Auf getrennten Wegen. Christian Linberg

Auf getrennten Wegen - Christian Linberg


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schweren, süßlichen Duft abbekam, bedeutete ihr, auf jeden Fall die andere Seite zu wählen.

      Gerade noch gelang ihr eine Kurskorrektur. Mit angehaltenem Atem trieben sie unter dem weiten steinernen Bogen hindurch, auf dem oben die Statue mit der Axt den Weg versperrte.

      Hinter der Brücke verbreiterte sich der Fluss zu einem großen, runden Hafenbecken, in dem noch die Reste größerer Schiffe aus dem Wasser ragten. Keines davon war noch intakt.

      Anaya, die nicht wusste, was Kmarr zu dem Kurswechsel veranlasst hatte, wandte den Kopf nach hinten.

      Dort, unter dem anderen Brückenbogen hing – vom Mondlicht schwach beleuchtet – ein Vorhang aus dünnen, weißen Schleimfäden von den Beinen eines Brückenfischers hinab.

      Die Kreatur hielt sich mit einer Reihe Beine an der Unterseite der Brücke fest. Von der anderen Hälfte erstreckten sich die schleimigen Fäden bis ins Wasser. Normalerweise wurden die Tiere vier bis fünf Schritte lang, von Kopf bis Fuß. Dieser hier jedoch maß gute zehn Schritte, ohne die zwei dünnen, biegsamen Stacheln mitzurechnen, mit denen sie die Opfer töteten, die sich in dem giftigen Schleim verfingen.

      Das Gift löste die Haut, Innereien, Muskeln und sogar Knochen auf, so dass der Brückenfischer seine Opfer wie eine Spinne aussaugen konnte.

      Dennoch wurden sie gerade wegen des Schleims gejagt, denn die Alian vermochten daraus Klebstoff zu machen, der besser war als Leim und Bogensehnen, die unempfindlich gegen Nässe waren.

      Anaya hatte mehrere davon in ihrem Gepäck. Sie schüttelte verblüfft den Kopf. Ein so großes Tier hatte sie erst einmal gesehen. Unter anderen Umständen hätte sie vorgeschlagen, ihn zu erlegen. Hundert Sehnen oder mehr und mehrere Krüge Leim waren ein kleines Vermögen, das zudem leicht zu verdienen war.

      Ein anderes Mal.

      Kmarr hatte unterdessen ihren Nachen weiter in das Hafenbecken gerudert, näher an das gegenüberliegende Ufer heran, damit sie nicht über das offene Wasser in der Flussmitte getrieben wurden. Das sich dort spiegelnde Mondlicht hätte sie zu leicht entdeckbar gemacht.

      Einmal knirschte es hässlich, als sie über das Ende eines Mastes glitten, der aus den trüben Tiefen fast bis zur Wasseroberfläche reichte. Anaya bemerkte ihn nur, weil vom zweiten Mast ein halber Schritt tatsächlich die schlammigen Fluten durchbrach.

      Immer wieder blickte sie zur Brücke und dem anderen Ufer zurück, da sie dort jeden Augenblick das Auftauchen von Soldaten aus Morak befürchtete.

      Hin und wieder entdeckte sie Fackelschein, der jedoch nicht näher kam. Niemand hatte sie bemerkt.

      Vor ihnen lag die weite Fläche des Hafens, hinter der sich dunkel die Stadtmauer erhob.

      Mitten im Fluss ragte der Rest eines Turmes auf, der einst die Hafeneinfahrt zusammen mit seinen Brüdern an den Ufern bewacht hatte.

      Auf einer Seite waren noch die Reste einer Zugbrücke vorhanden, die einen der Ufertürme mit dem Turm in der Flussmitte verbunden hatte. Sehr wahrscheinlich hatte es auch von der anderen Seite eine solche Verbindung gegeben, doch wenn, war sie vor langer Zeit in den Fluss gestürzt und in den Fluten verschwunden. Jetzt befand sich ein Trümmerfeld zwischen den Türmen, über das der Fluss schäumend und tosend hinweg brauste. Diesen Gewalten würde ihr kleiner, altersschwacher Kahn niemals standhalten.

      Anaya steuerte sie deshalb geradewegs auf die andere Lücke zu. Auch dort ragten Trümmer aus dem Wasser, doch die Passage wirkte schiffbar.

      Die Strömung wurde stärker, je näher sie der Lücke kamen.

      An der Oberfläche zeigten sich flache Wellen, die auf Hindernisse knapp darunter deuteten.

      Sie legten sich beide mächtig ins Zeug, um ihr Boot zu beschleunigen.

      Kurz vor der Lücke legte Kmarr sich flach hin, um den Tiefgang so gut es ging zu verringern, indem er sein Gewicht gleichmäßig verteilte.

