Der letzte Tag. Walther Nithack-Stahn

Der letzte Tag - Walther Nithack-Stahn


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haben sich mit ihm erhoben.

      »Noch einmal bitte ich, meine Herren, das Stillschweigen bis dahin zu wahren. Ich rechne es zu den leuchtendsten Beispielen menschlicher Pflichterfüllung, daß – nach der Presse aller Länder zu schließen – bisher aus den geheimen Beratungen der Sternkundigen nicht das geringste nach außen gedrungen ist. Auch in dieser Hinsicht darf die Wissenschaft mit ruhigem Stolz ihre Arbeit einstellen. Was uns an Zeit noch bleibt, gehört dem Einzelnen und seiner Menschlichkeit. Sollte ich wider Erwarten noch einmal Ihres Beirates bedürfen, so weiß ich, daß ich Sie rufen darf. Wir sind am Ende ...«

      Es scheint, als wollte er noch etwas hinzusetzen, aber er atmet nur tief auf und drückt den Umstehenden die Hand, Auge in Auge senkend.

      Archibald, halb in Gedanken, will eben zu seinem Nachbar sagen: Leben Sie wohl ..., plötzlich hält ihm das Gefühl der Sonderbarkeit die Zunge fest, er grübelt dem Unausgesprochenen nach ... Er tritt durch die seitliche Glastür auf den Umgang hinaus und lehnt sich auf das Geländer. Drüben glüht aus Morgennebeln die rötliche Sonne, schräg über ihr gleißt seltsam der fremde Stern, schon ein Zehntel ihrer Größe erreichend: der Feind, der drohend herannaht, von Millionen Augen Tag und Nacht verfolgt, ausgesandt von dunklen Gewalten, eine Welt des Lebens zu zertrümmern, die ihn ohnmächtig erwartet. Noch bemerkt man auf Erden nichts Absonderliches. Da liegt in der Ferne die große Stadt im Frühdunste, eben erwacht. Rauchfahnen quellen aus dem Säulenwald der Fabriken, auf allen Seiten kriechen die Bahnzüge heran, mit Arbeitskräften gefüllt. Dort zieht ein Pflüger bedächtig seine Furchen für die Saat der Zukunft, irgendwo zwitschert eine Lerche ihr Liebeslied, und hier tanzt ein buntscheckiger Falter lustig den Garten hinunter, sein Eintagsleben zu genießen.

      Aber den Waldweg hinab, der von dieser Hochburg der Forschung zu Tal führt, schreiten die dunklen Gestalten all der berühmten Männer, der Wissenden, die soeben dieser sonnigen Welt das Todesurteil gesprochen haben, das furchtbare, sie selbst vernichtende, gegen das es keine Anrufung gibt auf Erden noch im Himmel. Langsam bewegen sie sich, wie gedrückt von der Last unerbittlicher Wahrheit; hier und da bleiben zwei im Gespräch stehen, als besännen sie sich noch einmal, wollten umkehren, ihr Wort zurücknehmen – und gehen weiter ...

      »Gehen Sie nicht auch?« sagt eine freundliche Stimme hinter ihm.

      »Nein, Herr Professor.«

      »Ich bleibe gern allein hier oben, bis zuletzt – ein alter Mann, der nichts zu verlieren hat als einen armseligen Lebensrest. Dagegen Sie ... Ihre Braut hat ein Anrecht –«

      Archibald reckt sich und dehnt die Brust. »Was sind von nun an Rechte? Zudem: wir haben vielleicht unser wichtigstes Amt noch vor uns. Wir sind dem Matrosen im Mastkorb gleich, der zuerst die tödliche Klippe sieht – oder das rettende Land.«

      »Sie glauben noch immer?«

      »Ich glaube weder, noch weiß ich. Lassen Sie uns der Sterne warten.« Er steigt in die mächtige Kuppel hinauf und bohrt das Auge angestrengt in das winzige Glas am Riesenrohr. – Dann sitzt er und rechnet – rechnet.

      »Die Entfernung nimmt weiter ab. Es scheint doch ...«

      *

      Nächster Tag. Unsichtbar fluten die Ätherwellen, da und dort aufstrudelnd zu weiten und immer weiteren Ringen, rund um den Erdball, durchschneiden, verschlingen sich, wecken heimliche Töne. Noch immer wenigen Ohren vernehmbar. Hin und her fliegt Wort und Antwort.

      Auf der einen Erdhälfte nächtliches Dunkel, über der anderen trübes Licht. Wolkenheere jagen über den Himmel, hier und da flammen Feuer auf, rollt es drohend, wallen die Wasser herab. Nur selten, in blauen Lücken tauchen die beiden Sonnen auf zu kurzer Beobachtung.

      Schon zeigen die Uhren fast auf Mittag, und noch ist nichts verlautbart, was die Gemüter schrecken oder trösten könnte. Zwar geht es wie verstohlenes Summen durch die Lande, seit Monaten, als zuerst von dem Irrstern die Rede war, über den die Gelehrten sich stritten, den das Auge des Laien kaum bemerkt haben würde, so unscheinbar war er noch. Zeitungen hatten ruhige Erörterungen gebracht, wie man über eine Naturmerkwürdigkeit spricht, Witzblätter einen Zusammenstoß des himmlischen Herumtreibers mit der Mutter Sonne ausgemalt. Dann, vor einigen Wochen war alle öffentliche Besprechung der Sache plötzlich verstummt: die Forscher in aller Welt seien beschäftigt, das Rätsel aufzuklären, man werde hören ...

