Gertrud. Luise Reinhardt
meine Hoffnung, dass das holde, schöne Mädchen niemals aus freien Beweggründen eine andere Wahl hat treffen können!«
»Margareth war durch nichts gehemmt und durch nichts bestimmt, als durch ihr Herz, indem sie dem Grafen Levin sich verlobte, Alexander. Schon dieser Umstand muss Sie belehren, dass Sympathien oft mehr Freundschaftsstoffe enthalten, als man denkt. Liebesglück verlangt weniger Übereinstimmung des Geschmackes, als Herzenswärme, weniger gleiche Meinungen, als gleiches Pulsieren des Blutes und eine Anziehungskraft, der wir keinen Namen zu geben wissen.«
Alexander von Lottum legte sich bequem in die Ecke des Diwans und lächelte fein.
»Ich wollte, mein Freund Wieland wäre hier, um Sie handgreiflich zu belehren!«
»Nach meiner Meinung wäre ich weit eher im Stande, Ihren Freund Wieland zu belehren, als er mich!« sprach Rittberg sehr entschieden. »Das Verhältnis Wielands zur Sophie von Guttermann, welches sich auf Seelenverkehr beschränkt hat, erscheint mir fade gegen den Bund, der mich mit meinem wackern Mädchen verbindet! Elvire von Uslar liebt mich mit der vollständigen Hingebung, die den Mann zum glücklichsten Sterblichen zu machen verheißt. Ich verlange nicht danach, das Verhältnis von Liebesleuten zu kopieren, die schmachtend zusammen lesen, musizieren, den Mond anbellen und die Sterne zählen!«
»Sie nehmen also die Liebe materiell?« warf Alexander geringschätzend ein.
»Ich nehme sie vernünftig, als eine Gabe des Himmels, um uns so glücklich zu machen, wie möglich.«
»Unter den Ständen, wozu wir uns zählen, sollte eine solche Herabwürdigung edler, hoher und reiner Gefühle gar nicht stattfinden!« fiel Alexander wieder ein.
»Wehe den Ständen, wozu wir uns rechnen, wenn sie jemals dazu kommen sollten, eine eheliche Verbindung von diesem Gesichtspunkte aus zu betrachten,« sagte Rittberg sehr ernst. »Ich wäre im Stande eine Braut zu verachten, die mit ätherischer Kühle im Herzen mein Weib würde.«
»Wenn aber zwei Menschen in der Seelenerkenntnis geläutert, miteinander gleich gestimmt, durchs Leben gehen wollen – sind diese zwei Menschen Ihnen auch verächtlich?«
»Nein! Ich bedauere sie beide!« entgegnete Rittberg sehr rasch. »Gelingt es Ihnen meine Schwester auf diesen Weg zu verlocken, so habe ich die Überzeugung, dass Sie ein reiches, gefühlvolles und weiches Herz töten, indem sie demselben langsam alle Blutwärme entziehen. Margareth würde mir als eine Märtyrerin der steigenden Kultur erscheinen und in ihrer vestalischen Reinheit nicht so ehrenwert vorkommen, als in einem Kreise blühender Kinder von dem Dunstkreis irdischer Elemente umfangen.«
»Wir werden uns nie einigen, bester Freund,« wendete der Baron ein. »Was mir ein Entsetzen einflößt, ist Ihnen des Himmels Segen. Ich bitte Sie nur inständig, nicht auf Margareths Entschluss zu influieren.«
»Sorgen Sie nicht! Es würde heißen, die zarte Seele einer Jungfrau beflecken, wollte ein Mann, und sei er ein Bruder, den Schleier heben, der das Mädchenherz umhüllt und idealisiert. Versuchen Sie mit Ihrem Enthusiasmus für ein schwärmerisches Idealleben meine Schwester – ich zweifle so lange an günstige Resultate, bis ich glänzend überführt werden kann.«
»Darf ich bitten, mich Margareth melden zu lassen?« fragte Alexander zuversichtlich.
Rittberg verbeugte sich und ging.
Einige Minuten saß Alexander still und überdachte, was gesprochen worden war. Es lag durchaus nichts darin, was ihn, nach seiner Beurteilung, entmutigen konnte, und doch schlich ein ahnungsvoller Schauer durch sein Inneres, wenn er an die Festigkeit dachte, womit Rittberg seine Ansichten verwarf. Sollte dies ein Vorspiel der kommenden Szene werden?
Etwas bedenklicher, als nach dem günstigen Referate seiner Tante, begann er seine Toilette zu ordnen und sich einen förmlichen Belagerungsplan zu entwerfen. Zuerst so sicher in seinen Erwartungen, dass er Rittberg mit der Ruhe eines begünstigten Bewerbers empfangen hatte, bemächtigte sich jetzt seiner ein Unbehagen, welches ihn zu Reflexionen führte.