      Zunächst ging alles gut, er sah über sich die Reste der maroden Zugbrücke vorbei ziehen. Gerade als die Spitze des Nachens die Stadtmauer endgültig passiert hatte, gab es einen harten Schlag, dann drehte sich das Boot quer zur Strömung und er spürte, wie Wasser unter ihm durch das Holz eindrang.

      Anaya hatte bereits das Paddel ergriffen und stocherte damit im Fluss herum, um das Boot wieder zurück zu drehen.

      Kmarr hörte, wie sie wiederholt auf Stein traf, doch wenigstens gelang es ihr, sie jedes Mal ein Stück weiter zu befördern. Das Holz schabte über die Felsen und noch mehr Wasser drang ein.

      Langsam rutschte ihr kleiner Kahn über das Hindernis. Es ruckelte noch einmal heftig hin und her, was Kmarr ein schmerzhaftes Knurren entlockte, als er gegen die Bordwand gedrückt wurde.

      Mit einem letzten Schwall kalten Wassers kam das Boot frei.

      Sofort richtete er sich wieder auf, und gemeinsam mit Anaya lenkte er das Boot zum anderen Ufer.

      Das eindringende Wasser ignorierten sie beide, weil der Weg nicht weit war.

      1 - 26 Auf der Flucht -

      Langsam verschnürte Phyria ihr Gepäck zu einem Bündel.

      Ihr verletztes Bein zwang sie immer wieder zu Pausen. Obwohl sie im Grunde nur reglos gewartet hatte, fühlte sie sich erschöpft und hungrig. Ihr Magen knurrte, als die Anspannung von ihr abfiel.

      Droin lachte, als er es hörte: „Wenn Dein Magen noch lauter wird, hält Dich die nächste Kreatur für ein paarungsbereites Weibchen.“

      Sie streckte ihm die Zunge raus, bevor auch sie zu lachen begann.

      Erleichterung löste die Anspannung auf, die sie bis zu diesem Augenblick empfunden hatte.

      Auch als Droin einige Zähne aus dem Kiefer der Bestie brach und die Knochenhaken abtrennte, änderte sich daran nichts. Als er jedoch einige Brocken Fleisch aus dem Körper schnitt, hob sie fragend die Brauen.

      „Vorräte. Vielleicht schmeckt sie nicht gut, aber es wird uns vor dem Hunger bewahren, der schlimmer ist.“

      Sie verzog angewidert das Gesicht: „Ich weiß nicht, ob ich das essen kann. Ich mag Fleisch ohnehin nicht besonders.“

      „Sobald Du etwas anderes findest, kannst Du gerne das essen. Bis dahin nehme ich das Fleisch. Pflanzen sind ohnehin viel häufiger giftig als Fleisch.“

      „Dafür schmecken sie besser. Hilf mir mal.“

      Droin hob sie vorsichtig auf den Kompass. Sie stützte sich dabei auf seinen Schultern ab, um ihr verletztes Bein zu schonen. Von ihrer halbwegs bequemen Position sah sie zu, wie Droin die restliche Ausrüstung verstaute. Anschließend schob er sie auf diese Art durch die Lücke im Gemäuer.

      Den Tag über kamen sie gut voran. Mit Hilfe der Karte und Straßen hielten sie einen genauen Kurs nach Norden.

      Zweimal mussten sie allerdings Schutz vor einem Schwarm Libellenegel suchen, der in der Nähe vorbei zog.

      Sonst blieb der Tag trüb und kalt, aber trocken.

      Droin nutzte die Gelegenheit, Phyria genauer nach ihren Erlebnissen zu befragen, seit sie aus der Abtei geflohen war. Vom Überfall hatte sie ausführlich berichtet, doch die Geschehnisse der Tage danach hatte sie nur vage angedeutet.

      Sie zuckte die Achseln: „Der Tunnel, durch den wir geflohen sind, war uralt und an vielen Stellen eingestürzt. Es hat drei Tage gedauert, bis wir uns ausgegraben hatten.“

      Während sie erzählte, erinnerte sie sich an die Nächte zwischen Dreck, Staub und Spinnen, nebeneinander in Dunkelheit auf dem harten Tunnelboden.

      Ausreichend Zeit über die Geschehnisse und den persönlichen Verlust nachzudenken. Schwanken zwischen Hoffnungslosigkeit und dem Wunsch nach Vergeltung.

      „Als wir endlich wieder draußen waren, fanden wir uns zwanzig Meilen weiter in einer stark bewaldeten Klamm wieder, in die kaum Tageslicht fiel. Jemand hatte vor langer Zeit einen Weg in eine der Felswände geschlagen,


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