Die vorgespielte Gerechtigkeit. Arber Shabanaj
an Menschen handelt, die ursprünglich kulturvollen und friedlichen kleineren Völkern angehören. Nach dem Motto: ‚Vor lauter Angst vor dem Esel, tritt man wenigstens erbarmungslos auf dessen Sattel‘ ...!“
„Also kehren wir nun zur Sache zurück!“, bestimmte Herr Slawa.
Agron schien das Herz stillzustehen. Er konnte die Geschichte mit der Abschiebung seiner Ehefrau jetzt bloß nicht ansprechen. Vor lauter Angst, dass, wenn er dies tun würde, die Wohnungsvergabe in einer Ablehnung münden und ab sofort in die Vergessenheit geraten würde.
Herr Slawa nannte auch den Vorsitzenden. Agron wäre in der Lage, ihn zu empfangen ... Doch nein, Herr Slawa hatte es nicht so genau gesagt ...
„Also Frau Korçula Nictylemann ist für dich zuständig, da du zu uns gehörst, als ein fleißiger und integrierter Emigrant ...“
Agron Iravosok hielt die Hand seiner Ehefrau zum ersten Mal nach so vielen Jahren ganz fest. Ihre Hand zitterte, da sie die größte Sorge trug als Hausherrin, als Ehefrau, als Mutter. Denn, wenn‘s darum geht, Gäste zu empfangen, durchquert jeder wahre Mann den Fluss zu Fuß, dachte Agron. Und mit Sicherheit haben sie mich heute eingeladen, um mich zu informieren. Doch die Zuständigen des Amtes möchten dir vielleicht nach so langer Zeit auch bei einer weiteren Angelegenheit behilflich sein ... So die Gedanken des Ehepaares ...
„Nun, Frau Korçula Nictylemann hatten wir nominiert und ihr dich empfohlen. Das Porträt, zwei mal drei Meter, wird dort bei jedem Fest, an jedem Jahrestag und bei jeder Feier, auch bei jeder gehaltenen Konferenz hängen ... Für den Gefallen, der dir getan wurde ...“
Oh Gott, was bloß seine Ohren hörten ... Ein Porträt, so groß wie eine Wohnungswand … Von den Porträts, denen er im Stadtzentrum begegnet war ...
Am Anfang konnte er das nicht erfassen, doch im Nachhinein spürte er, wie ein Speer seine Schulter durchbohrte.
Die Stirn seines Wohnungseinganges mit dem Blick zum Zentrum hin verfügte nur über ein Fenster ... Doch wenn aber ... Oh Gott, doch wenn sie aber das Fenster mit dem Porträt der Frau Korçula Nictylemann zusperren würden ...? Als ob die Information, die Geschichte mit der Abschiebung von seiner Ehefrau von eben, nicht schon genug gewesen wäre ...
Er und seine Ehefrau verließen außer sich das Büro. Die Beine führten sie zusammen zum Haus. Vielleicht waren sie gestern von den ganzen Dekorationen der Stadt wegen des Jahrestages noch beeindruckt gewesen, aber heute? ...
Jemand grüßte ihn. Er hob den Kopf, lächelte leicht, um die Begrüßung mit den gleichen Gesten zu erwidern, doch das Lächeln fror auf seinen Lippen ein.
Dahinter, das einzige Küchenfenster, wurde von dem überdimensionalen Porträt einer Frau versperrt. So was wie eine große Fadenmenge hatte sich in seiner Brust gesammelt. Ihm schnürte sie das Herz zu. Oh Gott! Sie hatten ihm die Wohnung gegeben, doch das Licht nahmen sie ihm weg. Sie hatten Scherze mit ihm gemacht, sie lachten ihn aus. Und jetzt, noch mehr als je zuvor, begriff er endgültig, warum ihm die Ecke im Stadtzentrum zustand. Das kam ihm unglaublich vor. Er lief schneller, sodass seine Frau hinter ihm zurückblieb.
Im Treppenhaus nahm er immer zwei Stufen. Die Türe der Wohnung fand er offen vor und seine Tochter weinte. Sie weinte durch das Porträt im Halbdunkeln.
Er machte ein paar Schritte zum Fenster hin, zum Porträt hin. Er schaute es von hinten an. Der Mensch auf dem Porträt lachte ihm zu, sagte fast zu ihm: „Einen Igel kannst du auf den besten Teppich stellen, der wird trotzdem den Dorn im Gebüsch verlangen! Denn ein Stein wiegt schwer, aber nur noch solange er von seinem ursprünglichen Platz nicht wegbewegt wird ...!“
Im Knast gefangen war er in dem Keller des Asylbewerberheims, im Knast blieb er auch jetzt.
Auch die Handschellen und Fußketten, sollten sie selbst aus purem Gold sein, zum Fangen und Sperren sind sie ja gedacht.
„Vater, zum Dekorieren kamen sie, und fixierten das Porträt dort ... Vater sie sperrten uns das Sonnenlicht für immer ...“
Etwas sammelte sich in seinem Schweigen an. Dasselbe, was er in seinem Hals spürte, hatte sich viel früher in seiner Seele aufgestaut.
„Phu, pfui, sitz, furchtbar!“, spuckte er in Richtung Porträt. Danach zog er seine Tochter an sich - ihretwegen war er nicht in der Lage, mehr zu tun. Er weinte gemeinsam mit ihr.
Auch die Viola auf der Fensterbank, ohne Licht, ohne Frische und ohne Duft, ließ ihren Kopf hängen.
{Hinweis: Die Geschichte „DAS PORTRÄT“ beruht zum größten Teil auf wahren Begebenheiten - aus den schriftlich geführten Evidenz- und Gedächtnisprotokollen der Betroffenen.
... Herbst 1992, ... Frühling bis Sommer 1993, ... April 2003, ... Mai bis Oktober 2010: ... Haselünne (Ems), … Wuppertal, ... Wenden/Olpe. }
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