Anhaltender Schmerz. Ute Dombrowski
sich von Maja.
„Bitte finden Sie den, der meine Freundin auf dem Gewissen hat. Sie war eine von den Guten und hat das nicht verdient.“
Weil Ron nicht ans Telefon ging, versuchte Bianca, den jungen Mann zuhause zu erreichen. Eine Frau Mitte vierzig öffnete die Tür und zog die Augenbrauen hoch.
„Ja?“
„Wohnt hier ein Ron Welleck?“
„Das ist mein Sohn. Wer sind Sie und was wollen Sie von ihm?“
Bianca stellte sich vor und erklärte, worum es ging. Die anfangs sehr kühle Frau brach in Tränen aus und bat die Kommissarin ins Haus.
„Oh nein, die liebe Kristin! Wer tut so etwas?“
„Ihr Sohn und Kristin waren nicht mehr zusammen?“
„Nein, es war schrecklich, denn ich mochte das Mädchen. Ich weiß bis heute nicht, warum sie sich getrennt haben. Mein Sohn war wochenlang verstört. Er schläft sicher noch.“
Es war Mittag und Bianca sah erstaunt auf die Uhr. Die Frau war ihrem Blick gefolgt.
„Nicht, was Sie denken. Ron arbeitet nachts beim Rettungsdienst und muss heute erst später in die Uni. Er will nicht von seinen Eltern abhängig sein, aber ich wecke ihn mal.“
Sie verschwand und nach ein paar Minuten kam ein junger Mann die Treppe herunter. Er sah müde aus. Seine Mutter folgte ihm und beide setzten sich zu Bianca.
„Du wusstest das?“
Er nickte.
„Warum hast du denn nichts gesagt, mein Junge?“
„Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst. Und was wollen Sie von mir?“
„Ich habe gehört, die Trennung lief nicht reibungslos.“
Wütend sprang Ron auf.
„Ah! Jetzt weiß ich, was Sie wollen. Nein! Nein, ich habe ihr nichts getan. Das denken Sie doch, oder?“
„Warum haben Sie sich getrennt?“
„Ich habe mich nicht getrennt, sondern Kristin. Sie wollte weg.“
„Wohin?“
„Nach Indien. Und ich wollte mir hier mit ihr eine Zukunft aufbauen. Ich passe nicht in ihre Lebenspläne! Ha!“
„Wo waren Sie in der Nacht von Samstag zu Sonntag?“
„Na wo wohl: beim Dienst.“
„Da gibt es sicher Zeugen?“
„Natürlich. Wir hatten einen Einsatz nach dem anderen. Ich hatte keine Zeit, Kristin zu töten, ich hatte nicht mal Zeit an sie zu denken.“
Er sah wütend und verletzt aus. Nein, dachte Bianca, er war es nicht.
„Kennen Sie einen Eick Bern?“
„Hat er sie umgebracht?“
„Nein, er ist das erste Opfer.“
„Scheiße, warum hat man sie getötet?“
Bianca stand auf und seufzte.
„Wir haben noch keine Ahnung. Danke, dass Sie ehrlich zu mir waren.“
„Finden Sie das Schwein!“
Die Kommissarin verließ das Haus und fuhr ins Büro. Enttäuscht schrieb sie die Namen von Ron und Maja an die Tafel und strich sie direkt wieder durch. Als Robin zurück war, zuckte auch er nur mit den Schultern.
„Nichts. Der Mann war wirklich auf dieser Fortbildung und er bestätigte, dass Eick ein unauffälliger, netter Mensch war, der nur Familie und Sport im Sinn hatte.“
9
Er hatte das Messer in den Rhein geworfen und sich auf den Heimweg gemacht.
„Ich muss mich zusammenreißen“, sagte er zu seinem Spiegelbild im Flur.
Die junge Frau war völlig überrascht gewesen, als sie ihren Blick vom Handy hob und in sein verzerrtes Gesicht schaute. Dann weiteten sich ihre Augen vor Angst und sie öffnete den Mund, um zu schreien, aber dazu kam sie nicht mehr, denn wie in Raserei stach er auf sie ein. Nachdem er seine blutigen Hände und das Messer wahrgenommen hatte, war er wieder klar im Kopf geworden. Gegen Morgen war er an den Rhein gelaufen, um das Messer verschwinden zu lassen. Er sah dazu zwei Gründe: Zum einen wollte er die Tatwaffe aus dem Haus haben, zum anderen hoffte er, nicht noch einmal außer Kontrolle zu geraten.