Ein Jahr war verstrichen, seit er Margareth im Hause seiner Tante verlassen hatte. Bald darauf hatte sie ebenfalls in Begleitung ihres Bruders Kassel, wo sie in einem Confluxus ästhetischer Kreise gelebt und geatmet, verlassen und war nach Schloss Rittberg, also immer unter unmittelbarer Einwirkung der brüderlichen Ansichten, übersiedelt. War es nicht denkbar, dass sie ihre hoch gespannten und fein veredelten Begriffe von Mensch und Erde etwas vom unreinen Elemente der Gemeinheit hatte verwischen lassen?
Womit man umgeht, zu dem neigt man sich. Herr Alexander von Lottum kannte die Unselbständigkeit des Frauengemütes gerade genug, um jetzt mit Sorge an ein Wiedersehen zu denken, von dem er sich Himmelsgenuss geträumt hatte. Es ist immer nicht gut, mehr zu träumen, als nötig ist, meinte er endlich entschlossen, und folgte dem Diener, der ihn hinab zu dem Flügel führen sollte, wo Margareth wohnte.
Margareth hatte sich nicht entschließen können, ihren Jugendfreund in dem Zimmer zu empfangen, wo sie trotz der unklaren Erkenntnis ihres Glückes so selig gewesen war. Es war jedenfalls ein ungünstiges Zeichen für diesen, und er nahm es auch dafür, dass er mit aller Förmlichkeit in das gewöhnliche Besuchszimmer geführt wurde, wo Margareth in einer nervösen Aufgeregtheit schon auf ihn wartete.
Gewitzigt durch das eben abgehaltene Gespräch mit Rittberg sah er mit der Aufrechthaltung der gewöhnlichen Konvenienzregeln ganz klar den Standpunkt, auf welchen man seine verspätete und seltsam gewagte Bewerbung zu stellen beliebte, und indem man die sonstige Traulichkeit seiner Beziehungen zu Margareth beschränkte und in die weiten Grenzen bloßer Besuchsberechtigung verlegte, erklärte man deutlich die geringe Neigung, den eben leer gewordenen Platz eines Verlobten schleunig wieder zu besetzen.
Im Grunde hatte er dies auch in vollster Ausdehnung nicht erwartet, aber er hatte gehofft, von den sehend gewordenen Augen eines verblendet gewesenen Mädchens als ein Messias begrüßt und in heimlicher Stille ihres Gemaches als solcher anerkannt zu werden. Mit dem dunkeln Bewusstsein, dass nach der Hitze in Graf Levins Empfindungen eine zu große Lauheit vielleicht nachteiligen Vergleichen erliegen könnte, trat er auf das Fräulein zu und ergriff mit einer gewissen Wahrheit von Erschütterung schnell die Hand, die Margareth ihm entgegenstreckte.
Dann aber verbeugte er sich vor ihr, tiefer und zeremoniöser, als es die Stellung erheischte, in welcher er seit ihren Kinderjahren zu ihr stand, und fragte mit zärtlichem Tone:
»Margareth, warum haben Sie mir das getan?«
Die Worte waren unglücklich gewählt. Sie wiederholten den Vorwurf, den sich tags zuvor ihre Tante erlaubt hatte, und gaben ihr mehr als alles andere Licht über das planmäßige Verfahren, womit man in ihrer ganzen Erziehung ihr geistiges Wesen mit dem Willen geleitet hatte, dem Herrn von Lottum eine Frau zu schaffen, wie er sie sich wünschte.
Der Nebel sank vor ihren Augen und sie betrachtete den verächtlichen Tadel, womit Frau von Wallbott ihre Verlobung beehrt hatte, plötzlich aus anderm Gesichtspunkte. Ihr sanftes, weiches Temperament verhinderte sie nun zwar, den neugewonnenen Ansichten Worte zu geben, allein sie wirkten wesentlich auf die Ruhe ihres Gewissens ein, das sich wirklich als etwas schuldig erkannt hatte. Sie beantwortete die erste Anrede Alexanders nur mit einem sanften, traurigen Lächeln, und dies ermutigte ihn zu der leidenschaftlichen Vertraulichkeit, ihre Hände wechselweise an seine Lippen zu drücken.
Margareth, unsicher in ihren Gefühlen, solange sie nicht im Stande war, Liebe und Freundschaft in sich zu trennen, trat schnell zurück und bewältigte nur mühsam eine Aufregung des Unmutes, die sich blitzartig bei dieser Zärtlichkeitsbezeugung durch ihr Inneres verbreitete. Sie war kalt und besonnen, als sie mit einer Handbewegung dem Jugendfreunde einen Platz anwies und sich selbst, vielleicht noch nicht fest entschlossen, aber doch sehr bereitwillig, sich von seinem fernern Betragen zu einem unabänderlichen Entschlusse leiten zu lassen, in dem Diwan niederließ. Alexander begann sogleich:
»Margareth, mich führt eine Hoffnung her, die vermessen genannt werden könnte, wenn sie nicht in unserm schönen Beisammenleben unter dem Schutze meiner Tante wurzelte. Darf ich reden, Margareth?«
»Von Ihren Hoffnungen nicht, Alexander,« sagte das Fräulein merkwürdig