Gertrud. Luise Reinhardt

Gertrud - Luise Reinhardt


Скачать книгу
Man fürchtete eine Liaison, die den allgemein geachteten und beliebten jungen Edelmann zu einer gerechten Anfrage verhelfen konnte, und wenn man damals, noch weniger als jetzt, auch nicht geneigt war, sich der tränenreichen Liebe eines Töchterchen zu fügen, so scheute man doch die Konflikte mit dem angesehenen Stamme Brettow, der es bis zum Grafentume gebracht hatte. Junker Wolf zog sich aber aus allen diesen Affären stets ehrenhaft und mit unverletztem Herzen zurück, weil er, wie er sagte, ›recht gut wisse, dass er den Eltern schöner, liebenswürdiger Mädchen ein geeigneter Kavalier sei, aber keineswegs ein geeigneter Schwiegersohn.‹

      Durch Junker Wolf war ein Vetter, der Graf Levin Brettow, auf Rittbergen eingeführt. Er hatte im Sturme das stille, sanfte Herz der schönen Margareth genommen, ohne ihr eigentlich Zeit zur Prüfung zu gestatten. Graf Levin war keineswegs so schön, wie sein Vetter, und ihm mangelte vor allen Dingen die heitere Selbstverleugnung, die dem armen Junker zum Schmuck gereichte. Wild, ungestüm, verwegen bis zur Tollkühnheit, ein Feind aller Verfeinerung, aller Schwärmerei und aller Geisteserhabenheit, aber dabei ein edler, hochsinniger Mann im wahren Sinn des Wortes, dem die Koketterien des Weibes ein Gräuel waren, der Wahrheit und Recht liebte und die Lüge verabscheute – so war der Graf Levin beschaffen. Ob er in dieser Eigentümlichkeit fähig war, das sensible Gemüt und das zartfühlende Herz Margareths zu beglücken, blieb fraglich. Margareths Ausbildung war von einer Tante besorgt, die nicht hinter dem Zeitfortschritt zurückzubleiben Lust hatte; sie gehörte also zu den schwärmerischen Seelen, die in der Verzückung über erhabene Gemütsregungen vergessen, dass Steine auf dem Lebenswege liegen, worüber man fallen kann, wenn man zu viel himmelwärts schaut. Margareth war von der Poesie der Liebe für den Augenblick berauscht, sie verwechselte vielleicht die Herzensglut des Grafen Levin mit Geistesflammen, weil die Beredsamkeit wie ein frischer, belebter Quell aus seinem jähe erweichten Innern hervorbrach und seine Worte färbte. Sie erkannte vielleicht zu spät ihren Irrtum, um den Missgriff wieder gutzumachen, der sie nahe an den Rand des Verderbens bringen konnte. Ihre jungfräulich zarten Begriffe von Erdenglück fanden für jetzt Befriedigung in dem überschwänglichen Reichtume seiner Empfindungen, aber was wurde daraus, wenn eines Tages der Schleier von ihren Augen fiel und sie sich mit all’ ihren Lieblingsträumereien an einem jenseitigen Ufer fand, getrennt durch brandende Lebenswellen von dem, den sie zärtlich zu lieben meinte? Ihr Himmel, den sie azurblau für Ewigkeiten glaubte, hatte Wolken von drohendem Inhalte am Horizonte lagern, und ein einziger Windstoß vermochte sie zu ihrem Entsetzen hinaufzutreiben.

      Ihr Bruder Reinhard wäre vielleicht im Stande gewesen die Misslichkeit ihrer eingegangenen Liebesverhältnisse richtig zu beurteilen, da er die genügende Weltkenntnis erlangt hatte, um die heterogenen Charakterbildungen des Brautpaares zu durchschauen, allein sein eigenes Herz war für den Augenblick zu tief beschäftigt, und die Überzeugung von dem Werte des Grafen stillte die auftauchenden Zweifel, die sich seiner bisweilen blitzähnlich bemächtigten. Er hielt überdies eine edle und zärtliche Liebe für mächtig genug, um jede Verschiedenartigkeit der Naturen auszugleichen, und er wusste, wie recht weiblich hingebend seine schöne Schwester zu sein vermochte. Was sich in geistiger Beziehung Abweichendes vorfand, das berücksichtigte er gar nicht. Die Zeitperioden lagen auch zu nahe, wo es dem Edelmanne nur nötig schien, sich äußerlich als Ritter zu zeigen und außerdem dem wilden und ungezügelten Leben eines Jägers obzuliegen, ohne daran zu denken, dass Lesen, Schreiben und Rechnen edle Wissenschaften seien, die einstmals jedes Kind im Volke begreifen könne. Herr von Rittbergen hatte sich befleißigt eine höhere Stufe der Bildung zu erlangen. Er war in den Jahren einer Studien mit Männern zusammengetroffen, die, späterhin zu geistigen, Größen seines deutschen Vaterlandes emporgewachsen, schon in ihrer jugendlichen Strebsamkeit auf ihre Kommilitonen eingewirkt hatten; aber er schlug solche Verstandesbeschäftigungen nicht so hoch an, um davon ein Erdenglück abhängig zu machen. Graf Levin verstand vortrefflich zu rechnen, las und schrieb hinlänglich gut, um seinem Stande gemäß überall auftreten zu können. Dass er zu abstrakt dachte, um sich für Klopstocks ›Messiade‹ begeistert zu fühlen oder des jungen schwärmerischen Wielands ›Platonische Betrachtungen über den Menschen‹ zu studieren, dies gereichte ihm in den Augen Rittbergs nicht zum Schaden, obwohl er für diese Geistesproduktionen schwärmte und mit allen Dichtern und Schriftgelehrten seiner Zeit im engsten Verbande stand. Der gesunde Verstand des Grafen Levin glich den Abstand einer Universitätsausbildung mit seinem untergeordneten Wissen durch anderweit hervorragende Geschicklichkeiten aus, und er bewies durch die Vorliebe, die er für die Gellert’schen Dichtungen zeigte, dass er keineswegs unempfindlich für den Aufschwung der deutschen Literatur war. Nach seiner Meinung musste man aber verstehen, was man las. Die ›Fabeln‹ von Gellert mit ihrer unausbleiblichen Moral verstand er und ergötzte sich daran, weil er den Nutzen der Satire darin erkannte. Weniger sagten ihm die damals in Umlauf gesetzten ›Satyrischen Briefe‹ Rabeners zu, obwohl er sie ebenfalls begriff und vorzugsweise auch mit Andacht durchstudierte. Gellert blieb ein Ideal, und er ruhte nicht, bis er die persönliche Bekanntschaft dieses Lieblingsdichters gemacht hatte.

