Auf getrennten Wegen. Christian Linberg
ruhig: „Ich weiß, weshalb Du fragst. Du hast gelernt, dass alle Dämonen Feinde sind. Lass mich Dir so antworten: Ich habe Viele getroffen, die aufrichtig und edel wirkten und dennoch Kinder mordeten und Frauen schändeten. Und ich habe den abgerissensten Bettler gesehen, der sein Leben für einen Fremden riskierte, indem er ihn aus einem brennenden Haus rettete. Es kommt nicht darauf an, was man ist oder wo man herkommt, sondern was man tut.“
Phyria schüttelte den Kopf: „Aber genau das verstehe ich nicht. Es ist das, was er tut, was ihr verurteilen müsstet.“
Auch wenn sie den Finger nicht darauflegen konnte, was es war, dass sich geändert hatte, spürte sie, wie Droins Erschöpfung plötzlich einer wachsamen Anspannung wich.
Seine Stimme blieb dagegen vollkommen ruhig: „Was genau meinst Du? Er tötet, um zu überleben. Das tun wir alle. Gut, er kämpft nicht fair und nutzt sein dämonisches Erbe, doch wir müssen alle mit den Gaben leben, die uns die Götter gegeben haben.“
„Aber der Raub der Seele? Wie kannst Du das rechtfertigen? Er vergeht sich an dem, was Anderen von den Göttern geschenkt wurde.“
Sie war vollkommen verwirrt. Wie man einen solchen Frevel einfach mit einem Schulterzucken abtun konnte, war ihr unbegreiflich.
Als Droin dieses Mal antwortete, glich seine Haltung einer Statue, kein Muskel zuckte. Seine Stimme war eisig: „Diese Frage solltest Du ihm stellen, wenn Du in das nächste Mal siehst. Ich bin neugierig, was er darauf erwidert. Und noch etwas: Nur weil man etwas kann, bedeutet das nicht, dass man es auch tut, oder hast Du ihn schon dabei gesehen?“
Sie schüttelte wortlos den Kopf. Dabei bemerkte Sie nicht, dass Droins Hand sich so fest um den Griff seiner Waffe geschlossen hatte, dass seine Knöchel weiß hervortraten.
1 - 18 Gedankenkreise -
Die Zwangspause, eingepfercht in der undurchdringlichen Dornenhecke, zehrte an Anayas Nerven. Kmarr hatte es da besser. Durch die Verletzung war er müde. Die meiste Zeit verbrachte er daher schlafend.
‚Wenigstens schnarcht er nicht‘, dachte Anaya gelangweilt. Sie hatte bereits ihre Kleidung gewaschen, ihre Ausrüstung sortiert, ein paar Pfeile repariert und vorsichtig den Schöpferstab untersucht. Doch das alles zusammen hatte insgesamt weniger als einen Tag gedauert. Jetzt war alles getan. Sie formte lustlos ein Loch in der Hecke, um hindurch auf die ferne Landschaft zu schauen. Der heftige Gewitterregen hatte ihnen reichlich Wasser beschert, dafür waren sämtliche Flüsse über die Ufer getreten. Sie spürte die Wassermassen, die sich ganz in der Nähe an ihnen vorbei wälzten.
Eine schlammige, braune Brühe voller Unrat und Treibgut. Ohne Brücke oder Fähre unmöglich zu überqueren.
Das bedeutete, entweder noch länger warten oder zurück zu der Stadt. Keine verlockende Perspektive, aber immerhin eine Möglichkeit.
Dieses Mal würden sie es heimlich versuchen müssen.
Obwohl es ihr nicht gefiel: Der Stab war ein mächtiges Artefakt. Mit ihm sollte es ihr gelingen, sie beide vor Entdeckung zu verbergen. Blieben noch die Blutbäume. Zwar waren sie ruhiger geworden, aufgegeben hatten sie leider nicht.
Die meisten standen um ihre Zuflucht herum und wiegten sich im Wind, wie es normale Bäume beständig taten. Nur das gelegentliche Kreischen verriet ihre wahre Natur.
Hier würde einfache Heimlichkeit genügen, sofern sie nachts aufbrachen.
‚Frühstens in zwei Tagen‘, entschied Anaya schließlich. Dann waren die Vorräte verbraucht. Kmarr würde länger brauchen, sich zu erholen, doch dann sollte er stark genug sein, alleine zu gehen. Sie würde ihre Gerüche maskieren und die Spuren im inzwischen schneebedeckten Schlamm verwischen. Sobald die Bäume einmal außer Sicht waren, war es kein Problem mehr, schneller zu sein.
Neidisch sah sie hinüber zu Kmarr, der ihre Überlegungen friedlich verschlief.
