Die Bestie im Menschen. Emile Zola
kennen lernen. Aus anzüglichen Worten und gemeinen Redensarten bestand sein Fragen. Sie brachte die Zähne nicht mehr auseinander, sie blieb dabei, durch Zeichen mit dem Kopfe ja und nein zu sagen. Vielleicht hätte es beiden einige Linderung verschafft, wenn sie alles gestanden haben würde. Sie fürchtete aber durch Wiedergabe der Einzelheiten keine Erleichterung, sondern noch größeres Ungemach. Und auch ihn würden die haarsträubendsten Thatsachen nicht so gepeinigt haben, wie jetzt die Einbildung. Dieses wollüstige Wühlen aber nach der Wahrheit nährte und trieb die vergifteten Wogen der Eifersucht in seiner Brust wieder zur Empörung. Es war nun geschehen. So lange er lebte, konnte er jetzt nicht mehr diese abscheuliche Vorstellung aus seinen Gedanken bannen.
Das Schluchzen würgte sie fast.
»Ah, verflucht ... ah, verflucht ... nein, das kann nicht möglich sein, das ist zu viel, das kann nicht möglich sein!« Von Neuem schüttelte er sie.
»Warum hast Du mich dann geheirathet. Du gottvergessene Dirne? ... Wie ehrlos, mich so hintergangen zu haben! Die Verbrecherinnen im Gefängnisse sind nicht so schuldbelastet wie Du ... Du verachtetest mich also, Du liebtest mich gar nicht? ... He, warum hast Du mich geheirathet?«
Sie machte eine flüchtige Bewegung. Wußte sie es in diesem Augenblicke selber? Als sie ihn heirathete, fühlte sie sich glücklich, war es doch nun mit dem Andern zu Ende. Giebt es doch so viele Dinge, die man nicht thun möchte und doch thut, weil es noch das Vernünftigste ist. Nein, sie liebte ihn nicht. Sie hütete sich aber, ihm zu sagen, daß sie ihn nie geheirathet haben würde, wenn ihre Vergangenheit eine andere gewesen wäre.
»Ihm lag natürlich daran. Dich zu versorgen, nicht? Er fand auch solch ein gutes Schaf ... Er wollte Dich versorgen, um auch das Spiel fortzusetzen, nicht? ... Und Ihr habt es fortgesetzt –bei Deinen zweimaligen Besuchen. Deshalb hat er Dich damals eingeladen?«
Ein Nicken mit dem Kopfe bestätigte es.
»Und auch heute aus demselben Grunde? ... Bis in alle Ewigkeiten also dieses kothige Treiben! Und wenn ich Dich nicht erwürge, geht die Geschichte weiter!«
Seine krampfhaft zuckenden Hände tasteten schon nach ihrer Kehle. Aber diesmal schwieg sie nicht.
»Da sieht man, wie ungerecht Du bist. Ich war es, die sich weigerte, dorthin zu reisen. Du wolltest mich sogar schicken, worüber ich so ärgerlich war, wie Du Dich erinnern wirst ... Du siehst also, daß ich nicht mehr wollte, und nie wieder würde ich gewollt haben.«
Er fühlte, daß sie die Wahrheit sagte, aber eine Erleichterung verschaffte ihm dieses Geständnis nicht. Das Eisen saß zu fest in seiner Brust, das, was zwischen ihr und jenem Manne geschehen, war nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Seine Ohnmacht, daß er nichts zur Ausmerzung des Geschehenen unternehmen konnte, peinigte ihn entsetzlich. Ohne sie freizulassen, näherte er sein Gesicht abermals dem ihrigen; er schien von ihrem Anblick wie behext, ihm war, als könnte er sich nicht eher losreißen, als bis er aus dem Blut ihrer blauen Äderchen ihr ganzes Geständniß herausgelesen hätte.
»In la Croix-de-Maufras, in dem rothen Zimmer,« murmelte er wie von einer Vision gepackt. »Ich kenne es, das Fenster führt auf den Bahndamm, das Bett steht dem Fenster gegenüber ... Ich verstehe, warum Du das Haus erben sollst. Du hast es Dir ja verdient. Er hatte gut über Deine Ersparnisse wachen und Dir die Aussteuer bereiten –das war Deine Gefälligkeit schon werth ... Er, ein Richter, ein Millionär, so geachtet, gebildet und so erhaben! Da soll Einem nicht den Kopf drehen ... Und vielleicht ist er auch noch Dein Vater?«
Séverine stand mit einem Sprunge auf den Füßen. Angesichts ihrer Schwäche als armes unterlegenes Wesen, zeugte der Stoß, mit dem sie ihn zurückwarf, von einer außergewöhnlichen Kraft. Sie protestirte energisch.
»Nein, nein, das nicht! Alles was Du willst, nur das nicht. Schlage mich, tödte mich ... Aber sage das nicht. Du lügst.«
Roubaud hielt noch eine ihrer Hände fest.
