ZAHLTAG IN DER MORTUARY BAR. Eberhard Weidner

ZAHLTAG IN DER MORTUARY BAR - Eberhard Weidner


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bleiche Gesichtshaut spannte sich so straff über den Schädelknochen, als müsste sie jeden Moment zerreißen. Die wässrigen, fiebrig glänzenden Augen lagen so tief in den Höhlen, dass sie kaum zu erkennen waren, und der ganze Schädel war vollkommen haarlos und von unzähligen dunklen Pigmentflecken übersät. Auf den dürren unbedeckten Armen befanden sich zahllose Tätowierungen in den unterschiedlichsten Größen, bei denen es sich allesamt entweder um Totenschädel oder um erstaunlich gut getroffene Selbstporträts des Mannes handelte. Der Barkeeper ließ die Musterung teilnahmslos über sich ergehen, fragte nicht, was Max trinken wollte, sondern wartete stumm auf die Bestellung des neuen Gastes. Nachdem Max sich vom ersten Schock des makabren Anblicks erholt hatte, orderte er einen Whisky mit Eis, worauf sich das Klappergestell wortlos abwandte, ebenso gemächlich wieder davonschlurfte und in die Schatten eintauchte.

      Kaum war der Mann verschwunden, konnte Max das Grinsen nicht länger zurückhalten. Er strich mit der rechten Hand durch sein kurzes braunes Haar und schüttelte verwundert den Kopf. Nun endlich machte der Name der Bar für ihn einen Sinn, denn dieser Barkeeper passte zu einer Leichenhalle wie die berühmte Faust aufs Auge. Hätte sich die Bar in einer geringfügig zivilisierteren und vorzeigbareren Gegend dieses Planeten befunden, wäre sie möglicherweise sogar eine Goldgrube gewesen, denn die Nachtschwärmer waren ständig auf der Suche nach neuen Kicks und liebten bizarre und ausgefallene Ideen.

      Der Barkeeper kehrte schon bald wieder zurück und stellte den Whisky ohne ein Wort vor Max ab. Max nickte ihm zum Dank knapp zu und nahm das Glas, auf dem sich ein Kondensfilm gebildet hatte. Die Eiswürfel schlugen klirrend gegeneinander und an das Innere des Glases, als er es an seine Lippen hob und einen kleinen vorsichtigen Schluck nahm. Augenblicklich verzog er angewidert das Gesicht und stellte das Glas schnell wieder auf den Tresen.

      Was zum Teufel ist denn das?

      Was immer der Barkeeper ihm da vorgesetzt hatte, es hatte nicht das Geringste mit einem anständigen Whisky gemeinsam. Stattdessen schmeckte das Zeug wie etwas, das schon längere Zeit tot war und seitdem in einer vergessenen Ecke vor sich hin gefault hatte. Max konnte nun auch einen stechenden, geradezu widerwärtigen Geruch wahrnehmen, der vom bräunlich trüben Inhalt des Glases ausging und ihm die Tränen in die Augen trieb. Sogar die Eiswürfel, die darin schwammen, sahen merkwürdig aus. Sie hatten eine ungewöhnliche hellrote Färbung und schienen dunkle schmeißfliegengroße Objekte zu enthalten, die aber zum Glück nur schemenhaft zu erkennen waren.

      Max schob das Glas so weit von sich, wie es ihm möglich war, und spuckte die Flüssigkeit, die er zum Glück nicht heruntergeschluckt hatte, auf den Boden neben seinen Barhocker. Es hätte ihn gar nicht verwundert, wenn das eklige Zeug gedampft, gezischt und ein Loch in den Fußboden gebrannt hätte. Er holte sein Taschentuch heraus, um sich den Mund abzuwischen, und rieb mit dem rauen Stoff sogar mehrmals über seine Zunge. Anschließend sammelte er Speichel im Mund und spuckte noch einmal aus, um auch noch den letzten Überrest des widerlichen Geschmacks loszuwerden. Es blieb jedoch auch weiterhin ein leicht unangenehmer Nachgeschmack zurück. Er überlegte, ob er die Toilette aufsuchen und den Mund ausspülen sollte, nur um ganz sicher zu gehen. Vielleicht war das Zeug ja gesundheitsgefährdend. Und vielleicht sollte Max dem Barmann einen guten Rat geben, bevor er ging, denn was immer der Kerl benutzte, um den Whisky zu strecken, er sollte es das nächste Mal mit einem geruchs- und geschmacksneutraleren Mittel versuchen.

      »Na, Hübscher, spendierst du mir einen Drink?«

      Die raue Stimme, die ihn so überraschend ansprach, riss ihn aus seinen Überlegungen. Er fuhr erschrocken hoch und sah in die Richtung, aus der sie gekommen war. Auf dem Barhocker links neben ihm hatte sich eine Frau mit langen dunklen Haaren niedergelassen. Er wusste nicht, ob sie aus einem anderen Teil der Bar oder von draußen hereingekommen war, da er die letzten Minuten viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen war, um auf seine Umgebung zu achten. Nun hockte sie auf alle Fälle neben ihm und sah ihn aus dem schattigen Bereich, in dem sie saß, heraus an.

