The unseen souls. Delia Muñoz

The unseen souls - Delia Muñoz


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ich kauf mir einen neuen Wecker. Die Batterie habe ich nämlich schonmal ausgewechselt und es geht trotzdem nicht.“

      Ihre Mutter nickte zufrieden und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Komm um sechs Uhr wieder, dann gibt es essen, ja?“

      Jen nickte und rannte die Treppe hoch in ihr Zimmer. Ihre Mutter und sie verstanden sich meistens wieder recht schnell, vielleicht lag es auch daran, dass sie zu zweit eine glückliche Mutter-Tochter-Familie bildeten. Jens Vater war abgehauen, noch während ihre Mutter mit ihr schwanger gewesen war, und hatte sich nie mehr gemeldet. Auch wenn diese Aktion eigentlich genug daneben war, dass Jen ihn getrost hassen könnte, hatte sie anfangs versucht, ihn per Telefon oder Email zu erreichen, aber er ignorierte sie geflissentlich. Nicht einmal auf ein Geburtstagsgeschenk, das sie ihm mit fünf Jahren gemalt hatte, hatte er reagiert. Also hatte Jen das, wie so vieles anderes auch, aufgegeben. Auch Jens Mutter war danach nie mehr eine ernste Beziehung mit einem anderen Mann eingegangen, was Jen jedoch sehr schade fand. Sie hatte Besseres verdient!

      2. Release me

      Wie jeden Dienstag um zwei Uhr nach der Schule ging Jen ins Haus Lupos.

      Doch da war sie nicht die einzige. Nico war auch dort.

      „Hi“, begrüßte sie ihn und gab sich Mühe, nicht wütend zu wirken, dass er immer noch da war. Was zu Hölle suchte er in diesem Haus?

      Mr. Asozial sah nur kurz auf und widmete sich nachher wieder seinem Roman. Jen versuchte, einen Blick auf das Cover zu erhaschen, aber er hielt es so, dass dies unmöglich war. Halb enttäuscht setzte sich Jen an ihren Stammplatz - wenigstens das hatte Nico ihr nicht genommen - und begann mit den Mathehausaufgaben.

      Aber an Konzentration war nun wirklich nicht zu denken. Sowieso - das war Mathe! Wenn es etwas gab das Jen so absolut nicht konnte, war es Mathematik. Als ihr Blick wieder zu Nico wanderte, ging ihr auf einmal das Lied 'Release me' von Agnes durch den Kopf. In Gedanken sang sie den Refrain mit und beinahe hätte sie zu summen begonnen.

      Mit Mühe riss sie den Blick von Nico los und fixierte erneut das Matheblatt.

       Wenn der Durchmesser einen Kreises 1 beträgt, ist der Umfang π. Wie groß ist der Umfang, wenn der Durchmesser 3 ist?

      Das ist einfach, dachte Jen und schrieb mit dem Bleistift 3π hin, holte ihren Taschenrechner heraus und rechnete es aus: 9.424777...

      Nächste Aufgabe. Jen arbeitete sich fleißig durch, aber das lockere und friedliche Gefühl, dass sie gewöhnlich überkam, wenn sie im Haus Lupos arbeitete, war einfach wie weggewischt. War ja klar, wenn Mr. Asozial sich ausgerechnet diesen Platz aussuchen musste, um seinen blöden Roman zu lesen. Überhaupt, wieso las er denn? Hatte er nichts Besseres zu tun?

      Jen warf ihm einen wütenden Blick zu und schaute wieder auf ihr Matheheft.

       Beweise die Formel A = π•r 2 mithilfe einer Skizze.

      Jen seufzte und zeichnete mit dem Zirkel einen Kreis auf das Blatt und versuchte, sich an den Beweis zu erinnern, den sie schon in der Schule nicht begriffen hatte. Wie sollte sie diese Aufgabe lösen, wenn sie schon zuvor nicht mitgekommen war? Das Einzige, was ihr einfiel, waren Dreiecke.

       Mann, ich muss einen Kreis machen, keine Dreiecke!

      Wie sie es so gerne tat, kaute sie auf ihrem Bleistift herum und starrte Löcher in die Luft. Ihr Blick fuhr zu Nico, der immer noch in sein Buch vertieft war. Er hatte ein schönes Profil, musste sie zugeben, als sie ihn von der Seite betrachtete. Ausnahmsweise ganz friedlich schaute er ins Buch und bewegte sich nur, um sie Seiten umzublättern.

      „Was schaust du so?“, fragte er auf einmal.

      Jen zuckte zusammen. „I-ich überlege mir, wie ich dich am besten dazu bringen kann ... mir die Formel π•r2 zu erklären.“ Zuerst hatte sie sagen wollen 'dich aus dem Haus zu verpissen' aber irgendwie hatte sie es nicht über die Lippen bekommen.

      Nico verkniff sich ein Grinsen uns sah auf.

