Auf getrennten Wegen. Christian Linberg
kehrte sie zu Kmarr zurück: „Lass uns verschwinden.“
Zu zweit zogen sie den schwer angeschlagenen Kahn durch das Hafenbecken. Ein paar Mal blieb er im Wasser an verborgenen Hindernissen hängen, doch sie erreichten die Rampe ohne weitere Zwischenfälle.
„Wie haben uns die Soldaten aus Morak nur so schnell gefunden?“
„Ich glaube, der war nicht aus Kalteon“, entgegnete Anaya: „Er hatte andere Abzeichen an seiner Rüstung. Außerdem war er viel zu unvorsichtig. Wäre er aus Morak hinter uns hergekommen, hätte er gewusst, dass er vorsichtiger sein muss.“
„Also aus Denelorn? Aus der Blutmark?“
„Deine Vermutung ist so gut, wie jede andere, aber ich glaube schon.“
„Gut, dass wir in die andere Richtung unterwegs sind.“
Gemeinsam hievten sie das kleine Boot ein Stück die verfallene Rampe hinauf. Ein paar Steinbrocken brachen dabei vom Rand ab und stürzten in das trübe Wasser, während der Kahn langsam leer lief. Kmarr war überrascht, als er sah, dass das Boot höhere Seitenwände hatte, als erwartet.
Mit drei Fuß hatte er nicht gerechnet. Ohne Loch wäre es tatsächlich brauchbar gewesen.
„Ich besorge ein paar Bretter, mit denen wir das Loch abdichten können“, verkündete Anaya.
„Pass auf, dass Du nicht noch mehr Freunde aus Morak mitbringst.“
Als Anaya zwischen den Lagerhäusern verschwunden war, die hier den Stadtteil prägten, ließ er sich langsam zu Boden sinken. Der Stein war kalt und schlammig und in den Ecken fand sich auch matschiger Schnee, den die Sonne nicht erreichte. Doch das war ihm im Augenblick egal. Seine Muskeln meldeten ihm, dass er entweder freiwillig zu Boden ging oder fallen würde, wenn sie ihm den Dienst verweigerten.
Mit dem Bolzenwerfer schussbereit auf den Knien, wartete er auf die Rückkehr seiner Gefährtin.
Lange musste er zum Glück nicht ausharren, dann erschien sie mit einem kleinen Stapel Bretter auf den Armen aus der Richtung, in der sie verschwunden war.
Beim Abladen flüsterte sie leise: „Es wimmelt nur so vor Soldaten. Ich bin sicher sie suchen nicht uns, denn sie arbeiten sich durch die Stadt zum Fluss vor.
Die Bewohner sind nicht auf ihrer Seite. Einer der Würmer hat an der Straßenecke gerade zwei von ihnen verschluckt, bevor sie auch nur schreien konnten.“
„Dann haben sie keine Ahnung, wo sie hier gelandet sind.“
„Das ist unsere Chance, hier zu verschwinden. Sorg dafür, dass sie mich nicht stören, ich muss mich konzentrieren. Das Holz ist schon ziemlich alt. Der Nachen wird schwimmen, allerdings nicht besonders lange.“
Kmarr zuckte mit den Mundwinkeln, wobei er seine Reißzähne entblößte: „Besser, als es mit einem der Kolosse zu versuchen.“
Er wartete auf eine Antwort, doch Anaya war bereits in ihre Arbeit vertieft. Er legte den Bolzenwerfer an, um beim geringsten Anzeichen von Bewegung sofort reagieren zu können.
Neben ihm knisterte und knackte das alte Holz, dem Anaya neues Leben einhauchte. Kurz verspürte er einen Anflug von Bedauern, dass ihm solche Kräfte nicht gegeben waren, doch dann erinnerte er sich an seine eigenen Erfolge bei den Erfindungen, wie dem Bolzenwerfer.
Seine Version war etwas größer und massiver als die, die er für die Anderen hatte anfertigen lassen.
Seine Bolzen waren so dick wie ein Männerdaumen und fast zwei Fuß lang.
Zu Hause, so nahm er sich vor, würde er verschieden große Varianten bauen. Und außerdem freute er sich darauf, die Geräte aus dem Gnomenbuch zu studieren.
Ein mechanischer Pflug, künstliche Federn für Vogelflügel, Ein Gerät das wirkte, wie eine Mischung aus Arm und Kran und ein Pferd aus Eisen.
