Dombey und Sohn. Charles Dickens

Dombey und Sohn - Charles Dickens


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noch durch Vorsicht verhindern läßt. Je eher du das einsiehst und zugestehst, Paul, desto besser ist es.«

      »Zuverlässig weißt du, Louisa«, bemerkte Mr. Dombey, »daß ich deine natürliche Liebe und Achtung für das künftige Haupt meines Hauses nicht in Frage ziehe. Ich glaube, Mr. Pilkins ist heute morgen bei Paul gewesen?«

      »Ja«, entgegnete die Schwester. »Miß Tor und ich, wir beide waren anwesend. Miß Tor und ich, wir fehlen nie bei solchen Gelegenheiten. Es ist für uns einfach Ehrensache. Mr. Pilkins kommt schon einige Zeit täglich ins Haus, und ich halte ihn für einen sehr gescheiten Mann. Er sagt, die Sache sei nicht der Rede wert, und ich kann dir diese Versicherung gehen, wenn du einen Trost darin findest; aber er empfahl heute Seeluft. Ich bin überzeugt, Paul, daß das ein sehr weiser Rat ist.«

      »Seeluft?« wiederholte Mr. Dombey, seine Schwester ansehend.

      »Es liegt durchaus nichts Beunruhigendes darin«, sagte Mrs. Chick. »Sie ist meinem George und meinem Friedrich, als sie ungefähr in gleichem Alter waren, ebenfalls verordnet worden, und auch ich selbst mußte mich ihrer oftmals bedienen. Ich bin ganz mit dir einverstanden, Paul, daß vielleicht droben unvorsichtigerweise Gegenstände vor ihm zur Sprache kommen, mit denen man seinen jungen Geist besser verschonen sollte; aber ich weiß in der Tat nicht, wie dem bei einem Kind von so rascher Auffassungsgabe abzuhelfen ist. Bei einem gewöhnlichen Kinde hätte es gar nichts auf sich. Ich muß daher sagen, daß ich die Ansicht der Miß Tor teile; eine kurze Abwesenheit von diesem Hause, die Luft von Brighton und die leibliche sowohl als die geistige Erziehung einer so verständigen Frau wie z.B. Mrs. Pipchin ist –«

      »Wer ist Mrs. Pipchin, Louisa?« fragte Mr. Dombey, ganz entsetzt über die familiäre Erwähnung eines Namens, von dem er nie zuvor etwas gehört hatte.

      »Mrs. Pipchin, mein lieber Paul«, entgegnete Mrs. Chick, »ist eine ältliche Dame – Miß Tor kennt ihre ganze Geschichte – die seit einiger Zeit mit bestem Erfolg die ganze Tätigkeit ihres Geistes dem Studium und der Erziehung der Jugend gewidmet hat; auch stammt sie aus guter Familie. Ihrem Gatten brach das Herz durch – wie habt Ihr gesagt, daß ihrem Gatten das Herz brach, meine Liebe? Ich habe die näheren Umstände vergessen.«

      »Durch das Pumpen von Wasser aus den peruanischen Minen«, entgegnete Miß Tor.

      »Er war natürlich nicht selbst Pompier«, sagte Mrs. Chick nach ihrem Bruder hinsehend; und es schien in der Tat nötig, eine solche Aufklärung zu geben, denn Miß Tor hatte von ihm gesprochen, als sei er an der Handhabung der Pumpe gestorben, »sondern hatte sein Geld bei der Spekulation angelegt, und diese schlug fehl. Ich glaube, daß Mrs. Pipchin die Kinder ganz erstaunlich zu behandeln versteht. In den Privatzirkeln, die ich besuchte, habe ich sie stets – und, o du meine Güte, wie hoch – preisen hören!«

      Mrs. Chicks Auge wanderte am Bücherschrank hinauf bis zur Büste des Mr. Pitt, die ungefähr zehn Fuß vom Boden entfernt war.

      »Vielleicht sollte ich, mein teurer Sir«, bemerkte Miß Tor mit einem edlen Erröten, »da eben so bestimmt davon die Rede ist, beifügen, daß die Lobeserhebungen, in welchen sich Eure teure Schwester eben über Mrs. Pipchin ergangen hat, wohl berechtigt sind. Viele Ladies und Gentlemen, die nun zu interessanten Mitgliedern der Gesellschaft herangewachsen sind, haben ihrer Pflege viel zu verdanken. Das bescheidene Individuum, das Euch anzureden sich erdreistet, stand selbst einmal unter ihrer Obhut. Ich glaube sogar, daß der jugendliche Adel ihrer Anstalt nicht fremd ist.«

      »Habe ich das so zu verstehen, daß diese achtbare Matrone ein Institut unterhält, Miß Tor?« fragte Mr. Dombey herablassend.

      »Ich weiß in der Tat nicht«, erwiderte Miß Tor, »ob ich es mit Recht so nennen kann. Jedenfalls ist es keine Vorbereitungsschule. Drücke ich mich vielleicht treffend aus«, fügte sie mit eigentümlicher Süßigkeit hinzu, »wenn ich es als eine Kinderbewahrungsanstalt von der auserlesensten Beschaffenheit bezeichne?«

      »In ungemein beschränktem und ausschließendem Maßstabe«, ergänzte Mrs. Chick mit einem Blick auf ihren Bruder.

