Ricarda Huch: Lebensbilder Deutscher Städte – Teil 1 - Band 181e in der gelben Buchreihe – bei Jürgen Ruszkowski. Ricarda Huch
vorwerfen.
Eine eingehende Beschreibung wolle man nicht erwarten, die Sache des Kunsthistorikers wäre; ich habe versucht, der Städte geschichtliches Dasein in kleinen Zügen, wie sie mir zu Gebote standen, aufleben zu lassen und dadurch zugleich ihre Erscheinung zu würdigen. Niemand kann sagen, wie viel von dem Aroma eines Bauwerks, einer Landschaft, einer Stadt von den großen oder merkwürdigen Erinnerungen abhängt, die damit verknüpft sind. Zuweilen geht von einer alten Mauer ein Hauch aus, der uns überzeugt, hier müsse Wunderbares sich begeben haben, auch wenn wir es nicht wissen; umgekehrt kann unser Wissen Steine formen und melodisch erbeben lassen.
Von den Neubauten des verflossenen Jahrhunderts, die das Bild der alten Städte so vielfach stören, habe ich wenig gesprochen; ich habe sie ignoriert wie das schlechte Wetter, damit meine bescheidenen Skizzen desto hübscher würden.
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Frankfurt am Main
Frankfurt am Main
Das alte Reich konnte eine Hauptstadt nicht haben, denn sein Haupt, der Kaiser, hatte keinen festen Sitz, sondern wanderte, wenn er nicht Krieg führte, von Ort zu Ort, um seiner höchsten Aufgabe zu genügen, nämlich Recht zu sprechen. Die Kaiser waren keine Monarchen in dem später aufkommenden Sinn und das alte Reich kein Fürstentum nach heutigem Begriff; eher könnte man es ein Gottesreich nennen, mit einem Richter an der Spitze, dem das Volk sich freiwillig unterwarf, wie der Mensch sich Gott unterwirft. Die Idee eines höchsten Herrn, der Gott und göttliche Gerechtigkeit auf Erden vertritt, ist uralt und taucht immer wieder auf, sei es durch Überlieferung oder weil der menschliche Geist überall und jederzeit Ideen hervorbringen muss, die mit ihm übereinstimmen und die das Vereinzelte zum Universum runden. Aus fernstem Altertum stammt der betupfte Königsmantel als Abbild des gestirnten Himmels, der Reichsapfel als Bild der Erde, die in der Hand Gottes ruht und so in der Hand seines irdischen Vertreters ruhen sollte. Es gehört zu dieser uralten Kaiseridee, dass der Erwählte die ganze Erde beherrsche, wenn sich das auch niemals verwirklicht hat.
Ist die Grundidee stets dieselbe, so gestaltet sie doch jedes Volk anders, nach dem Urbild, das in ihm wohnt, in dem es sich selbst verherrlicht und sich selbst ein Ziel setzt. Der römische König und Kaiser deutscher Nation glich dem deutschen Gott: er war der Inbegriff der Macht, Weisheit, Güte und Gnade, namentlich der Quell des Rechtes und der Freiheit. Ihm gehörte die Erde, nicht damit er sie für sich ausnutzte, sondern damit er sie allem Volk austeile und wieder einziehe, wenn der Belehnte gestorben war oder seinen Anteil durch Schuld verwirkt hatte. Wie Gott den Menschen verlieh er seinem Volk Freiheit und Verantwortlichkeit, er ließ sie, anstatt sie zu fesseln, in weiten Kreisen wirken und schaffen. So bildeten sich mannigfache Formen menschlichen Zusammenlebens in dieser kaiserlichen Republik aus und ergab sich eine Ordnung, die man, obwohl es nicht an strengen Bindungen, zum Teil rein ideellen, fehlte, im Vergleich zu den Anschauungen neuerer Zeit Anarchie nennen könnte.
Einige Orte, die zu den Kaisern in besonderer Beziehung standen, konnte man immerhin Hauptstädte nennen: Aachen als die alte Krönungsstadt, Frankfurt als die Stadt, wo die Kaiser gewählt, später auch gekrönt wurden, Wien als die Residenz der Habsburger in einer Zeit, als die fließenden Verhältnisse des Mittelalters zu erstarren begannen.
Denkt man an Frankfurts Lage am Main, der die deutschen Lande in eine nördliche und südliche Hälfte teilt, und dass es Goethes Heimat ist, so darf man es wohl einen Mittelpunkt des alten Reiches nennen.
Rathaus
Wer auf dem Römerberg vor dem Rathaus steht, im Hintergrund prächtig herrschend den Bartholomäusdom aufragen sieht, den Weg überblickt, den die Kaiser unter Glockengeläut zur Krönung zogen, dem wird, wenn er die Geschichte seines Volkes auch nur in großen Zügen kennt, Stolz und Andacht das Herz ergreifen.