      Manch Neugieriger sah wohl morgens, wenn er das Fenster öffnete, einmal nach oben, ob sich da etwas verändert habe; auf freien Plätzen standen Gruppen, die durch berußte Gläser hinaufstarrten, es gab Klugschwätzer ... am Ende, was nützt das? Man hat mehr zu tun und geht seiner Arbeit nach.

      *

      An seinem Schreibtisch unruhig der Kanzler. In kurzen Pausen knurrt vor ihm der Fernsprecher wie ein lauernder Dämon, öffnet sich die Tür zu dem Saale, wo die Minister und Räte mit gedämpften Stimmen verhandeln. Boten kommen und gehen. – Endlich erhebt sich der Kanzler und tritt in die Versammlung ein: »Meine Herren, die beiden kriegführenden Seemächte weigern sich noch immer, irgendeinen Entschluß zu fassen, Eine jede erklärt: solange eine zweifellose Gewißheit über das angeblich bevorstehende kosmische Ereignis nicht bestehe, sei sie nicht gesonnen, die Möglichkeit ihres Sieges aufs Spiel zu setzen, indem sie die Kampfstimmung ihres Volkes gefährde. Sie könne das nur, sofern der Gegner ein Gleiches tue. Beide Mächte ersuchen dringend, die Bekanntgebung des Gelehrtenspruchs noch um einige Tage hinauszuschieben.«

      Aufsteigender Unwille in der Versammlung. »Welche Zeit ist jetzt noch zu verlieren? Was sind jetzt Tage?« murrt es.

      Der jung-feurige Minister für Volkserziehung bittet ums Wort. Er hat das Augenglas fallen lassen, wie immer, wenn er in Eifer spricht.

      »Meine Herren, die Völkergemeinschaft war noch nie in einer so günstigen Lage, einen Krieg ohne gewaltsamen Eingriff mit einem Schlag zu beenden. Die Kriegführenden sind in unsrer Hand. Auf rein geistigem Wege können wir Frieden schaffen. Ein Wort von uns, und die Waffen sinken. Wir brauchen es nicht einmal an die Regierenden zu richten. Die Empfangsstationen ihrer Länder werden es aufnehmen. Trotz aller Verbote werden Menschen es fortpflanzen, mit unmeßbarer Geschwindigkeit wird es die streitenden Völker durcheilen. Angenommen – womit wir als mit einer noch so entfernten Möglichkeit rechnen müssen –, die Forscher hätten sich geirrt, so stände die Tatsache, daß ein starkes Menschheitsgefühl eine Völkerfehde zum Schweigen gebracht, für alle Zeiten fest.«

      Der graubärtige Minister des Innern hat die Hand erhoben.

      »Ich bitte, Herr Amtsgenosse.«

      Die leicht bebenden Hände auf den Tisch gestützt, steht jener, vornüber geneigt. Langsam, grüblerisch spricht er: »In diesen Nächten, die wir wohl alle schlaflos verbrachten, habe ich immer wieder mit einer Frage gerungen. Nicht mit der, die auch dem Herrn Vorredner noch Frage ist: ob wir wirklich am Ende sind. Die furchtbare Last der Antwort habe ich nicht zu tragen, ich wälze sie den Sachverständigen zu. Wie ich selbst mich auf ein solches Schicksal rüste, ist meine Sache. Aber dies ist heute meines Amtes, mitzuentscheiden, ob mein Volk, ob die Völker diese Botschaft empfangen sollen. Ich sprach soeben mit einem unserer Astronomen – er war glücklich, diese letzte Frage nicht lösen zu müssen. Sie ist in der Tat die schwerste, die seit Bestehen der Menschheit einer Gemeinschaft obgelegen hat. Der Erfolg, den der Minister für Volkserziehung von der Kundbarmachung erhofft, die Beilegung eines Krieges, versinkt vor den möglichen anderen Folgen. Meine Phantasie erlahmt, sooft ich versuche, sie mir auszumalen. Soweit ich Menschenkenner bin, scheint mir: wir sind nicht reif für solche Botschaft. Mögen viele einzelne sie ertragen, das Ganze erträgt sie nicht. Man mag bedauern, daß uns nicht hunderttausend Jahre Frist gegeben sind – vielleicht, wir wären so weit. Heute gleichen wir dem schwachmütigen Sterbenden, dem der Arzt sein Los verschweigen muß. Darum mein Antrag: Bekennen wir, der Wahrheit gemäß, daß wir nichts wissen, auch die Weisesten nicht. Warten wir der Dinge, die wir nicht ändern können.«

      Einer hebt ein Schriftstück: »Hier steht ja, daß wir nicht wissen. Menschlicher Voraussicht nach ...«

      Der Minister für Volkserziehung, erregt: »Ich male mir allerdings andere Folgen unseres Verhaltens aus. Schweigen


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