Die Fragen, die er ihr zu Drakkan gestellt hatte, beschäftigten sie mehr, als sie zugeben wollte. Die Situation die lange stabil geblieben war, drohte vollends im Chaos zu versinken. Zwar war Phyria für sich genommen, unschuldig daran, doch für Anaya war sie der Auslöser. Und nun wusste Drakkan, dass Jiang ihm schöne Augen machte. Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen würde.
Was sie verwirrte, waren ihre eigenen Gefühle. Bislang hatte es ihr keine Probleme bereitet, ihm seine Freiheit zu lassen, doch jetzt wo sie sicher sein konnte, dass er auch Spaß dabeihaben würde und wusste mit wem, hatte sie das Bedürfnis, es zu verhindern.
Dieser Instinkt ärgerte sie, weil die Alian nie heirateten und mit einem einzigen Partner zusammenlebten. Anscheinend war sie doch ebenso sehr aus der Art geschlagen, wie Drakkan, Droin und Kmarr. Leider gereichte es ihr in ihrem Fall nicht zum Vorteil.
Seufzend wandte sie ihre Aufmerksamkeit dem Stab zu. Hölzer verschiedener Bäume waren darin zu einer Gestalt verschmolzen: rissig vom Alter, rau und entsetzlich verzerrt. Für sie gab es keinen Zweifel, der gequälte Gesichtsausdruck ließ sie schaudern. Es war in jedem Fall eine Dryade, wenn auch die seltsamste, die sie je gesehen hatte.
Als wäre sie erst von einer gewaltigen Kraft zusammengedrückt und gleichzeitig in die Länge gezogen worden. Im Holz verbargen sich überall Runen, meist in Form kleiner Blätter. Außerdem gab es zahlreiche Stellen mit goldenem Harz, in dem eingeschlossen, winzige Ausgaben von Tieren oder Pflanzen zu erkennen waren, wenn man sie gegen das Licht hielt. Bei manchen hatte sie das Gefühl, als würden sie sich bewegen.
Überhaupt machte der Stab einen sehr lebendigen Eindruck. Ganz so, als wüsste er genau, dass sie da war und ungeeignet, ihn zu führen.
Im Augenblick war sie dazu auch noch nicht bereit.
Die Gedanken wanderten hin und her.
Stab, Drakkan, Jiang, Stab, Phyria und wieder zurück. Nichts davon hob ihre Stimmung. Und eingesperrt zu sein, half auch nicht unbedingt. Mit zusammengebissenen Zähnen hockte sie am Rand der Hecke und starrte vor sich hin, bis sie schließlich in unruhigen Träumen versank.
1 - 19 Ein hölzernes Puzzle -
Wie gut und leise die kleinen Gestalten aus Schilf auch waren, Shadarr spürte sie dennoch auf. Während sie sich der schlafenden Jiang mit deutlicher Absicht näherten, glitt Shadarr ebenso lautlos näher an seine Beute heran. Obwohl es eigentlich unmöglich war, fiel er nicht auf. Noch bevor eine der Kreaturen den Lagerplatz betrat, schlug er zu.
Mit einem mächtigen Satz begrub er gleich drei von ihnen unter sich. Er hörte ihre Körper brechen, biss einem den Kopf ab und riss einen dort entzwei, wo bei einem Menschen der Bauchnabel gewesen wäre.
Sie raschelten laut, während dickflüssiger, grünlicher Saft aus den Wunden floss. Dann lagen sie still.
Ein süßlicher Geruch von Zucker und Zitrone stieg Shadarr in die empfindliche Nase.
Er musste niesen, bevor er sich nach weiterer Beute umsah.
Er war nicht der Einzige, der etwas von Heimlichkeit verstand.
Die kleinen Kreaturen waren so raffiniert verborgen, dass er keine mehr entdecken konnte, solange sie sich nicht bewegten. Vermutlich waren sie geflohen.
Das alles hatte nur wenige Herzschläge gedauert, so dass Jiang nicht davon wach geworden war, sondern selig weiterschlief. Ohne ein Geräusch zu machen, betrat Shadarr die Lichtung im Schilfmeer, um sich mit seiner Beute neben der kleinen Shâi nieder zu lassen.
Die beinahe, wie die Puppen kleiner Kinder anmutenden Wesen schmeckten, wie sie rochen: süß und nach Zitrone.
Ihre Körper zersplitterten wie Zuckerrohr oder Bambus zwischen seinen mächtigen Kiefern. Zufriedenstellend war die Mahlzeit nicht, dafür umso nahrhafter. Nachdem er die fünf Kreaturen verspeist hatte, fühlte sich ein Magen an, also hätte er einen Stapel Brennholz verschluckt.
Er beschloss deshalb zu ruhen, bis Jiang erwachte. Sie konnte die anschließende Wache übernehmen. Schließlich hatte sie sich lange genug von ihm tragen lassen. Sie war