irgendwie los?“, unterbrach Kmarr ihre Gedankengänge.
Dankbar für die Ablenkung überlegte sie nicht lange: „Solange sie Blut riechen, werden sie bestimmt nicht verschwinden. Deshalb werden wir unseren Geruch hier zurücklassen. Sobald Deine Wunden nicht mehr bluten, brechen wir auf. Sonst kommt am Ende noch der Hexer mit seiner Flut zurück, wenn er merkt, dass wir nicht so leicht umzubringen sind.“
„Danke, einmal hat mir gereicht.“
„Mir auch. Das ist ein Gegner, dem wir nicht gewachsen sind.“
„Wohl war. Also was ist jetzt mit der Suppe? Willst Du sie noch länger rühren oder füllst Du meine Schale?“
1 - 15 Schilf -
Bislang hatte Shadarr sich immer für unglaublich aufmerksam gehalten. Seinen Sinnen entging nichts. Er war schnell, zugleich aber stark und leise. Hier im hohen Schilfgras in Narfahel musste er erkennen, dass es andere gab, die darin ebenso gut waren, sich verborgen zu halten.
Seine Angreifer fielen ihm erst auf, als die winzigen Blasrohrpfeile von seiner harten Haut abprallten, ohne ihn zu verletzen.
Die Wesen waren schlank, kaum dicker als ein kleines Bündel Schilf, hatten längliche Köpfe wie ein Rohrkolben und ebenso dunkel. Sonst waren sie von der Farbe trockenen Grases. Sie hatten vier Arme, die wohl nicht kräftiger wirkten, als ein einzelner Halm und in zarten Blütentrieben endeten, mit denen sie die Schilfblasrohre hielten.
Ihre Münder waren schmale, senkrechte Schlitze, wie bei den Blutbäumen. Ihre Augen, von denen sie vier besaßen, waren dunkle Löcher. Fast jeder hielt ein oder zwei Dolche in den freien Händen, die von Form und Material an lange Blätter erinnerten, offensichtlich aber härter und schärfer waren.
Zu hören war nur das Rascheln von Schilf im Wind, in dem das trockene Husten der Blasrohre kaum auszumachen war.
Einen Geruch hatten sie ebenso wenig.
Alles, was Shadarr roch, waren die Pflanzen und der schlammige Untergrund. Er überlegte kurz, ob es sich lohnte, ein paar von ihnen zu erlegen, doch dazu hätte er Jiang ablegen müssen.
Es war nicht so, dass er Angst verspürte, doch auch er konnte bei all seiner Stärke und Schnelligkeit nicht an mehreren Orten gleichzeitig sein. Also schwenkte er sein mächtiges Haupt nur einmal hin und her, dann preschte er geradewegs auf die größte Gruppe zu. Die kleinen Viecher verschwanden raschelnd im Schilfmeer, ohne Spuren zu hinterlassen.
Obwohl er versuchte, einige unter seinen Klauen zu zermalmen, war er sich fast sicher, dass er nur ein paar Halme geknickt hatte.
Hierher musste er unbedingt zurückkehren. Die Jagd versprach, interessant zu werden.
Jetzt war Eile wichtiger. Besonders, weil er fühlte, wie Jiang sich regte. Irgendwie hatte sie ein kleines Fläschchen von ihrem Gürtel gelöst, und schluckte gerade die beißend riechende Flüssigkeit daraus hinunter.
Der Bambuswald war endlos. Seltsamerweise waren die Stämme kleiner als sie und stachelig. Kleine Dämonen mit langen Nasen spuckten sie an, während sie an ihnen vorbei glitt, ohne einen Schritt zu tun. Sie schwebte auf einer