Quentin Durward. Walter Scott
ein einziges schlimmes Wort gegen diese liebenswürdigste und aufs schändlichste misshandelte Fürstin zu äußern. Als Sohn war er undankbar und aufrührerisch gegen den eigenen Vater. Er stand sogar kurz davor ihn zu entmachten, um dadurch früher die Herrschaft an sich zu reißen. Es kam schließlich zwischen dem Vater und ihm zu einem Krieg. Für sein erstes Fehlverhalten wurde er in die Dauphiné verbannt, um des Letzteren willen sogar des Landes verwiesen. Damals flüchtete er zum Herzog von Burgund und dieser nahm ihn so lange als dessen Gast auf, bis ihm des Vaters Tod die Rückkehr nach England wieder gestattet hatte. Kaum den Thron bestiegen, schlossen sich die Vasallen Frankreichs, mit dem Herzog von Burgund an der Spitze, zu einem Bund gegen ihn zusammen. Mit einem großen Heer rückten sie gegen Paris an und stürzten das französische Königreich an den Rand des Verderbens. Ludwig machte bei der Schlacht vor den Wällen von Paris, bei Montl'héry, kein glückliches Geschick und bewies nur einen geringen Grad von persönlicher Tapferkeit. Immerhin blieb der Ausgang unentschieden. Wie es aber in solchen Fällen die Regel zu sein pflegt, dass dem klügeren der beiden Streiter, wenn auch nicht der Ruhm, so doch die Frucht in den Schoß fällt. Mit seinen Intrigen verstand es Ludwig meisterhaft, Eifersucht zwischen seinen Widersachern zu erwecken. Dadurch erhielt er die Oberhand über sie. Dabei traf es sich günstig für ihn, dass in England der lange Streit zwischen den beiden Rosen entbrannte und ihn von der „englischen Gefahr“ befreite, die bis dahin Frankreich bedrohte. Schon bald begann er, das Reich erneut zu einen, auf der einen Seite durch Güte und Geld, auf der anderen Seite durch Krieg und Gewalt. Die Räubereien der Freischaren, die Plackereien des Adels konnte er freilich nicht mit Stumpf und Stiel ausrotten, aber es gelang ihm, sie erheblich einzuschränken. Gleichzeitig stärkte er seinen Vasallen gegenüber das königliche Ansehen durch unentwegte Wahrung und Mehrung der Interessen der Königskrone.
Ludwig in ständiger Furcht und Gefahr, weil es ihm nicht gelang, den Bund der Thronräuber zu vernichten. Noch eine weit schlimmere Gefahr für ihn war jedoch die in ständig wachsende Macht des Herzogs von Burgund. Das Haus Burgund zählte zu den mächtigsten Fürstenhäusern Europas, und trotz seines Vasallenverhältnisses zu Frankreich, diesem an Rang kaum unterlegen. Der burgundische Herzog hieß damals Karl mit dem Beinamen der Kühne oder besser Verwegene, denn sein Mut wurde durch seine Tollkühnheit noch übertroffen. Sein ausgemachtes Ziel war es, seinen Herzogshut mit einer Königskrone zu tauschen. Sein Charakter stand zu dem Ludwigs des Elften im schroffsten Gegensatz. Ludwig war ruhig und bedacht, ließ sich nie auf ein verzweifeltes Unternehmen ein, gab aber auch niemals eins auf, dass langfristig Aussicht auf Erfolg zeigte. Herzog Karl hingegen stürzte sich in Gefahren, weil er Gefahren liebte, und bot Hindernissen Trotz, weil er Hindernisse verachtete. Ludwig opferte seiner Leidenschaft niemals sein Interesse, Karl dagegen ließ seiner Leidenschaft ohne Rücksicht auf jedes Interesse freien Lauf. Die beiden Männer waren eng miteinander verwandt. Zudem hatte Ludwig, als er vom Vater des Landes verwiesen wurde, bei Karls Vater in der Dauphiné jahrelang Zuflucht und Obdach gesucht und gefunden. Ludwig erhielt von Karls Vater wie von ihm selbst Unterstützung und Beistand aller Art. Trotzdem wollten beide Männer nichts voneinander wissen, sondern verachteten und hassten sich. Auf Ludwigs Gesinnung gegen Karl war seine Habsucht von nicht geringem Einfluss, denn er missgönnte seinem Vetter die reichen Besitzungen seiner Herzogskrone, die strenge Disziplin, die unter den kriegerischen Bewohnern der burgundischen Lande herrschte, hielt ihn in ständiger Furcht. Gleichzeitig neidete er ihm die recht zahlreiche Bevölkerung. Ludwig verstand es nur allzu gut zu ermessen, was ihm von diesem allezeit kampflustigen und kampfsüchtigen Burgundervolk für Gefahren drohten, wenn er sich mit dem unbändigen Herzog vollständig verfeindete. Darum war er eben zu dem Entschluss gekommen, den entgegenkommenden Schritt zu tun, den er getan hatte, indem er den Weg nach dessen Besitzungen nahm, unter Wahrnehmung des Waffenstillstandes, der um das Jahr 1468, zu einer Zeit, als ihre Fehden den höchsten Gipfel erreicht hatten, gerade eingetreten war. Und das ist die Zeit, zu welcher auch unsere Erzählung einsetzt.
Zweites Kapitel.
