Tigermädchen. Delia Muñoz

Tigermädchen - Delia Muñoz


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fuhr sich unruhig mit der Hand durch die Haare und trat etwas näher. John lächelte ihr freundlich zu und Melanie versuchte, die Geste zu erwidern. Die ersten Schultage waren noch nie ihre Stärke gewesen. Sie warf einen Blick durch den Raum, wo ausnahmslos alle Schüler mitten in Kämpfen gegeneinander steckten.

       Noch ...

      „Also“, begann John und Melanie sah ihn wieder an. „Vielleicht weißt du schon, dass ich jetzt ein bisschen mit dir kämpfen werde, um zu schauen, wie gut du bist. Gib einfach dein Bestes, das reicht. Okay?“

      Melanie nickte. „Okay.“ Sie holte tief Luft. „Nahkampf?“, fragte sie nach und atmete wieder aus.

      John überlegte kurz. „Wenn du etwas anderes besonders bevorzugst, geht das auch.“

      Melanie lächelte. „Nein, ich mag den Nahkampf besonders gern.“

      „Gut.“ John schaute auf die Uhr. „Du greifst an.“

      Melanie stellte sich in Position. Sie scannte die Umgebung ab, rechnete aus, wie viel Platz sie hatte und ging zum Angriff über. Aber John war tausendmal besser als alle Männer, gegen die Melanie je gekämpft hatte. Bereits nach ihrem ersten Schritt wurde sie in die Defensive gedrängt und sie verwendete ihre ganze Energie darauf, Johns Schlägen auszuweichen. Er drängte sie zurück und hielt sie immer auf einer Armlänge Abstand von sich.

      Melanie überlegte krampfhaft, wie sie ihn besiegen konnte, während John links antäuschte, mit der Faust von oben kam und sie nach rechts unten ausweichen musste. So würde sie noch zur Anfängergruppe komme! Jetzt schon geriet sie außer Atem und konnte nur knapp seinen Angriffen entkommen.

      Da kam ihr eine Idee: John hatte ein gute Taktik, er ließ seinen Körper nie schutzlos, aber er erwartete nicht von Melanie, dass auch sie Taktik anwendete. Er rechnete mit einer Straßenkämpferin. Doch die war sie nicht. Nicht ausschließlich jedenfalls.

      Melanie holte tief Luft und ging abrupt zum Angriff über. Sie täuschte von vorne an, John fiel darauf herein und sie sprang nach rechts. Kräftig griff sie ihm unter die Arme, stieß dagegen und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Er vollführte eine halbe Drehung und holte aus. Melanie duckte sich unter seinem Schlag hinweg und John änderte seinen Plan. Er packte sie an der Hüfte und warf sie über seine Schulter. Keine Sekunde zu spät drehte sich Melanie in der Luft, rollte sich ab und kam in derselben Bewegung wieder auf die Beine. Sie näherte sich von hinten, holte Schwung und wollte ihn mit ihrem Stiefel am Hintern treffen. Er wich aus, aber Melanie bewegte sich leicht weiter, nutzte den Schwung, vollendete eine Drehung um die eigene Achse und rammte ihm die Faust gegen die Schulter. Doch er drehte sich zu ihr um, packte sie am Handgelenk und brachte sie somit aus dem Gleichgewicht – Melanie stolperte und wand sich aus seinem Griff.

      Wieder stand er mit dem Rücken zu ihr. Sie wollte ihn in die Kniekehlen kicken, doch das schien er zu erwarten, er drehte sich weg und trat nach ihrem Bein. Sie sprang hoch und ging so seinem Tritt aus dem Weg. Dann schleuderte sie die Beine nach vorne und versuchte, John am Rücken zu treffen, doch er duckte sich darunter hinweg, obwohl er gar nicht gesehen haben dürfte, was sie da tat, da er ihr den Rücken zugewandt hatte. Sie landete unsanft auf dem Hintern und plötzlich spürte sie alle Blicke der Schüler auf sich ruhen.

       Mist. Ich bin gerade vor der ganzen Klasse auf dem Hintern gelandet.

      Sie wurde rot und sprang, auch wenn sie Schmerzen hatte, hoch. Dann stürmte sie auf John zu, überraschte ihn von rechts und verhakte seinen Körper in ihren Armen. John ließ sich nicht beirren, er richtete sich schnell auf und packte Melanie von hinten, doch diese stieß ihm den Ellbogen in den Bauch und er ließ sie los. Sie drehte sich blitzschnell um und stellte ein Bein quer über seines und hielt seinen linken Arm fest, um ihn zu blockieren. Leise fragte sie: „Wie konnten Sie mich von hinten sehen?“

      John lächelte triumphierend. „Ich kann sehen, als hätte ich Augen am Hinterkopf.“

      Melanie riss überrascht die Augen auf. „Echt?“

      John machte eine bescheidene Handbewegung. „Ja“, lachte er.