»Was weißt Du davon? Du selbst zweifelst daran, das ist Dein einziger Trost.«
Als sie ihm ihre Hand entziehen wollte, fühlte er den Ring, die kleine Schlange mit dem Rubinenkopfe an ihrem Finger. Er entriß ihn ihr und zerstampfte ihn in einem abermaligen Wuthanfalle mit dem Absatz auf der Diele. Dann schritt er stumm und aufgeregt durch das Zimmer.
Sie ließ sich, gleichfalls stumm, auf den Rand des Bettes fallen und blickte ihm mit ihren großen starren Augen nach. Das schreckliche Schweigen hielt an.
Die Wuth Roubauds wollte sich nicht legen. Kaum schien sie etwas nachzulassen, gleich war sie wieder da, wie die Trunkenheit, und zwar in großen, noch einmal so ungestümen Wogen und ihr Wirbel riß ihn haltlos dahin. Er hatte keine Macht mehr über sich; der heftige Wind seiner ihn peitschenden Leidenschaft trieb ihn nach allen Richtungen durch die Leere seines Innern, in welchem kein andres Bedürfniß lebte und sich erneute, als die heulende Bestie in ihm zu stillen. Der Durst nach Rache war ihm ein physisches Bedürfniß, das seinen ganzen Körper marterte und sie ahnte, daß sie vor ihm nicht eher Ruhe finden würde, als bis dieses Rachegefühl befriedigt war.
Ohne in seinem Sturmmarsche innezuhalten, hämmerte er mit seinen Fäusten an die Schläfen.
»Was soll ich jetzt beginnen?« stöhnte er mit angsterfüllter Stimme.
Hatte er seine Frau nicht sofort getödtet, jetzt würde er es nicht mehr können, das fühlte er. Seine Feigheit, sie am Leben zu lassen, dämpfte seinen Zorn; es war feige, sie nicht erwürgt zu haben, als sie, die Dirne, vor ihm lag. Natürlich konnte sie nicht mehr bei ihm bleiben. Er würde sie also fort, auf die Straße jagen müssen und sie nie wiedersehen können. Ein neuer Strom tiefen Leides überfluthete ihn, eine verwünschte Uebelkeit stieg ihm in die Kehle bei dem Gedanken, daß er selbst das zu thun nicht im Stande sei. Was also schließlich? Es erübrigte nur noch, den Schimpf auf sich zu nehmen, mit ihr noch Havre zurückzureisen und das ruhige Leben an ihrer Seite fortzusetzen, als wenn nichts geschehen wäre. Nein, nein, eher den Tod, Beiden den Tod und sofort! Es überkam ihn eine so ungeheure Trostlosigkeit, daß er noch lauter schrie:
»Was soll ich jetzt thun?«
Séverine folgte vom Bette aus mit ihren großen Augen seinen Bewegungen. Sie hatte stets eine kameradschaftliche Neigung für ihn empfunden und sein maßloser Schmerz that ihr wehe. Sie würde die Schimpfworte und Schläge entschuldigt haben, aber dieser wahnsinnige Jähzorn kam ihr so überraschend, daß sie sich von dieser Ueberraschung noch immer nicht erholen konnte. Ihr, die in ihrer frühesten Jugend den Wünschen eines Greises nachgegeben hatte, die sich später heirathen ließ, einfach um den Dingen eine Wendung zum Bessern zu geben, war in ihrer Gleichgiltigkeit und Folgsamkeit ein solcher Ausbruch von Eifersucht, längst verjährter Vergehen halber, die sie in der That bereute, durchaus unverständlich. Frei von irgendwelchem Laster oder fleischlicher Lust, in ihrer fast mädchenhaften unbewußten Handlungsweise, keusch trotz Allem, verfolgte sie das Hin- und Herlaufen ihres Mannes, seine wilden Wendungen gerade so wie sie einen Wolf, ein Wesen einer andren Rasse betrachtet haben würde. Was in aller Welt lebte eigentlich in ihm? Sie fühlte mit Schrecken die Bestie in ihm; ihr Vorhandensein hatte sie innerhalb der drei Jahre schon öfter geahnt, ihr dumpfes Knurren von Zeit zu Zeit hatte es errathen lassen, heute aber sah sie die Bestie losgelassen und in ihrer Wuth zum Beißen bereit. Was sollte sie ihm sagen, um ein Unglück zu verhüten?
Dicht beim Bett, vor ihr kehrte er regelmäßig um. Als er wieder in ihre Nähe kam, wagte sie ihn anzureden:
»Höre, mein Freund ...«
Aber er hörte nicht, sondern lief auf die andere Seite des Zimmers, wie ein vom Sturm fortgewehter Strohhalm.
»Was jetzt beginnen? Was soll ich thun?«
Endlich gelang es ihr, sein Handgelenk zu ergreifen und ihn einen Augenblick festzuhalten.
»Höre, mein Freund, war ich es nicht, die nicht mehr dorthin wollte? ... Ich würde nie, nie wieder dorthin gereist sein. Dich allein liebe ich.«
Sie zog ihn zärtlich zu sich herab und reichte ihm ihre Lippen zum Kusse. Er fiel neben sie auf das Bett, stieß sie aber sogleich mit einer Gebärde des Abscheus von sich.
»O