Die Bestie im Menschen. Emile Zola

Die Bestie im Menschen - Emile Zola


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zu versöhnen, he? Wenn man einen Mann dabei hat, dann hält man ihn fest, denkst Du ... Verbrennen würde ich, wenn ich zu Dir käme, ja, das Gift würde mir meine Eingeweide verzehren, ich fühle es!«

      Ihn schauderte. Der Gedanke, sie in den Armen zu haben, das Bild ihrer beiden Körper in einem gemeinsamen Bette durchzuckte ihn wie eine Flamme. Und aus der wirren Nacht seiner Seele, aus seinem verletzten, beschmutzten Verlangen heraus wuchs plötzlich die Vorstellung von der Unvermeidlichkeit des Todes.

      »Bevor ich Dich umbringe, verstehst Du, muß ich Jenen umbringen ... Ich muß ihn umbringen, ich muß ihn umbringen!«

      Seine Stimme kehrte wieder. Er wiederholte den Ausruf, während er scheinbar noch größer geworden, wieder vor ihr stand. Es schien als hätte ihm dieses Wort, das einem Entschlüsse gleich war, endlich seine Ruhe wieder gegeben. Weiter sagte er nichts. Dann schritt er langsam zum Tische und betrachtete dort das Messer, dessen große, offene Klinge ihm entgegenleuchtete. Mechanisch klappte er es zu und schob es in die Tasche. Mit herabhängenden Armen, mit den Augen in die Leere starrend, blieb er an derselben Stelle stehen. Er überlegte. Zwei große Falten zeigte seine Stirn, ein Zeichen, daß gewisse Hindernisse ihn keinen Entschluß fassen ließen. Um zu einem solchen zu kommen, trat er an das Fenster, er öffnete es und lehnte sich an das Fensterkreuz, um sein Gesicht dem kühlen Luftzuge der Dämmerung darzubieten. Seine Frau hatte sich nun ebenfalls erhoben und stand von Furcht gepackt, hinter ihm. Sie wagte nicht ihn zu fragen, sondern versuchte zu errathen, was in diesem harten Schädel vorging. So wartete sie stehend im Angesicht des weiten Himmels.

      In dem herniedersinkenden Abend spiegelten sich die fernen Häuser nur noch in schwarzen Umrissen wieder; über den mächtigen Eisenbahndamm lag ein violetter, dichter Nebel. Namentlich nach les Batignolles zu war die Strecke wie in Asche getaucht, durch welche die Eisenrippen des Pont de l'Europe nur noch undeutlich herüberschimmerten. Der über Paris noch schwebende letzte Wiederschein des untergegangenen Tages reflectirte auf den Scheiben der großen Ankunftshallen, während sich unter ihnen die Finsternis; immer massiger ansammelte. Jetzt blitzten kleine Lichtpunkte auf, man zündete die Gaskörper längs der Bahnsteige an. Auch ein mächtiger, weißer Lichtschein war vorhanden, die Laterne der Lokomotive eines Zuges nach Dieppe, dessen Koupeethüren schon geschlossen waren. Der Maschinenführer wartete nur noch auf das Zeichen des diensthabenden Unterinspectors. Es war da etwas nicht in Ordnung gewesen, der Weichensteller hatte durch ein rothes Signal mitgetheilt, daß der Fahrweg noch nicht offen sei; eine Rangirmaschine hatte erst einige Waggons fortholen müssen, welche durch ein schlecht ausgeführtes Manöver mitten auf der Hauptader stehen geblieben waren. Unaufhörlich sausten zwischen dem unentwirrbaren Knäuel von Rädern hindurch und an den auf den Wartesträngen unbeweglich stehenden Waggonreihen vorüber Eisenbahnzüge durch das starker und stärker werdende Dunkel. Einer ging nach Argenteuil, ein andrer nach Saint-Germain; nach langer Fahrt traf ein dritter von Cherbourg ein. Die Signale, das Gepfeife, die Töne der Signalhörner folgten sich ununterbrochen; von allen Seiten tauchten nacheinander rothe, grüne, gelbe und weiße Lichter auf; es herrschte um diese unbehagliche Zeit ein Chaos im Bahnbetriebe, daß es aussah, als müßte alles aufeinanderrennen. Aber alles ging glatt vorüber, mit der stets gleichen sanften, in der Dämmerung nur halb erkennbaren Bewegung wickelte sich das Knäuel immer wieder auf. Das rothe Signal des Weichenstellers erlosch jetzt, die Lokomotive pfiff und der Zug nach Dieppe setzte sich in Bewegung. Vom weiten, grauen Himmel begannen vereinzelte Regentropfen zu fallen. Es schien eine regnerische Nacht werden zu wollen.

      Als Roubaud sein Gesicht zurückwandte, sah es finster und verbissen aus, als hätte die Nacht da draußen auch auf sein Antlitz ihre Schatten gesenkt. Er war mit sich einig, sein Plan gemacht. Durch das Halbdunkel spähte er nach der Kukuksuhr.

      »Fünf Uhr zwanzig Minuten,« sagte er.

      Er war betroffen: in knapp einer Stunde hatten sich so viele Dinge abgespielt! Ihm kam es vor, als hätten sie sich hier seit Wochen gegenseitig aufgefressen.

