Ein moderner Lederstrumpf. Robert Kraft
worden ist, so heisst es: kommt, wir gehen anderswohin.
Fleisch, Frucht, Gemüse kostet in Nordamerika ja fast gar nichts. Aber der Ochsentreiber will wie der Kirschenpflücker für sein Talent bezahlt sein, dann der Fleischer, der Kellner und nun erst der Koch! Wenn die Wandertauben kommen, kostet ein zartes Paar auf dem New-Yorker Markte einen Cent — vier Pfennige — und auf der Speisekarte im Hôtel am Broadway stehen sie mit einem Dollar, denn der Koch lässt sich sein Genie mit Geld bezahlen, der Wirth will auch etwas verdienen.
Je weiter man sich nun von der Stadt entfernt, desto billiger wird es, bis zuletzt Alles gar nichts mehr kostet, weil man sich freut, einen Gast bewirthen zu können.
Das mit der Essenverbitterung war von Ellen doch nur Einbildung gewesen, sie ass, was sie früher nie für möglich gehalten hätte, dieses ungeheure Beefsteak auf und dann — sie begann sich vor sich selbst zu fürchten —noch ein zweites, wofür sie natürlich noch einen halben Dollar zu bezahlen hatte. Dass freilich das Fläschchen Limonade auch einen halben Dollar kostete, das war eigentlich unverschämt. Starke arbeitete sein viergängiges table d'hôte ab, trank eine Flasche Wein dazu, und für alles dies zusammen wurde auch nur ein halber Dollar verlangt.
Sie hatte erst ihr Rad nachsehen wollen, fühlte sich aber doch recht müde. Ja, die Hängematte dort zwischen den Bäumen dürfe sie gern benutzen. Bald schwebte Ellen unter Baumesschatten in einem tiefen Schlafe.
Ein Schuss weckte sie. Starke hatte mit dem Revolver nach irgend einem Ziele geschossen. Merkwürdig, gerade um 4 Uhr, da sie fortfahren wollte, und ohne diesen Schuss hätte sie es verschlafen, wahrscheinlich bis morgen früh.
»Bitte, Miss, 50 Cents für die Hängematte,« sagte der Wirth, als sie von ihm das Rad forderte.
Der lernbegierige Deutsche war schon ganz ein braver Yankee geworden.
Das Rad stand im Schuppen, blitzblank geputzt, geölt.
»Wer hat mein Rad geputzt?«
»Ich. 50 Cents, für das Räderputzen, bitte.«
»Geben Sie es ihm nicht,« liess sich Starke vernehmen. »Ich habe es ja gethan.«
»Ah so. I beg your pardon. Richtig, dieser Gentleman war es.«
»Was kostet denn mein Revolverschuss vorhin?« spottete Starke, wenn auch in seiner gleichmüthigen Weise, dass man es für eine ernste Frage nehmen konnte.
Der Wirth blinzelte ihm nur pfiffig mit einem Auge zu, dann fuhr Ellen ab, ihr nach Starke.
Noch einige Städtchen und Ansiedlungen, manchmal schon recht hinterwäldlerisch aussehend, dazwischen Felder, Wiesen und jene prairienähnlichen Weiden mit viel Vieh, ein grosser Wald, für ein Londoner Kind schon ein undurchdringlicher Urwald, aber immer guter Weg; auf der Landstrasse Viehheerden, Wagen, Reiter und Fussgänger, ab und zu auch ein Radfahrer, einmal gleich fünf Automobile hintereinander; einmal eine Rast in einem idyllischen Farmhause, in welchem man Milch, Maiskuchen und die köstlichen Aepfel durchaus nicht bezahlt haben wollte, und mit der untergehenden Sonne sah sich Ellen nach einem Nachtquartier um.
Sie hatte wirklich fast noch 30 Meilen gemacht, heute im Ganzen 50, und das in aller Bequemlichkeit. Allerdings unter den günstigsten Bedingungen, am Nachmittage hatte sich der Weg immer gesenkt. Aber dafür war es auch der erste Tag, ihre Leistungsfähigkeit würde sicher zunehmen. So sagte sie sich.
An einem Kreuzwege stand ein Gasthaus, etwas armselig aussehend, nur eine Schänke für Viehtreiber. Ach was, Hôtels gab es in England genug, sie brauchte nur ein Bett, nur ein Brett; sie musste sich doch daran gewöhnen.
»Bis nach Shrywell, einer ansehnlichen Stadt, sind nur noch 2 Meilen.«
Nun natürlich erst recht hinein!