       Yeah! Ich hab ihn zum Lachen gekriegt!

      „Ah, willst du einen elektrischen Kreis um dich legen, damit ich ja nicht näher komme?“

      „Hausaufgaben.“

      Zu ihrer großen Überraschung legte er sein Buch zur Seite - mit dem Cover nach unten - und kam zu ihr herüber. Jen rückte ein wenig zur Seite. Er nahm ihr das Blatt aus der Hand und begann, ernsthaft zu erklären. Tatsächlich war er ein guter Erklärer, auch wenn er sich sehr knapp hielt und nie einen Satz mit Komma sagte. Und zu ihrem Missfallen musste sie ihm einen Pluspunkt geben, da er dieses Thema in Mathematik offenbar begriffen hatte. Schlussendlich hatte auch sie den Beweis verstanden und bedankte sich bei ihm. Er nickte nur, setzte sich wieder an seinen Platz und las weiter.

      Jen starrte ihn eine Weile fast schon verletzt an. Warum war er so abweisend? Was hatte sie ihm angetan? Sie biss sich auf die Lippen und beendete rasch ihre Hausaufgaben.

      Die Woche darauf lief es genau so weiter.

      Nico sprach nahezu nie mit ihr, außer vielleicht, um hin und wieder eine sarkastische Bemerkung abzugeben. Er saß auf seiner Kiste und betrachtete das Ölbild oder las, Tag für Tag dieselben zwei Beschäftigungen. Jen jedoch beobachtete ihn immer wieder interessiert und versuchte, aus ihm schlau zu werden. Offenbar war die Hilfe bei den Hausaufgaben eine Ausnahme gewesen. Sie wusste nicht weshalb, aber seine offensichtliche Abneigung gegen sie machte sie auf eigenartigerweise an und sie ertappte sich immer wieder dabei, wie sie im Unterricht an ihn dachte. Sie wollte umso näher an ihn heran, je mehr er sie abstieß. Eines Morgens zog sie im Gedanken an ihn sogar absichtlich ein schöneres Top an, obwohl ihr bewusst war, dass er sie nicht länger als zehn Sekunden aufs Mal anschauen würde. Zufrieden bemerkte sie, wie sein Blick an diesem Tag kurz an ihrem Top hängen blieb. Da konnte sie es sich einfach nicht verkneifen, zu wiederholen, was er einmal gesagt hatte: „Was schaust du so?“

      Und Nico sah sie einen Moment lang bloß an, und dann sagte: „Schönes Top.“ Jen bekam vor Staunen über das Kompliment nicht einmal ein Dankeschön heraus.

      Aber etwas war wirklich eigenartig an Nico, von seiner asozialen Art abgesehen: Nämlich hatte auch er oft einen Cap dabei.

      Zwar war das normalerweise nicht weiter seltsam, es war ja durchaus geläufig, mit einem Cap herumzulaufen, aber aus irgendeinem Grund hatte Jen das Gefühl, dass er vielleicht ... auch „zaubern“ konnte. Wieso hielt er sich denn sonst im Haus Lupos auf? Sie kam nicht umhin, an die erste Begegnung mit ihm zu denken, als er geflimmert hatte und für einen winzigen Moment unsichtbar gewesen war. Zwar konnte sie das nicht mit Sicherheit sagen, aber ihr Verdacht bestand: Es könnte sein, dass er dieselben Fähigkeiten hatte! Aber nach einer Weile wollte sie es mit Sicherheit wissen, denn der Gedanke, einen Gleichgesinnten zu treffen, machte sie jedes Mal fast wahnsinnig, wenn sie ihn sah. Sie beschloss, ihn darauf anzusprechen. Aber das war leichter gesagt als getan.

      Es war an einem Sonntag, als sie im Haus Lupos saß und auf dem Handy spielte. Er las wie immer seinen Roman. Jen spähte über den Rand ihres Handys hinweg und legte sich die Worte zurecht, während sie das Handy auf Sperrmodus stellte.

      „Glaubst du eigentlich an Geister?“, fragte sie höchst intelligent und ihre Stimme klang in der Stille seltsam gespenstisch.

      Nico sah erstaunt auf. „Nein.“

      Jen kaute auf ihrer Unterlippe herum. Mit jemandem so ungeselligem zu reden war aber auch nicht einfach! „Ähm... und andere ... äh ... magische Dinge?“, stammelte sie und errötete.

      Nico hob einen Mundwinkel. „Kommt drauf an, wie man magisch definiert.“ Er senkte wieder den Kopf und las weiter.

      „Es ist ganz bestimmt nicht magisch, wenn ich dein beschissenes Buch aus dem Fenster schmeiße, damit du mal weniger asozial bist!“, murmelte Jen wütend und widmete sich ihrem Handy. Jetzt hatte sie ernsthaft allen Mut aufgenommen und ihn etwas so blödes


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