Gertrud. Luise Reinhardt
»Ja, Ihnen! Die Liebe ist das subjektivste aller Gefühle, meine Freundin. Ihnen – aber nicht Ihrer Nichte Margareth!«
Er betonte die letzten fünf Worte merklich bedeutungsvoll.
»Wie?« fuhr die Dame betroffen auf. »Professor, sind Sie rasend! Margareth im Dunste niederer Herzenssphären – bezwungen von der Glut des Blutes – geneigt in toller Hingebung dem Manne, der es wagte, dies zu fordern, ihr edleres Selbst zu opfern? – Nein! Ich sage es tausendmal in einem Atem: Nein! Nein! Margareth, mein sanftes, süßes Mädchenherz voll heißer Scham beim dreisten Männerblick? Es wäre Verleumdung, wolltet Ihr es behaupten, und es wäre Beleidigung, wollte ich es von ihr glauben!«
Sie stand, bezwungen von ihren zornigen Empfindungen, auf und schritt einige Male im Zimmer auf und ab. Dann stellte sie sich dicht vor Gellert, schaute ihm fest in das sein blasses Gesicht und in die treuherzig gefühlvollen Augen, und begann gemäßigter:
»Was quälen Sie mich mit Ihren grundlosen Voraussetzungen, mein würdiger Freund? Margareth, das wohlgelungene Abbild eines idealen Weibes, kann nie so weit der Natur zum Opfer fallen, um ohne Rücksicht auf ebenbürtige Bildung des Geistes und der Seele ihrem Herzen eine Glut zu gestatten, die sie willenlos der Liebe eines Mannes unterwirft!«
»Wir Sterbliche können irren!« behauptete Gellert ebenso bedeutungsvoll, wie vorhin.
»Es soll nicht sein!« rief nun Frau von Wallbott entflammt. »Es darf nicht sein! Ich irre nicht! Ich darf nicht irren! Wer wagt es zu sagen, dass ich irre!«
»Sie stampft heute ganz besonders stark und trotzig mit ihren innern Füßen,« dachte Gellert etwas ängstlich werdend, und betrachtete ihr stark gerötetes Gesicht von der Seite mit scheuen Blicken. »Es wird ihr wohl nicht schaden, wenn ich es versuche, sie zur Erkenntnis zu bringen.«
»Die Zeit ist immer unsere beste Lehrmeisterin, teure Gnädige,« begann er laut und sehr bedächtig. »Überlassen wir deshalb unsere divergierenden Ansichten der historischen Entwicklung und fassen dafür das schon Geschehene als Faktum kritisch ins Auge. Haben Sie erwartet, dass sich noch jetzt, so dicht vor der Vermählung unsers jungen Paares das Verhältnis dergestalt lösen werde, um – Sie erlauben – Ihre frühern Pläne realisieren zu können?«
Die Dame stutzte und zögerte mit der Antwort, die etwas schwer zu formen war. So gern sie sich nach dieser eingetretenen Lösung auch das Ansehen gegeben, als wäre ihre Geistesmacht der Hebel gewesen, der das Verlöbnis, das ihr zuwider gewesen war, ganz unmittelbar aus den Fugen gerissen hätte, so fehlte ihr doch der Mut, das zu behaupten, da sie nicht wusste, wie viel von der ganzen traurigen Szene bekannt geworden sein möchte. Außerdem lag in Gellerts Frage eine indirekte Anklage, die sie dem Vorwurfe einer Indiskretion unterwarf. Sie war nahe daran, ihren hochmütigen Eingebungen zu folgen und eine abweisende Antwort zu er teilen, aber ihr guter Geist siegte.
Sie hob frei und offen den Blick zu dem Professor auf und antwortete:
»Meinem Gewissensrate bin ich eine ehrliche Beichte schuldig, und sie sei hiermit abgelegt, mein verehrter Freund. Ja, ich bekenne mich schuldig und erkläre, dass ich den bösen Willen hegte, Margareth auf jede nur mögliche Weise zu bestürmen, um sie dazu zu bewegen, sich wieder aus den Banden zu befreien, die sie törichter Weise und höchst unüberlegt um sich geschlungen hatte. Ich war auf einen kleinen Kampf vorbereitet, weniger aus Gründen, die das Herz diktierte, als vielmehr des allgemeinen Aufsehens wegen. Dass mein Plan den Zufälligkeiten eine schnellere und eklatantere Erledigung zu danken haben sollte, kann mir eigentlich lieb sein, obgleich es meinem stolzen Sinne nicht ganz recht ist, dass Graf Levin in seinem Rechte zu handeln schien, als er Margareth freigab. Es mag aber hingehen, wie es gekommen ist. Hatte ich früher den Mut, mit Kühnheit einen freien Entschluss meiner Nichte zu vertreten und dem Urteile unserer Standesgenossen zu trotzen, so wird mir auch nicht die Entschlossenheit fehlen, jetzt mit kräftiger Hand das Geschick Margareths zu vollenden.«
»So – so! Ganz, wie ich es dachte,« murmelte der Professor. »Also nun, da der Graf Levin Ihnen dasPrävenire gespielt hat?« fragte er lauter.