Es tat immer noch weh und wenn er an sie dachte, dann schaltete sich sein Hirn aus, sodass er Dinge tat, von denen er nie gedacht hatte, dass er dazu fähig war. Irgendetwas machte „Klick“ und er musste handeln. Er hatte es sich nicht so leicht vorgestellt, einen Menschen zu töten, aber das Gefühl der Genugtuung, das ihn hinterher erfüllt hatte, ließ ihn glauben, das Richtige zu tun. Am Tag danach schien es ihm, als hätte ein anderer die Frau getötet.
Er hatte in der neugierigen Menschenmenge gestanden und ehrliches Erstaunen gefühlt, dass hier ein harmloser Jogger getötet worden war.
Die Leute um ihn herum hatten getuschelt: „Wer weiß, was das für einer war, wenn man den so hingerichtet hat.“
„Tja, er hat das bestimmt verdient“, sagte eine junge Frau mit Kinderwagen. „Ein Triebtäter oder ein Pädophiler. Man hört ja oft sowas.“
„Und wenn er nur ein Jogger war, dessen Nase einem nicht gefallen hat?“, fragte ein Mann mit Bart.
„Ach was!“, rief ein alter Mann mit Hut auf dem Kopf und Zeitung in der Hand. „Man richtet keinen hin, der nichts getan hat. Was denken Sie denn?“
Er war zusammenguckt, hatte er doch nicht damit gerechnet, dass man ihn ansprach.
„Ich … ich weiß nicht.“
Der alte Mann hatte ihn naserümpfend angeschaut und sich wieder dem geschäftigen Treiben am Tatort zugewendet. Er war noch eine Weile geblieben und dann nach Hause gegangen. Dort hatte er vor ihrem Foto gesessen und geweint.
Die Genugtuung war schnell wieder verschwunden und eine große Leere blieb in seinem Herzen zurück. Er erinnerte sich an ihr Lächeln, die schmale Zahnlücke, die Grübchen und wenn sie zusammen lachten, dann waren sie glücklich.
„Du fehlst mir!“, sagte er jeden Tag zu ihrem Foto.
Nach ein paar Tagen in Traurigkeit und Wut war er erneut durch die Stadt gelaufen, getrieben, unruhig und mit der Hand in der Jackentasche, wo er den schweren Griff des Messers gefühlt hatte. Das Messer, das ihm Halt gab und das ihm Hoffnung machte, seinen Schmerz loszuwerden. Als die Kleine so dalag, hatte ihn ganz kurz der Gedanke durchzuckt, dass es unrecht war, aber dann dachte er daran, wie sie arglos auf ihn zugekommen war, vollkommen abwesend und ins Handy vertieft. Das grünliche Licht das Displays war auf ihr Gesicht gefallen. Sie hatte ihn erst wahrgenommen, als er direkt vor ihr stand und war, das Telefon immer noch fest umklammernd, gestorben.
Jetzt saß er zuhause und das gute Gefühl war abermals verschwunden. Er hatte das Messer entsorgt, um nicht mehr zu töten, doch die Unruhe war übermächtig und trieb ihn am Mittag aus dem Haus. Er war noch krankgeschrieben, um sich auszuruhen und den Fragen aus dem Weg zu gehen, die wohl oder übel kommen würden, aber er wollte kein Mitleid, keine Fragen, keine Blicke.
Er lief am Rhein entlang, setzte sich auf eine Bank und starrte auf das Wasser. Niemand beachtete ihn. Eine Stunde später taumelte er weiter, den Kopf voller Erinnerungen und ohne Orientierung, bis er sich plötzlich am alten Güterbahnhof wiederfand und stehenblieb, weil er laute Stimmen hörte. Ein schwarzer Transporter stand an der von Unkraut und Müll bedeckten Rampe. Die Türen waren weit offen, der Schlüssel steckte. Die Stimmen gehörten zu zwei düster aussehenden Männern mittleren Alters, die sich in drohender Haltung in der Halle gegenüberstanden.
Ein Schauer überlief ihn, denn er erinnerte sich daran,