Der letzte Tag. Walther Nithack-Stahn

Der letzte Tag - Walther Nithack-Stahn


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sitzt in der Küche und weint«, plaudert ihr der Junge ins Ohr.

      Sie nehmen schweigend ihre Plätze um den Tisch und löffeln die Suppe. Die Glocken wirbeln noch immer durch- und widereinander.

      Da auf der Treppe langsame Tritte. »Der Vater!« flüstern die Kinder. Er steht hoch und ernst in der Tür, noch blasser als sonst, noch strengere Mienen. Plötzlich überfliegt es ihn seltsam. Er beugt sich zu der Frau nieder und küßt sie auf die Stirn. Sie blickt verwundert, wird rot und kämpft zwischen Lächeln und Tränen. Er geht um den Tisch herum und drückt seinen Mund auf jedes Kindes Haar.

      »Habt ihr auch gebetet?«

      Die Frau schüttelt den Kopf.

      Er setzt sich und blickt in den Schoß, alle tun ein Gleiches, die Kinder mit großen, bangen Augen.

      »Heut abend ist Andacht in allen Kirchen. Kommt ihr mit?« Stummes Nicken ringsum.

      Nun kann sich der Junge nicht länger halten: »Vater, unser Physiklehrer sagt –«

      Ein Blick der Mutter macht ihn schweigen.

      Die große Tochter geht hinaus und herein, bedient den Tisch; noch ist kein weiteres Wort gefallen.

      Endlich hat das Geläute ausgesetzt. Man hört wieder die Vögel draußen zwitschern; ganz in der Ferne das Mittagszeichen der Fabriken. Es ist, als wäre ein Bann gebrochen. Da wagt die Frau dem Manne die Hand auf die seine zu legen. »Edmund – ist es denn wirklich wahr?«

      Er atmet tief auf. »Ich weiß nicht mehr als ihr – als alle. Das meiste könnte noch Sigrid wissen. Was sagt denn Archibald?«

      Dem Mädchen rinnt es über die Wange.

      »Hat er nicht wenigstens geschrieben?«

      »Nur, daß er Tag und Nacht beschäftigt ist.«

      »Man munkelt, es gäbe unter den Sachverständigen auch Zweifler; aber sie seien überstimmt worden.«

      »Unser Lehrer sagt auch, es wäre nicht wahr.«

      »Dein Lehrer ist dafür nicht maßgebend.«

      Die Frau, noch immer verschüchtert: »Gehst du nun weiter in den Dienst?«

      »Aber ich bitte dich, welche unsinnige Frage! Bis jetzt ist der Himmel doch nicht eingefallen. In der Bank geht es wie jeden Tag. An der Börse ist noch kein Papier deshalb gestürzt. An den Sparkassen vollkommene Ruhe – man könnte sagen, unheimliche Ruhe.«

      »Ja, das ist ein gutes Zeichen.«

      Er lacht belustigt auf. »Wenn ihr Frauen über so etwas redet! Beste, hier handelt es sich doch nicht um Menschendinge, die man erraten und beeinflussen kann. Hier steht doch nicht Geld auf dem Spiele. Geld! Entweder das Betreffende geschieht nicht – dann gilt der Kurs von heute – oder es geschieht, dann ist alles Gold wie Kieselsteine – noch nicht einmal: Luft, Feuer, was weiß ich. Mit solcher Sache kann man doch nicht handeln, spekulieren – man kann doch nicht –«

      Er ist plötzlich aufgestanden, ans Fenster getreten und starrt hinaus.

      »Ich meinte nur: die Ruhe im Geschäft läßt darauf schließen, daß man im allgemeinen nicht an – das Unglück glaubt.«

      »Wieso? Warum? Was kommt hier auf Glauben an? Vielleicht – es könnte ja auch noch manches eintreten – es könnte Stille vor dem Sturme sein. Ich muß fort.« Er wendet sich rasch zur Tür.

      »Wann gehen wir zur Kirche?«

      »Ich weiß nicht, ob ich Zeit finde. Ihr werdet das Läuten hören ... geht nur.«

      »Edmund – wenn etwas Besonderes geschieht – du kommst doch sofort?«

      »Aber natürlich. Heute doch keinesfalls.«

      »Edmund –!«

      Er ist schon hinaus. –

      Schwere Stille. Die alte Wanduhr tickt die rückenden Sekunden. Rings um den ererbten nüchternen Hausrat graut der Alltag. Sigrid erhebt sich leise.