      In diesem kleinen Charakterzuge fand Rittberg eine Art Garantie für die Wärme einer Geistesempfänglichkeit, und glaubte es ruhig der Gemeinschaft mit seiner exzentrisch-poetisch erzogenen Schwester überlassen zu können, die nötigen Berührungspunkte zwischen ihren ungleich kultivierten Seelen herauszufinden. Genug, er machte sich wenig Sorge wegen der Verstandesverfassung des Brautpaares, nachdem er einige schlagende Beweise für die Sympathie ihrer Herzen erhalten hatte.

      Die Eile, womit Graf Levin seine Verheiratung betrieb, war ihm im Grunde sehr lieb, weil seine eigene Vermählung auch dadurch beschleunigt wurde. Er hatte in einer romantischen Laune seinem Vater das Versprechen geleistet, nicht eher eine Gattin auf Schloss Rittbergen einzuführen, als bis eine junge schöne Schwester es als glückliche Frau verlassen hätte. Wenn ihn auch kein Schwur an diese Verheißung band, so stand er doch zu sehr unter der Einwirkung einer phantastischen Schwärmerei, die ihn zu einem ritterlichen Beschützer der verwaisten Schwester stempelte, als dass er sich sophistisch seinem Gelübde entziehen sollte. Er hatte Fräulein Elvire von Uslar schon früher kennen gelernt, aber eine direkte Bewerbung um ihre Hand verschoben, bis Margareth Braut geworden war. Die Hochzeit der Schwester sollte jetzt die Veranlassung geben, das Verlöbnis mit ihr zu veröffentlichen und zugleich die Zeit zu verkürzen, die Frau von Pröhl mit der ganzen Gravität einer Pflegemutter zum Brautstande ihres Pflegetöchterchens festgesetzt hatte.

      Frau von Pröhl betrat unter bedeutenden Anwandlungen von Neugier das Besitztum der Familie Rittberg, von welchem fabelhafte Beschreibungen im Umlaufe waren. Man pries das Schloss als eines der romantisch gelegensten und luxuriös ausgestatteten, und schon die ersten Wahrnehmungen der scharf und heimlich um sich blickenden Dame bestätigten diese Erzählungen. Wie fürstlich schön waren die Hallen und die Korridore des Schlosses, nachdem man durch antike Mauerwerke und über eine Zugbrücke hinweg in den engen Schlosshof bis vor die ganz altertümliche gotisch gewölbte Haustür gedrungen war. Gleich beim ersten Eintritte überfiel sie eine Empfindung, die an Erstaunen und Ehrfurcht grenzte, als sie die kolossalen Hallen betrachtete, die einst den Vorfahren Rittbergs zum Versammlungsorte gedient hatten, jetzt aber nur noch als eine Verbindung der beiden neuern Flügel benutzt wurden. – Eine Reihe korinthischer Säulen, von denen man nicht sagen konnte, ob sie zur Zierde der Halle selbst dienen sollten, oder ob sie zur Stütze der oberhalb liegenden Räume nötig waren, zogen sich bis zu den Treppen hin, wo sie in einem schönen Halbbogen mit Balustraden versehen, als Treppeneinfassung paradierten.

      Frau von Pröhl ließ ihre Blicke mit unverkennbarer Bewunderung nochmals nach dem prächtig verzierten Treppenbalkon, der auf einem Trupp eben solcher Säulen ruhte, zurückschweifen, bevor sie am Arme des Junker Wolf den rechts liegenden Korridor entlang ging, und ihr erstes Wort an Rittberg war ein lebhaftes Lob des imposanten Aufganges zum zweiten Stockwerk.

      »Tod und Hölle,« brach der Oberst laut lachend heraus, »mein Lischen betrachtet sich also ganz gemütlich die architektonischen Wunder des Schlosses Rittbergen, während wir hier mit dem Frühstück warten und beinahe verhungert sind. Es ist Zeitgeist, dass unsere Frauen mehr betrachten, als handeln. Lieber Rittberg, gewöhnen Sie Ihre Braut früh genug daran, dass sie mehr an Ihr Frühstück denkt, als an den Turmbau zu Babel. Himmelsapperment–«

      Frau Lischen sah ihn schelmisch an und hob drohend den Finger auf –

      »Mille


Скачать книгу