Es war an einem wunderschönen Sommermorgen. Die Sonne hatte ihre sengende Kraft noch nicht gewonnen. Noch kühlte der Tau die Luft und füllte sie an mit süßem Duft. Da näherte sich ein Jüngling von Nordosten her der Furt eines Baches, der sich unweit des Schlosses Duplessis in den Cher ergießt. Von weiten Wäldern umringt, ragen die düstern Baulichkeiten des Schlosses hoch über die Gipfel der hohen Bäume.
Am andern Bachufer standen zwei Männer, in eine Unterhaltung vertieft, die sich hin und wieder nach dem Wanderer drüben umsahen. Da das Ufer, auf dem sie standen, erheblich höher lag als das andere, konnten sie ihn schon aus der Ferne beobachten. Er mochte etwa neunzehn Jahre alt sein, aber dass er nicht aus der Gegend, auch nicht aus Frankreich stammte, verriet sein Äußeres auf den ersten Blick. Er trug einen kurzen, grauen Rock und ebensolche Hoseer. Das deutete mehr auf niederländische Mode als auf französische, hingegen war die spitz zulaufende blaue Mütze mit dem Stechpalmenzweige weder in Frankreich noch in den Niederlanden, sondern nur in Schottland heimisch. Er war ein recht schmucker Bursche und von hübscher Figur. Auf dem Rücken trug er ein Ranzen, der ein paar Habseligkeiten zu enthalten schien, über der linken Faust trug er einen Falknerhandschuh, obgleich kein Falke drauf saß, und in der rechten einen derben Jagdstock. Über seiner linken Schulter hing eine gestickte Schärpe, an der wieder eine kleine Tasche hing, von scharlachrotem Samt, wie sie damals gern von den Falknern getragen wurde, um das Futter für diese immer hungrigen Vögel bei sich zu führen, hin und wieder wohl auch andere Dinge, wie sie zu dem damals in schönster Blüte befindlichen Sport gebraucht wurden. Über die Schärpe fiel von der andern Schulter herab ein Bandelier, in dem ein Jagdmesser steckte. Statt der damals üblichen Jagdstiefel trug er leichte Halbstiefel aus halbgegerbtem Leder.
Der Bursche war noch nicht völlig ausgewachsen, aber schon recht groß und stattlich. Sein munterer Schritt verriet, dass ihm das Wandern mehr ein Genuss denn ein Verdruss war. Seine Gesichtsfarbe wies einen bräunlichen Teint auf, die Folge von langem Aufenthalt in der frischen Luft, war aber nichtsdestoweniger schön. Seine Züge waren frei und offen und gefällig, wenn auch nicht streng regelmäßig. Zwischen den von einem munteren Lächeln leicht geöffneten Lippen traten zwei Reihen blendend weißer Zähne zum Vorschein, und aus seinem hellblauen Auge, das einen eigentümlich zu Herzen gehenden Blick hatte, sprach frohe Laune, leichter Sinn und rasche Entschlossenheit.
Die beiden Männer auf dem andern Ufer hatten ihn, wie bereits erwähnt, längst gesehen. Als er aber, flink wie ein Reh, das zur Quelle eilt, die Uferkante zum Wasser hinunter sprang, stieß der jüngere von ihnen den andern an und meinte: „Das ist unser Mann! Der Zigeuner! Wenn er sich's entschließt, durch die Furt zu waten, so ist er verloren, denn das Wasser ist hoch, und die Furt unpassierbar“.
„Dahinter mag er nur von selbst kommen“ erwiderte der ältere; „wer weiß, ob wir auf diese Weise nicht einen Strick sparen.“
„Ich richte mich bloß nach seiner blauen Mütze in der Taxierung seiner Person“, erwiderte der andere; „denn sein Gesicht kann ich nicht sehen. Aber, aufgepasst! er ruft uns, wahrscheinlich will er wissen, ob das Wasser tief ist oder nicht.“
„Es geht im Leben nichts über die eigne Erfahrung“, sagte der andere; „mag er's doch probieren, wie's im Bache aussieht.“
Der Jüngling zauderte nicht lange, sondern zog sich die Stiefel von den Füßen und ging in das Wasser hinein. Es verdross ihn augenscheinlich, dass er von den beiden Männern keine Antwort erhielt. Da rief ihm der ältere derselben zu, er möge sich in acht nehmen, mit dem Bache sei nicht zu spaßen, raunte aber gleich darauf seinem Begleiter die weiteren Worte zu: „Mon Dieu! Du hast Dich schon wieder geirrt. Der junge Mensch ist nicht unser schwatzhafter Zigeuner.“ Die Warnung kam indessen zu spät an die Ohren des Jünglings, oder er hatte sie überhaupt nicht vernommen, weil er schon mitten in der rauschenden Strömung war, in welcher ein minder couragierter und des Schwimmens nicht in dem vorzüglichen Maße wie er bewanderter Mensch sicher umgekommen wäre, denn der Bach hatte nicht allein eine sehr starke Strömung, sondern auch Wirbel und Untiefen.
„Bei unserer heiligen Anna!“ meinte der ältere der beiden Männer wieder, „das ist ein strammer Junge! Lauf, Gevatter, und mach Deine Sünde wieder gut, indem Du ihm nach besten Kräften beistehst. Gehört er doch zu Deinem Kaliber, von dem das Wasser, wie es in dem alten Sprichwort heißt, nichts wissen will, weil es ihm