      „Das ist unfair, dann könnte ich auch meine Fähigkeiten anwenden“, meinte sie gespielt beleidigt.

      „Niemand hat gesagt, dass du das nicht darfst“, behauptete John.

      Melanie erstarrte. „Stimmt“, musste sie erstaunt zugeben. Sie kickte blitzschnell mit dem linken Fuß gegen seinen, stieß ihn mit der rechten Hand über ihr Bein und wollte ihn zu Fall bringen. Die Finte wäre beinahe aufgegangen, hätte nicht auch John etwas geplant. Er verlagerte schnell das Gewicht auf das rechte Bein, schleuderte Melanie an der Hüfte herum und machte es ihr mit seinem rechten Bein neben ihrem linken unmöglich, sich auszubalancieren. Melanie stürzte rückwärts und landete auf dem Rücken, ohne die Gelegenheit zu bekommen, die Schatten zu benutzen. Die Luft wurde ihr aus den Lungen gepresst und sie hustete. John beugte sich besorgt zu ihr herunter. Jetzt, da der Kampf vorbei war, reichte er ihr die Hand und half ihr hoch.

      „Tut mir leid“, entschuldigte er sich, doch Melanie winkte rasch ab. „Du warst echt gut“, fügte er hinzu.

      „Danke.“ Melanie brachte, noch etwas außer Atem, ein Lächeln zustande.

      „Ich schicke dich am besten zu den Gleichaltrigen in den Kurs, du hast etwa dasselbe Niveau.“ John nickte in den Saal.

      Melanie atmete erleichtert aus, obwohl sie befürchtete, dass diese um einiges besser waren. „Okay.“

      John wandte sich den kämpfenden Schülern zu und pfiff schrill in seine Pfeife, die er aus einer unscheinbaren Hosentasche gefischt hatte.

      Augenblicklich hörten alle auf zu kämpfen und drehten sich zu John um.

       Wenn unsere Klasse auch so gewesen wäre...

      „Alle mal herhören!“, bat John unnötigerweise. „Melanie wird in eure Gruppe gehen.“

      Ein Raunen ging durch die Gruppen und Melanie trat nervös von einem Bein aufs andere. Hier und da sah sie ein freundliches Lächeln.

      John erhob die Stimme. „Jetzt ist die Stunde zu Ende, ihr könnt euch umziehen gehen. Ein paar von euch sehe ich heute beim Wahlfach wieder, die anderen morgen.“ John war wahrlich kein Mann vieler Worte. Nach dem Kampfunterricht kam ein weniger erfreuliches Fach: Mathe.

      Als Emma und Melanie das Zimmer erreichten, waren die meisten Stühle schon besetzt und die beiden ergatterten nur noch einen Platz ganz vorne. Gleich zu Beginn musste sich Melanie mit Namen, Alter und Herkunft vorstellen, was aber außer dem Lehrer bereits alle wussten.

      Doch dies hielt auch den Englischlehrer und den Chemielehrer nicht davon ab, dasselbe zu fragen. Den restlichen Unterricht hindurch versuchte sie, den jeweiligen Lehrern zu folgen, doch hin und wieder wurde sie von Emma abgelenkt. Diese zeichnete nämlich mit einem komischen Stift Spinnen und Spinnennetze auf ihre Arme, und obwohl sie dem Lehrer anscheinend nicht zuhörte, konnte sie jede Frage beantworten, die ihr oder Melanie gestellt wurde.

      Am Nachmittag fand jedoch kein festgelegter Unterricht statt. Stattdessen musste man ein Wahlfach wählen, wie Emma ihr während des Mittagessens erklärte.

      „Heute gibt es Reiten, Dolchkampf oder Individuelles“, meinte sie. „Und danach noch als festes Fach Schmieden, aber das ist kaum Unterricht der normalen Sorte.“

      „Individuelles?“

      „Da kommst du in die Arena und kannst etwas nach deiner Wahl üben, aber es ist immer ein Lehrer dabei – meistens John – der dir hilft oder einfach zuschaut.“ Sie überlegte kurz. „Aber Dolchkampf und Individuelles kannst du auch an anderen Tagen wählen, also ...“ Sie ließ die Worte in der Luft hängen, aber Melanie verstand dennoch, was sie sagen wollte.

      „Dann ... nehme ich Reiten“, stammelte sie vorsichtig.

      Emma lächelte. „Cool, dann bist du bei mir!“

      Melanie atmete erleichtert auf. Sie kannte sich noch immer zu wenig mit der Schule und dem ganzen System


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