Der grosse, von einer Hängelampe erleuchtete Raum diente gleichzeitig als Wohnstube, als Schankzimmer und als Küche, vielleicht auch noch zum Schlafen für die Familie. Hinter der mit Flaschen und Gläsern besetzten Bar hantirte der Wirth; die unsauber aussehende Frau schälte Kartoffeln und schimpfte über die um sie herumspielenden Kinder; vor dem offenen Heerdfeuer, über dem einige Kessel hingen, sassen vier Männer, die Füsse auf dem Ofensims, und spuckten abwechselnd unter die Töpfe in's Feuer. Es mochten Ochsen- oder Schweinetreiber sein, verwitterte Gestalten, auch ihre Kleider mehr verwittert als zerlumpt. Mit einem Grusse trat Ellen, ihr Rad durch die Thüre zwängend, ein, ihr nach Starke. Einen Augenblick aufmerksamer Musterung, die vier Männer hörten auf, zu spucken, wendeten die Köpfe; dann wurde tactmässig weiter gespuckt. Es waren Amerikaner, deshalb mokirten sie sich nicht, selbst wenn sie noch keine Dame im Herrenkostüm gesehen hätten, besonders darum nicht, weil es eben eine Lady war.
Ellen fragte den Wirth, ob sie ein gutes Zimmer und Abendbrot bekommen könne.
»Sind Sie englisch, Missis?« meinte Jener, in ihrer Sprache die NasalIaute der Yankees vermissend. »Ich bin's auch, halte mir noch den Londoner Morning Leader. Ja, ein Zimmer können Sie bekommen, haben schon einmal so ein paar drin geschlafen, die auf solchen Dingern gefahren kamen.«
»Natürlich für mich allein, ich kenne diesen Mann gar nicht!«
»So, so. Können Sie auch haben, ein feines Zimmer. Gekochtes Hammel- und Rindfleisch giebt es. Alte, bediene die Lady.«
Auf ihren Wunsch, sich zu waschen, wurde ihr in dieser Stube ein Pferdeeimer mit Wasser auf eine Bank gesetzt — draussen war es ja schon dunkel —, ein Stück Seife und ein wenigstens sauberes Handtuch daneben gelegt, auf welchem mit grossen Buchstaben gedruckt stand: gestohlen aus Jefferkins Boardinghouse.
Es ging wirklich schon recht hinterwäldlerisch zu, mitten im Staate New-York, und Ellen erfasste diese Romantik; lächelnd half sie sich, wie sie konnte. Gestern und heute, welch ein Unterschied! Denn sie übersprang im Geiste die ganze Seereise, sie durfte es thun, und von welchem Luxus und von welchen Bequemlichkeiten war sie da noch umgeben gewesen. Miss Howard wusch sich im Pferdeeimer, trocknete sich mit einem gestohlenen Handtuch ab, in solcher Gesellschaft — sie musste ein lautes Auflachen unterdrücken. Ja, es war wirklich herrlich. Einer der spuckenden Männer hob die Beine noch höher, um die Frau nach den Töpfen durchkriechen zu lassen, bald standen vor Ellen auf dem Holztisch zwei Teller, auf jedem ein Berg dampfendes Fleisch — so, Vogel, nun friss oder stirb. Alles sah so unappetitlich aus wie die Teller schmutzig waren, wie Messer und Gabel, wie der Tisch, wie die Frau.
Aber Ellen wollte nun einmal mitmachen, sie wollte sich auf Künftiges vorbereiten; wer wusste, was sie noch vorgesetzt bekam, und der Wille bezwingt Alles. Mit diesem Entschlusse langte sie zu, und dann wunderte sie sich doch selbst, wie ihr das so gut schmecken konnte, und zugleich freute sie sich. Als Starke, welcher sich einige Zeit entfernt hatte, wieder eintrat, hielt er ein frisch geschlachtetes, aber schon gerupftes Huhn in der Hand. Zuerst blickte er aufmerksam nach ihrem Tische, und wenn er auch nicht den Kopf schüttelte, Ellen glaubte es doch zu sehen. Dann traf er Vorbereitungen zu seiner Abendmahlzeit, er schien selbst kochen zu wollen, wusch auch noch ein rohes Stück Fleisch ab, scheuerte eine Pfanne aus, roch an der Butter.
»Macht Platz, Gentlemen, ich will mein Fleisch braten.«
Der Eine nahm die Stiefel vom Sims und rückte zur Seite, dass er an's Feuer konnte. Die Butter begann zu prasseln.
»Nun hört gefälligst auf zu spucken, wenn ich koche.«
Ein Murmeln entstand; sie meinten, das thäte doch dem Essen nichts schaden, wenn sie in's Feuer spuckten, in die Töpfe spuckten sie doch nicht.
»Ich liebe es aber nicht, wenn man mir unter die Töpfe spuckt!«
War bei dieser Beschreibung der Bissen in Ellen's Munde gequollen, so sah sie jetzt angstvoll nach den wilden, vom Feuer gerötheten Gestalten, welche ebenfalls das Revolverfutteral am Gürtel hatten. Hoch aufgerichtet stand Starke vor ihnen, mit dem Haupte fast die Decke berührend, und wenn er jetzt auch noch statt des Revolvers die prosaische Bratpfanne in der Hand hielt — Ellen ahnte, was kommen musste, sie hatte schon genug solche wilde Scenen gelesen, sie hörte schon die Revolverschüsse krachen.
Ellen hatte falsch geahnt. Die vier Männer standen einfach