      »O! die Ausschließlichkeit selbst!« sagte Miß Tor.

      Hierin lag etwas. Der Umstand, daß Mrs. Pipchins Gatten ob den peruanischen Minen das Herz brach, war gut – er hatte einen reichen Klang. Außerdem befand sich Mr. Dombey in einem Zustande, der sich fast zur Bestürzung steigerte, wenn er daran dachte, Paul solle auch nur noch eine Stunde im Hause bleiben, nachdem seine Entfernung durch den Arzt empfohlen worden war. Es handelte sich hier um eine neue Verzögerung und ein Hindernis auf dem Wege, den das Kind im besten Falle langsam genug zurücklegen mußte, ehe das Ziel erreicht war. Die Empfehlung der Mrs. Pipchin hatte bei ihm großes Gewicht, denn er wußte, daß die beiden Damen auf jede Einmengung bei ihrem Pflegling eifersüchtig waren, und es fiel ihm dabei keinen Augenblick ein, mit in Betracht zu ziehen, daß sie vielleicht auch auf andere Schultern eine Verantwortlichkeit abzuladen wünschten, in betreff deren er, wie sich eben erst gezeigt hatte, seine festgewurzelten Ansichten hatte. »Das Herz gebrochen wegen den peruanischen Minen«, dachte Mr. Dombey. »Nun, eine sehr achtbare Art, aus der Welt zu kommen.«

      »Wir wollen morgen Nachfrage halten«, sagte Mr. Dombey nach einigem Erwägen: »und angenommen, wir entscheiden uns dafür, Paul zu dieser Dame nach Brighton zu schicken, wer soll mit ihm gehen?«

      »Ich glaube, wir dürfen vorderhand nicht daran denken, das Kind irgendwohin zu schicken, ohne Florence, mein lieber Paul«, versetzte seine Schwester stockend. »Er ist ganz vernarrt in sie. Du weißt, er ist noch so jung und hat seine Grillen.«

      Mr. Dombey wandte den Kopf ab, ging langsam nach dem Bücherschranke, schloß ihn auf und langte ein Buch zum Lesen heraus.

      »Wen sonst noch, Louisa?« fragte er, ohne aufzusehen in dem Buche blätternd.

      »Natürlich die Wickham. Ich denke, Wickham genügt vollkommen«, entgegnete seine Schwester. »Wenn Paul in solchen Händen ist, wie bei Mrs. Pipchin, so kannst du kaum jemand mitschicken, der für sie nur ein weiteres Hindernis wäre. Natürlich machst du wenigstens einmal in der Woche einen Besuch dort.«

      »Natürlich«, sagte Mr. Dombey und saß noch eine Stunde nachher immer vor derselben Seite seines Buches, ohne auch nur ein Wort gelesen zu haben.

      Die gefeierte Mrs. Pipchin war eine wunderbar häßlich aussehende, mißlaunige alte Dame von gebeugter Haltung, mit einem Gesicht, so fleckig wie schlechter Marmor, einer Hakennase und einem harten grauen Auge, das aussah, als könnte es auf einem Amboß gehämmert werden, ohne dadurch Schaden zu nehmen. Wenigstens vierzig Jahre waren vergangen, seit die peruanischen Minen Mr. Pipchin den Tod gebracht hatten; aber seine Hinterlassene trug noch immer schwarzen Bombasin von so glanzlosem, tiefem, toten, düsteren Schatten, daß nach Eintritt der Dunkelheit sogar eine Gaslampe sie nicht aufzuhellen vermochte und ihre Gegenwart jede auch noch so große Anzahl von Kerzenlichtern zum Erblinden brachte. Sie galt im allgemeinen als eine Person, die sehr gut mit Kindern umzugehen wußte, und das Geheimnis ihrer Behandlung bestand darin, daß sie jedem gab, was ihm unlieb war, und nichts, was es gerne hatte; dadurch wurden denn ihre Charaktere sehr gezähmt. Sie war eine so bittere alte Dame, daß man sich wohl versucht fühlen konnte, zu glauben, in der Anwendung der peruanischen Maschinerie habe ein Irrtum stattgefunden, und es sei, statt des Wassers aus den Minen, alles Wasser der Heiterkeit und alle Milch der Menschenliebe völlig aus ihr herausgepumpt worden.

      Das Kastell dieser Werwölfin und Kinderbändigerin stand an einer abschüssigen Stelle in einer Nebenstraße von Brighton. Der Boden war daselbst mehr als gewöhnlich kalkig, kieselig und unfruchtbar, und die Häuser zeigten ein gar schmächtiges, gebrechliches Aussehen. Die kleinen Gärten vorn besaßen die unerklärliche Eigentümlichkeit, nichts anderes als Ringelblumen hervorzubringen, was man sonst auch säen mochte, und die Schnecken klebten stets an den Haustüren und anderen öffentlichen Plätzen, wo sie wohl nicht als Zierde dienen konnten, mit der Beharrlichkeit von Schröpfköpfen. Winters konnte die Luft nicht aus dem Kastell heraus- und sommers nicht hineingebracht werden. Auch gab es darin einen so unaufhörlichen Widerhall des Windes, daß es überall stets wie eine große Muschel tönte, die die Insassen gleichsam Tag und Nacht an die Ohren halten mußten, ob sie nun wollten oder nicht. Natürlich konnte von


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