      Max grunzte zur Erwiderung nur etwas Unverständliches. Er hatte noch nie zu den Leuten gehört, die gern und freigiebig Geschenke verteilten. In der Regel erwartete er für alles eine Gegenleistung. Aber wenn die Unbekannte gut aussah und bereit war, sich entsprechend ihrer von Mutter Natur verliehenen Möglichkeiten zu revanchieren, würde er mit Vergnügen ein paar billige Drinks investieren. Wenn sie hingegen zur gleichen Kategorie wie der Barkeeper, also zur Rasse der Vogelscheuchen, gehörte, dann würde sie entweder ihre Drinks selbst bezahlen oder durstig unter den Stein zurückkriechen müssen, unter dem sie erst vor Kurzem hervorgekrochen sein musste. Im Augenblick konnte sich Max darüber allerdings noch kein abschließendes Urteil bilden, da er außer den langen dunklen Haaren keine Einzelheiten erkennen konnte.

      Als hätte die Frau seine Gedanken gelesen, beugte sie sich in seine Richtung, bis ihr Gesicht in den dämmrigen Schein einer der verborgenen Lichtquellen geriet.

      Max zuckte vor Schreck noch heftiger zurück als zuvor beim Barmann, sodass er sogar Mühe hatte, auf dem hohen Hocker sein Gleichgewicht zu bewahren und nicht herunterzufallen.

      Die papierdünne Haut der Frau hatte eine wächserne, leicht gelbliche Färbung wie altes Fett, war von ungesund aussehenden dunklen Flecken übersät und spannte sich über den Wangenknochen, als wäre sie an einer verborgenen Stelle an die Kopfhaut getackert und anschließend mit hohem Kraftaufwand gestrafft worden. Die Augen lagen so tief in ihren finsteren Höhlen, dass sie vollständig im Schatten verborgen waren, und die strähnigen Haare waren fettig und ungekämmt. Außerdem sah es so aus, als würden zahlreiche winzige Tierchen darin herumkrabbeln, doch so genau konnte und wollte Max es dann doch nicht wissen. Als die Frau das Gesicht zu einer Grimasse verzog, die sie möglicherweise für ein verführerisches Lächeln hielt, und den Mund öffnete, konnte er zwei Reihen brauner Zahnstümpfe entdecken. Ein fauliger, übelkeitserregender Geruch mischte sich unter den leichten Verwesungsgestank, den sie ausdünstete und der Max erst in diesem Moment mit voller Wucht erreichte.

      Wie heißt dein Parfüm, Teuerste? Leichenduft N° 5? Zumindest passt es in die Mortuary Bar!, dachte Max, obwohl er höchst angewidert war, in einem Anflug von Galgenhumor und wandte rasch sowohl den Blick als auch seine empfindliche Nase von der Frau ab. Er befürchtete nämlich ernsthaft, sich übergeben zu müssen, sollte er die Gesichtsbaracke neben sich auch nur eine Sekunde länger ansehen und ihren Gestank einatmen müssen.

      Was war das nur für ein merkwürdiger Ort, an dem er in dieser Nacht so unvermittelt gelandet war? Der Vorraum zur Hölle? Der Name der Bar schien auf jeden Fall Programm zu sein. Der Barmann und die Frau neben ihm sahen nämlich tatsächlich so aus, als warteten sie auf den Tod, der jeden Moment zur Tür hereingekommen, seine Sense schwingen und sie holen könnte, oder als gehörten sie längst in eine Leichenhalle und nicht in eine öffentliche Bar, die nur diesen makabren Namen trug. Was er zunächst noch für einen müden Gag gehalten hatte, entpuppte sich nun beinahe als zutreffend. Aber was wollte man in dieser Gegend anderes erwarten. Die Menschen, die hier lebten, mussten genauso kaputt sein wie die Häuser, in denen sie hausten – oder wohl eher dahinvegetierten.

      Max war auf alle Fälle nicht daran interessiert, auch noch die anderen Gäste näher in Augenschein zu nehmen oder besser kennenzulernen. Stattdessen war er dankbar für die schlechte Beleuchtung, die die meisten Details seiner Umgebung und die anderen Gäste gnädigerweise vor seinen Blicken verbarg.

      »Na, wie steht’s jetzt mit dem Drink, Hübscher?«, rief sich die Vogelscheuche neben ihm in Erinnerung.

      Verdammte Scheiße!, fluchte Max still in sich hinein. Gevatter Tods hässliche Schwester lässt einfach nicht locker!

      Die verfluchte Alte würde wahrscheinlich erst dann Ruhe geben, wenn sie ihren verdammten Gratis-Drink bekam. Also beschloss Max widerwillig, das erste Mal seit langer Zeit etwas herzugeben, ohne dafür eine angemessene Gegenleistung zu verlangen. Aber wenn die Frau ihn dann nicht länger mit ihrem grässlichen Aussehen und ihrem infernalischen Gestank belästigte, war ihm das ausnahmsweise Lohn genug. Außerdem wollte er ohnehin nur noch allerhöchstens zehn weitere Minuten auf seine Verabredung warten. Wenn der Armleuchter bis dann immer noch nicht aufgetaucht war, würde Max diesen schrecklichen Ort schneller hinter sich lassen, als der knochendürre Barmann »Beehren Sie uns bald wieder!« nuscheln konnte. Vorausgesetzt,


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