Der Bogen, den die das Rathaus umgebenden Häuser bilden, gleicht in seinem sanften Schwung einem Diadem, dessen Mitte der denkwürdige Römer mit Limpurg und Frauenstein einnimmt.
dass es Goethes Heimat ist, dem größten Dichter Deutschlands
Ungleich schöner, durch wundervolle Schnitzereien reich verziert, überaus vornehm wirkend durch den dunkelschwarzen Ton des Holzes, sind andere Häuser des Platzes, namentlich das Salzhaus; der Römer ist erst in neuester Zeit durch einen Balkon, Kaiserfiguren und Wappen geschmückt, aber immer noch schlicht. Es gibt auch originellere und schmückendere Brunnen als der mit der Justitia, und die Nikolaikirche mit dem graziösen Umgang, von dem aus einst die Ratsherren den Mysterienspielen zusahen, die von Handwerkern und Schülern auf dem Platz aufgeführt wurden, steht vielen anderen Kirchen an Schönheit nach. Gemessen an den Verhältnissen moderner Großstädte, sind der Römerberg und seine Umgebung klein, und auch wenn man von solchen Vergleichen absieht, wirkt er mehr anmutig als gewaltig. Das Anmutige, Maßvolle ist für Frankfurt charakteristisch, ein Patengeschenk vielleicht des schöngewundenen Flusses, an dem die Stadt erblühte. Ein Zug der Anmut und Heiterkeit geht auch durch die Geschichte der Republik, wie sie ihrem Dichter, dem größten Deutschlands, eigen sind, dessen Leidenschaft, Tiefe und Tragik in ihrer Erscheinung durch freie Anmut und Mäßigung gemildert werden. Dessen ungeachtet vermittelt der Römerberg die Stimmung historischer Größe, und weht es vom Turm der Nikolaikirche schwarzrotgolden, in den Farben der Sturmfahne des alten Reichs, so ertönt er in einem strahlenden Akkord feierlicher Freude.
Die Entstehung Frankfurts hängt mit dem Namen Karls des Großen zusammen, der auf der Flucht vor den Sachsen hier eine Furt gefunden haben soll, die ihm den Übergang über den Main ermöglichte und ihn und sein Heer rettete. Dass eine bequeme Übergangsstelle schon früh zum Entstehen einer Ortschaft Anlass gegeben hat, ist wahrscheinlich und sicher, dass Karl der Große sich gern dort aufhielt und dem von ihm leidenschaftlich betriebenen Jagdvergnügen in dem großen Reichsforst nachging, von dem noch Teile um Frankfurt erhalten sind. Im Jahr 794 hielt er eine Kirchenversammlung in Frankfurt ab, und im selben Jahr starb dort Fastrada, die geliebteste seiner Frauen. Die Entstehung Sachsenhausens wird darauf zurückgeführt, dass eine Anzahl sächsischer Familien am jenseitigen Ufer angesiedelt wurden, was den Bau der Brücke notwendig machte. Der Neigung des Ahnherrn folgend, hielten Ludwig der Fromme und Ludwig der Deutsche sich gern in Frankfurt auf und in der Pfalz wurde Karl der Kahle geboren und starben Ludwig der Deutsche und dessen Sohn Ludwig. Einige nehmen an, dass Ludwig der Fromme die alte Pfalz umbaute, andere, dass er eine neue errichtete; die Leonhardskirche am Main und der Saalhof sollen die Stellen bezeichnen, wo sie sich befanden.
Ludwig der Fromme
Alle Kaiser, die sich nach den Karolingern in Frankfurt aufhielten, bewohnten den königlichen Hof, bis auf Heinrich VII.; dann verfiel er. Im Jahr 1353 kaufte ihn ein reicher Patrizier namens Knoblauch, von dessen Erben er im 18. Jahrhundert an die Familie Bernus überging. Nach mehrfachem Umbau ist von der alten Pfalz nur noch eine romanische Kapelle übrig, aber auch diese wohl kaum karolingischen Ursprungs.
Auch von der Salvatorkirche, einer karolingischen Gründung, die der Legende nach den Namen daher hat, dass der Sohn Ludwigs des Deutschen, Karl, dort vom Teufel erlöst wurde, der ihn besessen und zur Empörung gegen den Vater angestiftet hatte, ist keine Spur geblieben, da sie ganz im Dom aufgegangen ist. Ein erhebender Augenblick aus der Zeit der sächsischen Kaiser, der fälschlich nach Quedlinburg verlegt worden ist, hängt mit der alten Salvatorkirche zusammen. Als Otto der Große im Jahre 942 nach glücklicher Beendigung von Kriegen und Empörungen in Frankfurt die Weihnacht feiern wollte, warf sich ihm vor dem