Es gab noch viele weitere davon, doch bei den Übrigen war er sich über ihren Zweck noch nicht im Klaren. Außerdem musste er sich an die Zeichnungen halten, da er die Sprache, in der die Beschreibungen verfasst waren, nicht lesen konnte.
Während er darüber nachdachte, wären ihm beinahe die zwei Kundschafter entgangen, die kurz in einer der Ruinen aufgetaucht waren. Sie hatten ihn nicht bemerkt, aber aus der Richtung, die sie eingeschlagen hatten, schloss er, dass sie den Fluss ansteuerten. Das führte sie zwar zunächst wieder von ihnen weg, dafür genau dorthin, wo sie mit ihrem Kahn vorbei mussten, wenn sie ans andere Ufer wollten.
Nach kurzem Zögern entschied er sich dafür, bei Anaya zu bleiben, auch wenn die beiden Männer seinen Jagdinstinkt geweckt hatten.
Es gefiel ihm nicht, sie ziehen zu lassen.
Obwohl es keine weiteren Zwischenfälle gab, konnte er förmlich spüren, dass überall um sie herum weitere Feinde durch die Ruinen schlichen.
Prüfend sog er Witterung ein. Die Stadt war voller Gerüche, die er erwartet hatte: morsches Holz, staubige Ziegel, Schnee, Schlamm, Verwesung. Über allem lag eine schwer zu beschreibende Note von Alter und Gewalt.
Blut war in der Stadt geflossen, sehr viel sogar. Für ihn war es allgegenwärtig, es war schwer den Geruch zu ignorieren. Fast war es, als könne er die süßliche Essenz des Lebens schmecken.
„Kmarr? Hör auf zu knurren. Ich bin fertig.“
Anaya beobachtete ihn misstrauisch, die Hände in die Hüften gestemmt, den Kopf zur Seite geneigt. Normalerweise war Kmarr ruhig und ausgeglichen, es sei denn sein Blut geriet in Wallung. Dann wurde er unberechenbar. Leoniden im Blutrausch wurden zu Recht gefürchtet.
Auch Kmarr war aufbrausend und unbeherrscht gewesen, als sie ihn das erste Mal getroffen hatte, allerdings hatte er bereits damals begonnen, seine Selbstbeherrschung zu trainieren.
Sie musste schmunzeln, als sie sich daran erinnerte, wie sie ihn erst in der Taverne beim Armdrücken und dann in den folgenden Tagen beim Steinestoßen bezwungen hatte.
Bei den Wettkämpfen der östlichen Reiternomaden wurden Stammesführer bestimmt und Zwistigkeiten unter den Stämmen auf diese Weise geschlichtet. Fremde durften ihre Kräfte messen, konnten aber keinen Rang bei den Stämmen erringen.
Sein verblüfftes Gesicht, als sie sich als stärker erwiesen hatte, amüsierte sie bis heute.
„Wir können verschwinden. Es wird noch andere geben.“
Einen Augenblick schien es so, als hätte er sich nicht gehört, und sie fragte sich, wie sie sonst zu ihm durchdringen sollte, doch dann sackte er etwas zusammen und die Anspannung in seinen Muskeln erlosch.
„Entschuldige, hier riecht alles nach Gewalt, Blut und Tod. Und wir sind umgeben von Feinden. Die Verletzung schwächt meine Disziplin.“
„Ein Grund mehr, hier zu verschwinden.“
Das war ein bemerkenswertes Eingeständnis für den stolzen Leoniden. Es geschah nicht zum ersten Mal, dennoch war es selten genug, um sie zu überraschen.
Sie half ihm auf die Beine und gemeinsam schoben sie das klapprige Boot in das brackige Wasser zurück.
1 - 23 Visionen -
… Drakkans Augen wurden groß und rund, als er durch die schwere Eichentür stürmte und sie bereits im Raum dahinter stehen sah. Der Lärm einer Schlacht dran zu ihnen herein.
„Du?“, keuchte er entsetzt, als sie sich zu ihm herumdrehte. Sie lächelte. Eine Dolchklinge blitzte auf…
… „Jetzt wirst Du erfahren, was eine Seelenfalle ist. Viel Vergnügen.“
Sie fühlte einen Zug in ihrem Innersten, als würde sie etwas aus ihrem Körper reißen…
…Eine Dämonin mit kurzem orangefarbenem Haar aus dem zahlreiche Hörner oder besser Dornen empor ragten, näherte sich ihr. Die Kreatur hatte Muskeln, wo keine sein sollten, dafür fehlten sie an anderen Stellen. Ihre Haut war eine Mischung aus bleicher