»Ja, nun bin ich sehr zufrieden, dass ich mich als passiv in dieser Schicksalsentwickelung meiner Nichte aufstellen kann, um mit dem reinen Glanze meines Namen ihr späteres Glück zu sichern!«
Ein leises Spottlächeln umflog die Lippen Gellerts, während er einige Minuten sinnend vor sich niedersah. Dann richtete er seine hellen sprechenden Augen auf die Dame, der satirische Zug verschwand und er rezitierte mit einer ergreifenden Wärme:
»O Stolz – was eiferst Du und nennst den Eifer ›Pflicht‹!
Und ist Dein Eifer selbst nicht ›Stolz‹, der aus Dir spricht?
Dein Wirken ist oft nur geheimer Trotz der Seelen,
Der übermütig spricht: ›es wird und darf nicht fehlen!‹
Oft ist auch unser Mut nur Stolz im Glanz der Seide
Und reinster Übermut in einem andern Kleide!
O, Mensch! Vertreibe ja den Glanz des falschen Lichts!
Warum verbirgst Du Dir mit so viel Kunst Dein Nichts?
Was ist des Menschen Ruhm, des Klugen wahre Größe?
Die Kenntnis seiner selbst – die Kenntnis seiner Blöße!«Note 6)
Frau von Wallbott hatte ruhig, ja man möchte sagen ›andächtig‹ den Worten gelauscht, die ihre Verurteilung in aller Form Rechtens enthielten. Ihr Blut wallte und siedete noch immer von den Gemütsaffektionen, denen sie in diesem Gespräche mit ihrem Freunde unterworfen gewesen war, allein sie trug jetzt schon das Bewusstsein ihrer Schuld in der Brust, und bei solchem Bewusstsein hört jede Empfindlichkeit im edlen Menschen auf.
Nachdenklich saß sie da, den Blick in die Weite gerichtet, ohne zu sehen. Die Sonne lag prächtig hell auf der Herbstflur und dem klaren Flüsschen, dem sie silberne Funken entlockte, wenn er seine leichten Wellen kräuselnd dem grasigen Ufer zuspielte. Nachdenklich saß sie da, und Gellert störte ihr Nachdenken mit keinem Worte, ja selbst durch keinen Blick. Er wusste, dass sie hart mit sich zu kämpfen hatte, aber er vertraute ihrer Natur den Sieg an.
Einmal schlug sie in bitterer Not das Auge zum Himmel auf, als wolle sie ihn anflehen, Mitleid mit ihr zu haben und ihrer Demütigung ein Ende zu machen. Der Himmel fiel jedoch nicht ein und Gellert sprach kein Wort, um sie aus einem Seelenzustande zu befreien, der einer Buße gleich kam. Nach langem Zögern atmete sie tief auf:
»Was verlangen Sie von mir, mein Freund?« fragte sie sehr leise und mit schwer bedrückter Stimme. »Ich bin zu allem bereit, um mir Ihre Achtung und Liebe wieder zu gewinnen!«
Gellert zog tief bewegt ihre Hand an seine Lippen.
»Der schönste Sieg, den je ein Mensch feiern kann, ist der über sich selbst, meine teure gnädige Frau,« sprach er freudig. »Ich verlange nichts – nein, ich bitte nur meine Freundin, ich bitte im Namen der Menschlichkeit: beherrschen Sie Ihre Wünsche, die Sie zum Lebensglücke Ihrer Nichte entworfen haben – beherrschen Sie jedes Wort, das eine Überredung für Margareth enthalten könnte – beherrschen Sie Ihren Einfluss auf diejenigen Menschen, welche unter Ihrer Geistesmacht sich wohl fühlen!«
Frau von Wallbott sah ihn heiter an.
»Weiter nichts? Das wäre ein kleines Sühnopfer.«
»Glauben Sie das nicht, Gnädige. Wenn Sie sich nicht geneigt fühlen, mir ein Gelübde darüber abzulegen, so beschränke ich Sie auf den Willen Gottes!«
»Den fürchte ich nicht!«
»Übergebe Sie der Pein eines ruhigen Zusehens!«
»Umso besser für meine Trägheit!«
»Überlasse Margareth der Natur ihrer Gefühle!«
»Gottlob, darüber kann ich ruhig sein!«
»Überhebe Sie aber auch jeder Verantwortlichkeit!«
»Hier haben Sie meine Hand! Ich