      »Fünf Uhr zwanzig Minuten. Wir haben also noch Zeit.«

      Séverine wagte nicht ihn zu fragen, doch ihre angsterfüllten Blicke wichen nicht von ihm. Sie sah ihn im Schranke wühlen und Papier, ein Fläschchen Dinte und einen Federhalter hervorziehen.

      »Du wirst jetzt schreiben.«

      »Wem?«

      »Ihm natürlich. –Setze Dich.«

      Sie hielt sich instinctiv von einem Stuhle fern, ohne recht zu wissen, was er wollte. Er aber packte sie, führte sie an den Tisch und drückte sie dort mit solcher Wucht auf den Stuhl nieder, daß sie sich nicht wieder erhob.

      »Schreibe: »»Reisen Sie heute Abend mit dem Schnellzuge um sechs Uhr dreißig Minuten und zeigen Sie sich erst in Rouen.««

      Sie hielt wohl die Feder, aber ihre Hand zitterte, ihre Furcht vermehrte die unbekannte Absicht ihres Mannes. Was bezweckte er mit diesen beiden nichtssagenden Zeilen? Sie wagte sogar, fragend den Kopf zu ihm zu erheben.

      »Was willst Du beginnen? ... Ich bitte Dich, erkläre mir ...« »Schreibe, schreibe,« wiederholte er mit seiner harten, befehlenden Stimme.

      Dann tauchte er ohne Zorn, ohne Schimpfworte, aber mit einer so eisernen Nachdrücklichkeit, daß es sich wie eine Centnerlast auf sie niedersenkte und ihre Sinne schwinden machte, seine Augen tief in die ihrigen.

      »Was ich thun will, Du wirst es bald sehen ... Und daß Du mich nur verstehst, was ich beginne, das thun wir Beide gemeinsam ... Wir bleiben später auch hübsch bei einander, es giebt nämlich dann so etwas Bindendes zwischen uns Beiden.«

      Er erschreckte sie so, daß sie es noch einmal wagte, sich zu widersetzen.

      »Nein, nein, erst will ich wissen ... Ich schreibe nicht eher, bis ich weiß, um was es sich handelt.«

      Er war des vielen Redens müde. Er nahm ihre zarte Kinderhand in die seine und preßte sie in seiner eisernen Faust wie in einem Schraubstock, er hätte sie zerquetscht, wenn sie noch länger widerstrebt haben würde. Sie sollte unter Schmerzen seinen Willen kennen lernen. Sie schrie auf, alles brach in ihrem Innern und widersetzte sich nicht länger. Eine Ignorantin wie sie, die in ihrer passiven Milde nichts gelernt hatte, konnte nicht anders als gehorchen: ein williges Instrument für die Liebe wie für den Tod.

      »Also schreibe, schreibe.«

      Und sie schrieb mühsam mit ihrer armen gefolterten Hand, was er verlangte.

      »Gut so, immer recht artig,« sagte er, als er den Brief in Händen hatte. »Inzwischen bringe hier alles wieder in Ordnung. Ich hole Dich bald ab.«

      Er war vollständig gelassen. Er brachte vor dem Spiegel den Knoten seiner Kravatte in Ordnung, nahm seinen Hut und ging. Sie hörte, wie er die Thür zweimal verschloß und den Schlüssel herauszog. Die Dunkelheit wuchs mehr und mehr. Séverine blieb noch einen Augenblick auf dem Stuhle sitzen und lauschte gespannt auf die von draußen hereindringenden Geräusche. Nebenan in dem Zimmer der Zeitungsverkäuferin ein beständiges Heulen und Winseln; wahrscheinlich war ein Hündchen dort eingesperrt. Bei den Dauvergne war das Piano verstummt. Dagegen hörte man ein Geklapper von Topfen und sonstigem Geschirr. Die beiden Wirthschaftsvorsteherinnen hatten jetzt in der Küche zu thun. Claire bei einem Hammel-Ragout, Sophie bei einem Salatkopf. Und sie, allein, halb ohnmächtig hier oben in der schrecklichen Öde der hereinbrechenden Nacht, mußte hören, wie Jene heiter lachten.

      Seit sechs und ein viertel Uhr stand die Lokomotive des Schnellzuges nach Havre bereits gekuppelt vor dem Zuge. Die Halle war mit Waggons überfüllt. Daher hatte der Zug nicht in der Halle aufgestellt werden können. Er hielt draußen neben dem Bahnsteig, der in eine Art schmalen Defilées auslief, in dem Dunkel des tintenschwarzen Himmels, das von den wenigen längs des Fußsteiges aufgestellten Gaslaternen, die eher qualmigen Sternlein ähnelten, kaum nothdürftig erhellt wurde. Der soeben vorübergegangene Platzregen hatte einen eisigkalten Windzug hinterlassen, den man hier auf dem freien, mächtigen Raume ganz besonders spürte. Dieser Windhauch drängte auch den Nebel zurück bis zu den spärlichen Lichterreihen der Häuser in der Rue de Rome. Ebenso ungeheuerlich als trostlos der Anblick dieses durchnäßten, hier und dort von einem blutrothen Lichte durchblitzten, mit undurchsichtigen


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