      »Kinder, bleiben wir beieinander – man weiß nicht, wie lange noch.«

      »Mutter – auf eine Stunde laß mich gehn!«

      »Darfst du denn zu ihm?«

      »Ich will's versuchen.«

      *

      Draußen sieht alles wie gestern aus. Straßenbahnen klingeln, Kraftwagen schießen vorüber, behaglich zurückgelehnte Menschen darin. Dort stehen sie vor den Schaufenstern, wandern mit gefüllten Körben vom Markte heim. Da an dem Neubau fügen die Maurer geruhig Stein auf Stein.

      Steht denn in all den Gesichtern nichts zu lesen, nichts von dem Ungeheuren, was da heraufsteigt, Riesenschatten vor sich herwirft, daß man sich ducken möchte, sich im Schoß der Erde verstecken – und weiß doch, da ist kein Entrinnen – und das Herz krampft sich in Todesangst zusammen? Ja, ernst sehen die meisten vor sich hin, Falten auf mancher Stirn, eilfertig scheinen diese und jene, als wollten sie noch etwas in Ordnung bringen. Aber ist das nicht das Gewöhnliche, worauf man sonst nicht geachtet, der Seelenausdruck dieser großen Menschengemeinde, die vom Kampf ums Dasein umgetrieben wird? Plötzlich ein helles Lachen hinter Sigrids Rücken, ein Ton, bei dem man zusammenzuckt. Ach so, Schulmädchen, halbe Kinder, die Mappe im Arm, denen ein Jüngling mit bunter Mütze grüßend etwas zugerufen ... ja, das scherzt so weiter.

      Im Vorortzuge wird einem schon mehr offenbar. Stumm und stumpf sitzen die Leute sich gegenüber, jeder mit seinen Gedanken allein, ratlos erscheinen sie, mit hochgezogenen Brauen sinnt einer zum Fenster hinaus in die unbegreifliche Welt ... Im Nebenabteil hört man eine Mannesstimme im belehrenden Tonfall sagen: »Kurz und gut, die ganze Geschichte ist ein Riesenfeuerwerk für die urteilslose Menge, ein großartiges Geschäft. Was meinen Sie, was jetzt an der Börse losgehen wird? Haben Sie Papiere, mein Herr? Verkaufen Sie alles, Hals über Kopf, Sie wollen doch noch die paar Tage Ihr Leben genießen? Verkaufen Sie um jeden Preis! Hahaha – so etwas ist noch nicht dagewesen! Die Welt will betrogen werden! Immer zu!«

      Ein leiserer Sprecher wirft ein: »Aber der Stern ist doch da. Oder halten Sie den für Augentäuschung?«

      »Natürlich ist er da. Was irrlichteriert nicht alles am Himmel herum. Wenn das so gefährlich wäre, wär' unsre Erde nicht Millionen Jahre alt geworden. Kinderschreck!«

      »Aber die Astronomen behaupten doch –«

      »Erstens erfährt man nicht, was sie wirklich behaupten, sondern nur, was die Herren da oben für gut halten bekanntzugeben. Und zweitens sind die auch vom Geschäft.«

      »Erlauben Sie mal, die Wissenschaft –«

      »Glauben Sie noch an die Wissenschaft? Kapital ist alles. Früher machten die Pfaffen das Volk dumm, heute die angestellten Gelehrten. Nur nicht verblüffen lassen. Ich will Ihnen was ins Ohr sagen: Kaufen Sie schleunigst Papiere, kaufen Sie – hahaha!«

      Ein trübes Lächeln auf dem und jenem Gesicht, unwilliges Aufzucken. Sigrid ist heißes Blut in die Wangen gestiegen. Der Zug hält. – Der alte Pförtner am Gittertor des umfriedeten Waldberges will sie nicht einlassen: strengster Befehl der Regierung, die Warte sei militärisch besetzt. Als sie sich aber Archibalds Verlobte nennt, wird sein Benehmen achtungsvoll. Unter den leise rauschenden Kiefern führt er sie den gewundenen Steig hinauf zu dem ragenden Tempelbau mit der silbrig glänzenden Kuppel. Neugierig sehen die bewaffneten Posten auf die bräutlich-weiße Gestalt, die da wartend steht. Und nun darf sie zum erstenmal die Säle mit den geheimnisvollen Werkzeugen durchschreiten, wo da und dort ein grauer Kopf verwundert sich nach ihr wendet, die eisernen Treppen hinauf in das seltsame, runde Bollwerk, von feierlichem Oberlicht erhellt, aus dem es wie ein Riesengeschütz sich gen Himmel kehrt, der Erdenkinder schärfstes Auge nach oben starrt, den fernen Feind zu erspähn, zu erforschen ...

      Dort am Tische sitzt er, über Blätter gebeugt, dem ihre Seele entgegenzittert, blaß, mit eingesunkenen Augen; hinter ihm an der Wand ein Ruhebett, dessen glatte Decke keinen Gebrauch verrät.

      »Was


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